Zwischen Panikmache und Angst Der Terror treibt Deutschland um
24.11.2010, 23:14 UhrNoch sind Terroranschläge in Deutschland glücklicherweise ausgeblieben. Trotzdem ist die potenzielle Gefahr allgegenwärtig. Im Reichstag, wo das Volk die Generaldebatte nicht durch die Glaskuppel betrachten kann. In den Köpfen der Politiker, die um geeignete Sicherheitsmaßnahmen zanken. Und an Schulen, an denen besorgte Eltern Wache schieben.

Schlechte Zeiten für Touristen.
(Foto: AP)
Es ist nur eine Minute. Irgendwann in ihrer Rede zum hoch verschuldeten Bundeshaushalt schneidet die Kanzlerin das brisante Thema kurz an. "Die Bedrohungen sind leider real. Wir müssen uns darauf einstellen", sagt Angela Merkel im Bundestag. Deswegen ist die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes über ihr für Besucher auch gesperrt. Die Glaskuppel - das Symbol für Transparenz der deutschen Politik. Von dort können die Bürger ihre Volksvertreter im Plenarsaal sehen. Nun ist sie geschlossen - wegen Terrorgefahr.
Nur eine Minute der Regierungschefin zum Sicherheitsrisiko in Deutschland - auch das darf als Symbolik verstanden werden. Merkel will nach Berichten über mögliche Anschlaggefahren gegen den Bundestag Ruhe und Handlungsfähigkeit ihrer Regierung ausstrahlen. "Wir werden uns von unserer Arbeit trotz terroristischer Bedrohung nicht abbringen lassen", betont sie.
Streit um Vorratsdatenspeicherung
Arbeit steht schließlich genug an, was auch mit der Terrorgefahr zu tun hat. Die Forderungen nach einer Vorratsdatenspeicherung sind erneut aufgeflammt, und die Koalition ist sich alles andere als einig in dieser Frage. Während Unionsfraktionschef Volker Kauder für die CDU eine rasche Entscheidung zugunsten der Datenspeicherung anmahnt, lehnt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die Liberalen eine verdachtsunabhängige Speicherung ab.
Kauder bekräftigte in der ARD, die Unionsfraktion seien zusammen mit der Bundespolizei und den Landespolizeien der Auffassung, "dass wir die Vorratsdatenspeicherung brauchen". "Wir müssen zu einer Lösung kommen." Leutheusser-Schnarrenberger warf hingegen der Union vor, sie wolle "anlasslos und verdachtslos von Millionen Menschen monatelang alles speichern". Die Ministerin plädierte in der ARD dafür, nur "anlassbezogen, konkret Daten nicht zu löschen" und diese "den Sicherheitsbehörden unter engen Voraussetzungen zur Verfügung zu stellen".

Dieser Mann nimmt es sportlich und posiert mit den Polizisten vor dem Paul-Löbe-Haus.
(Foto: REUTERS)
Die Opposition stellt sich auf die Seite der Justizminsterin. Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz nannte es "verheerend, nun unüberlegt und aufgeregt einen gesetzgeberischen Schnellschuss in diesem verfassungsrechtlich so sensiblen Bereich abzugeben". Das Linken-Vorstandsmitglied Petra Pau verwies darauf, dass die "prophylaktische Speicherung" aller Telekommunikationsdaten grundgesetzwidrig sei. "Sie schafft nicht Sicherheit, sie gefährdet die Demokratie."
Wenig amüsiert dürften Opposition und FDP auch über den Vorschlag des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier sein, den Einsatz der Bundeswehr im Inland zu ermöglichen. "Wenn die Bundeswehr etwas kann, was die Polizei nicht kann und für die Sicherheit zuträglich ist, sollte man die Streitkräfte auch einsetzen", forderte der hessische Ministerpräsident dem "Hamburger Abendblatt". Auch andere CDU-Politiker haben wegen der Terrorwarnungen die Forderung erneuert, die Bundeswehr notfalls auch im Inland einzusetzen. Im Bundestag gibt es dafür aber keine Mehrheit.
Nägel mit Köpfen hat unterdessen Verkehrsminister Peter Ramsauer gemacht, der gegen Sicherheitslücken bei der Luftfracht vorgeht. Dabei hat das Luftfahrtbundesamt rund 70 Unternehmen überprüft, infolgedessen wurden drei Versandfirmen aus Nordrhein-Westfalen der Status als "bekannter Versender" entzogen.
Forscher: Panik ist kontraproduktiv

Wohl niemand hat Lust auf Weihnachtsmärkte unter Polizeischutz - trotzdem solle man sich nicht vom Besuch abhalten lassen, empfiehlt Angstforscher Bandelow.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ungeachtet aller Diskussionen bleibt die Bevölkerung noch ruhig. Auch in der angeblich besonders gefährdeten Hauptstadt macht sich keine Panik breit. Das ist die richtige Reaktion, meint der Angstforscher Borwin Bandelow. In einem Interview mit der "Zeit" warnte er davor, aus Furcht von Terroranschlägen auf den Besuch von Weihnachtsmärkten oder Volksfesten zu verzichten. "Das ist doch das, was die Terroristen wollen: unser Leben lahmlegen", erklärte der Göttinger Psychiatrie-Professor. Um eventuelle Furcht zu überwinden, solle man sich klarmachen, dass die Gefahr, Opfer zu werden, vergleichsweise klein ist.
Die Änderung von Verhaltensweisen kann nach Bandelows Worten sogar kontraproduktiv sein. So seien in den USA nach dem Anschlag auf das World Trade Center viele Menschen vom Flugzeug auf das Auto umgestiegen. Der Verkehr auf den Highways habe dadurch um fünf Prozent zugenommen, was wiederum zu einer höheren Zahl an Verkehrstoten geführt habe.
Eltern schieben Wache
Doch die Angst lässt sich nicht immer wegreden. An einer deutsch-amerikanischen Schule in Berlin haben besorgte Eltern einen freiwilligen Wachdienst organisiert. Seit Anfang der Woche beobachten sie von morgens bis nachmittags den Pausenhof und die Eingänge der renommierten John-F.-Kennedy-Schule in Zehlendorf. Die Schulleitung bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Financial Times Deutschland".
Die Eltern wechseln sich im Wachdienst ab und tragen eine Armbinde. Der geschäftsführende Schulleiter Reinhard Roth versicherte, von einer "Bürgerwehr" könne nicht die Rede sein. An der Schule werden mehr als 1700 Schüler unterrichtet.
Quelle: ntv.de, cba/dpa/AFP