Beitragssätze Der Streit geht weiter
01.10.2008, 22:32 UhrUnmittelbar vor der Entscheidung über die künftigen Krankenkassen-Beiträge haben Gewerkschaften, Sozialverbände und Kassen vor zusätzlichen Belastungen der Arbeitnehmer gewarnt.
Der einheitliche Beitragssatz für alle gesetzlichen Kassen müsse so hoch ausfallen, dass Zusatzbeiträge allein zulasten der Versicherten vermieden werden, forderten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Ersatzkassenverbände VdAK/AEV und mehrere Sozialverbände.
Der Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt (BVA) will an diesem Donnerstag in Bonn erstmals einen einheitlichen Satz zum Start des Gesundheitsfonds 2009 vorschlagen.
Arbeit respektieren
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) warnte die Kassenvertreter davor, sich mit Spekulationen über eine starke Erhöhung des künftigen Beitragssatzes zu überbieten.
"Wer jetzt 15,8 Prozent als Beitragssatz fordert, wie einzelne Kassenvertreter dies tun, sollte sich überlegen, dass viele Millionen Menschen hart für jeden Euro arbeiten müssen", sagte Schmidt in Berlin. "Ich erwarte Respekt vor der Arbeit der Menschen. Und dieser Respekt muss auch bei Beitragssatz-Vorstellungen deutlich werden."
Wirtschaftsvertreter hatten kürzlich davor gewarnt, den Beitrag zu hoch festzusetzen. "Der einheitliche Beitragssatz muss so niedrig wie möglich festgelegt werden. Ein Anstieg über das aktuelle Rekordniveau von 14,9 Prozent würde die zu erwartende Abschwächung des Wirtschaftswachstums verschärfen", hatte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gesagt.
Gegen künstliches "frisieren"
VdAK/AEV-Chef Thomas Ballast nannte einen Satz von rund 15,8 Prozent realistisch: "Alle wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sprechen für einen Beitragssatz um mindestens 15,8 Prozent, auch wenn das politisch nicht opportun ist", erklärte Ballast. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warnte in der "Welt" davor, den neuen Einheitsbeitrag "aus politischen Gründen künstlich zu frisieren".
Die Entscheidung liegt bei der Bundesregierung. Sie rechnet nach Angaben von Vizeregierungssprecher Thomas Steg auf der Sitzung des Koalitionsausschusses am Sonntag mit Entscheidungen zur künftigen Beitragshöhe, bevor die Bundesregierung am kommenden Dienstag darüber entscheiden wird.
Heute beträgt der Durchschnittssatz der gesetzlichen Kassen 14,02 Prozent. Hinzu kommt der von den Versicherten allein getragene Sonderbeitrag von 0,9 Prozent. Noch nicht eingerechnet sind jüngste Erhöhungen. Die AOK Baden-Württemberg erhöhte zum 1. Oktober um 0,6 Punkte auf 15,1 Prozent.
Keine Bindung an Schätzerkreis
Die Bundesregierung will den Beitragssatz für den Gesundheitsfonds jedoch möglichst niedrig ansetzen und sieht sich nicht zwangsläufig an die Berechnungen des Schätzerkreises gebunden. "Wir werden am unteren Ende dessen bleiben, was nach den Regeln ... geht und nicht nach dem, was die Kassen gerne hätten", sagte ein hoher Regierungsvertreter in Berlin.
Er warf den Kassen vor, sie wollten die Beiträge so hoch ansetzen, "dass sie nie einen Zusatzbeitrag erheben müssen und möglichst aller Sorgen ledig sind". Diesen Gefallen könne man ihnen nicht tun. Lohnnebenkosten interessierten die Kassen nicht besonders.
Zusatzbeitr äge drohen
Die Folge wäre, dass die Kassen binnen kürzester Zeit gezwungen würden, Zusatzbeiträge einzutreiben, so Buntenbach. Mit solchen Beiträgen ihrer Mitglieder können Kassen künftig Lücken schließen, wenn sie mit den Beitrags- und Steuermitteln aus dem Fonds nicht auskommen. Neben Gesundheitsministerium und BVA ist der Spitzenverband der Krankenkassen an der Schätzung beteiligt.
Das Ziel des Verbands laute: "So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig, um die gute Versorgung der Versicherten auch im nächsten Jahr seriös zu finanzieren", wie Sprecher Florian Lanz sagte.
VdK-Präsidentin Ulrike Mascher drückte im "Hamburger Abendblatt" ihre "große Sorge" über einen zu geringen Beitragssatz aus. Auch auf Bezieher geringer Renten käme im Fall eines Zusatzbeitrags ein Minus von acht Euro im Monat zu. "Die Rentner und die Geringverdiener sind gekniffen."
H öhere Steuerzuschüsse gefordert
Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, sagte: "Die Patienten und Versicherten zahlen mehr, obwohl eine schlechtere Gesundheitsversorgung zu befürchten ist." Der Gesundheitsfonds bringe für die Versicherten nur Nachteile und löse nicht die zentralen Schwierigkeiten der gesetzlichen Krankenversicherung, so Bauer. Buntenbach, Mascher und Bauer forderten höhere Steuerzuschüsse, etwa für die Krankenversicherung der Langzeitarbeitslosen. Kommendes Jahr sollen 4 Milliarden Euro aus Steuermitteln in den Fonds fließen.
Ballast warnte, aus wahltaktischen Gründen einen niedrigen "politischen Beitragssatz" festzulegen. Die Koalition will die Sozialabgaben 2009 insgesamt unter 40 Prozent halten, was bei einem starken Anstieg des Krankenkassen-Satzes schwierig werden könnte. Der Verbandschef rechnet mit erheblichen Mehrausgaben der Kassen.
Wirtschaftslage mindert Mehreinnahmen
Neben Steigerungen für Kliniken und Kassenärzte um 5,7 Milliarden Euro müssten 700 Millionen Euro für die Einführung der Gesundheitskarte eingeplant werden und 2,4 Milliarden für Anstiege etwa bei den Arzneimitteln. Die Wirtschaftslage spreche nicht für Mehreinnahmen, die dies ausgleichen könnten.
Heute beträgt der Durchschnittssatz der gesetzlichen Kassen 14,02 Prozent. Hinzu kommt der von den Versicherten allein getragene Sonderbeitrag von 0,9 Prozent. Noch nicht eingerechnet sind jüngste Erhöhungen. Die AOK Baden-Württemberg erhöhte zum 1. Oktober um 0,6 Punkte auf 15,1 Prozent.
Quelle: ntv.de