Wahlkampf im Web Der ewige Caucus
15.02.2008, 11:14 UhrBei Youtube ist die Wahl längst entschieden: Barack Obama gewinnt knapp vor Hillary Clinton. Auf den Shooting-Star der Vorwahlen in den USA entfallen mehr als 36.000 Einträge. Hillary Clinton liegt knapp dahinter. Die Republikaner sind chancenlos: Die Suche nach John McCain ergibt lediglich 6530 Treffer, Mike Huckabee bringt es auf schlappe 4750 Videos.
Auch qualitativ liegt Obama weit vorn. Der erste Eintrag ist das Video "Yes We Can", ein Song, in dem diverse Musiker und andere Prominente eine Obama-Rede singen. Im Hintergrund läuft parallel Obamas gesprochenes Wort. Eine grandiose Idee. Das Video erschien Anfang Februar auf dipdive.com und bei Youtube. Keine zwei Wochen später registriert dipdive nahezu vier Millionen Klicks. Bei Youtube ist das Video gleich mehrfach gepostet, insgesamt dürfte es hier bislang mehr als neun Millionen Mal angeschaut worden sein.
Auf Obamas Website gibt es das Video ebenfalls. Der Link "https://my.barackobama.com/YesWeCanvideo" kursiert auch hierzulande in E-Mails. Am 14. Februar führte er allerdings nicht mehr zum Video. Wer den Link anklickte, landete auf einem nüchternen Spendenformular: "Contribute now to Barack Obama". Einen Tag später war das Video wieder erreichbar.
Das Internet als Sammelbüchse
Kein Bewerber verzichtet darauf, auf der eigenen Website an prominenter Stelle um Spenden zu werben. Das scheint sich zu lohnen: Obama betont gern, dass der größte Teil seiner Spenden von kleinen Geldgebern über das Internet komme. Allein in diesem Jahr hatte er mehr als 442.000 Spender - weitaus mehr als Clinton, die lange auf Großspender setzte, sich nach einer finanziellen Flaute mittlerweile jedoch auch um das Geld der kleinen Leute bemüht.
Alle Bewerber haben eigene Blogs. Diese Form der öffentlichen Kommunikation ist in den USA weitaus etablierter als in Deutschland, die Grenzen zwischen Blogs und Nachrichtenseiten sind fließend. CNN hat die Rubrik "From the Blogs", in der auf Beiträge verlinkt wird, die wiederum auf den jeweiligen CNN-Artikel verlinken - eine Art ausgelagertes Forum. Die "Huffington Post" startete als normales Weblog. Heute nennt sich die Seite im Untertitel "The Internet Newspaper".
Forum für Schmutz
Web 2.0 ist natürlich auch eine ideale Plattform für Schmutzkampagnen und anonyme Attacken. Nicht alle Youtube-Treffer sind nach dem Geschmack der Bewerber. Ein Video zeigt Hillary Clinton beim Singen der amerikanischen Nationalhymne - ein schwieriges Stück, das anderthalb Oktaven umfasst. Entsprechend mäßig klingt Clintons Darbietung. In den Kommentaren unter dem Video streiten sich Clinton-Anhänger und -Gegner. Ein User namens pcos22 (der sich erst kurz zuvor bei Youtube angemeldet hatte) meint, Obama habe keine Chance, weil er seine Hand beim Treueschwur nicht auf sein Herz lege. "Es gibt ein FOTO von ihm, Hillary Clinton und Bill Richardson auf der Bühne - Barack ist der einzige ohne Hand auf dem Herzen." Wenn das veröffentlicht werde, sei Obama erledigt.
Auf noch niedrigerem Niveau äußert sich ein anderer Kommentator. Obama sei Muslim "or some shit". Sein Name reime sich schließlich nicht grundlos auf Osama. Ein lächerlicher Vorwurf, der im Wahlkampf jedoch nicht ungefährlich ist. Roger Ailes, Chef des konservativen Senders Fox News, witzelte schon Anfang 2007 über die Ähnlichkeit von "Obama" und "Osama". Sein Sender hatte schon zuvor Berichte über eine angeblich islamistische Schule aufgegriffen, die Obama in seiner Zeit in Indonesien besucht habe. Die Fox-Moderatoren suggerierten dabei, Obama sei in den ersten zehn Jahren seines Lebens Moslem gewesen. Nichts davon stimmte, doch im Internet lebt die Propaganda weiter.
"Joint the movement"
Dennoch überwiegt auch im Wahlkampf natürlich der Nutzen des Netzes. Neben den online gesammelten Spenden können die Wahlkampfstäbe im Internet ausführlich auf Unterstellungen der Gegenseite antworten; über die E-Mail-Verteiler sind Anhänger schnell und dank Eingabe der Postleitzahl auch zielgenau zu mobilisieren. Wer Obamas Seite erstmals aufruft, sieht nur ein nettes Schwarz-Weiß-Foto von Familie Obama und die Bitte, sich in einen E-Mail-Verteiler einzutragen: "Joint the movement". Ähnlich startet die Seite von Hillary Clinton beim ersten Besuch.
Nicht zuletzt ermöglicht das Internet den ewigen Caucus: Hier wird debattiert, bis der Arzt kommt. "Das Netz ist der Ort, an dem die politische Debatte stattfindet", befand der "Spiegel" im Sommer 2007 nach einer von Youtube und CNN organisierten Debatte mit den demokratischen Bewerbern. Nutzer von Youtube konnten über Videos Fragen an die Politiker richten. Bezeichnenderweise lief die Sendung im Fernsehen. Denn noch sind Lokal- und Nachrichtensender in den USA die wichtigsten Informationsquellen für die Wähler.
Noch. In einem Ranking des Pew Research Center rangiert das Internet mit 24 Prozent auf Rang fünf. Im Gegensatz zu den Medien auf den Plätzen eins bis vier ist die Tendenz jedoch steigend. Star der Show von Youtube und CNN war übrigens weder Obama noch Clinton, sondern ein Schneemann, der die Demokraten fragte, was sie tun würden, um seinem Sohn ein langes Leben zu ermöglichen. (Für die Fragen an die republikanischen Bewerber vier Monate später qualifizierte sich der Schneemann leider nicht.)
Solche Spielereien zählen im Wahlkampf: Es kommt durchaus darauf ein, wer die schickere Website hat, wessen Logo das modernste ist und wer bei Facebook die meisten Unterstützer gewinnen kann. Der Sieger in allen Disziplinen: Obama.
Das Netz kann irren
Die "Internet-Sensation" Ron Paul zeigt allerdings, dass das Netz irren kann. Kein anderer republikanischer Bewerber hatte im Web vergleichbare Unterstützung. Die meist jungen Anhänger des radikallibertären Abgeordneten aus Texas nutzten die Methoden des viralen Marketing am kreativsten. Eine Suche nach "Ron Paul" bei Youtube ergibt 104.000 Treffer, bei Facebook hat er mehr Anhänger als John McCain.
Außerhalb des Internet blieb Paul der Erfolg weitgehend versagt. Bei den Vorwahlen landete er meist auf dem vierten oder fünften Platz. Sieger bei den Republikanern ist bekanntlich McCain. Dessen Erfolgsrezept heißt "Straight Talk Express" - ein stinknormaler Bus, mit dem McCain in den USA unterwegs ist, um Reden zu halten und Hände zu schütteln. Vor Ort.
Quelle: ntv.de