Chronologie eines Attentats Der schwarze Mittwoch von Paris
07.01.2015, 17:50 UhrMit der kaltblütigen Effizienz einer Spezialeinheit dringt ein Killerkommando am späten Morgen in die Redaktionsräume von "Charlie Hebdo" ein. Die mutmaßlichen Islamisten ermorden mindestens zwölf Menschen - und sind immer noch auf der Flucht.
Corinne Rey wird den Tag, an dem sie dem Tod die Tür geöffnet hat, wahrscheinlich nie wieder vergessen: "Ich wollte meine Tochter vom Hort abholen. Als ich vor die Haustür trat, haben uns zwei vermummte und bewaffnete Männer brutal bedroht. Sie wollten in das Gebäude", sagt die Zeichnerin der französischen Zeitung "L'Humanité" nur Stunden nach dem blutrünstigen Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo". Dann geht alles sehr schnell: "Ich habe den Code eingegeben, dann haben sie sofort auf Wolinski und Cabu geschossen. Es dauerte mindestens fünf Minuten." Die 32-Jährige, von allen nur "Coco" genannt, flüchtet sich unter einen Schreibtisch und beobachtet von dort Szenen der Gewalt: Mindestens zwölf Tote und 14 Verletzte sind die vorläufige Bilanz, während die Täter immer noch auf der Flucht sind.
"So etwas lernt man nicht in Europa"
Das trockene Bellen einer Kalaschnikow ist ein Geräusch, das man, einmal gehört, nie wieder vergisst. Benoît Bringer, Reporter einer französischen Nachrichtenagentur und Nachbar der "Hebdo"-Redaktion kennt den Soundtrack des Todes von seinen Einsätzen in Afghanistan und Pakistan - dass er ihn einmal in Paris hören würde, hätte er vermutlich noch am Morgen für unmöglich gehalten. "Es waren mindestens dreißig Schüsse, wahrscheinlich mehr. Nach ungefähr zehn Minuten kamen zwei maskierte Männer aus dem Gebäude."
Zehn Minuten, in denen unter anderem Chefredakteur Charb und sein Leibwächter sowie die Zeichner Wolinski, Cabu und Tignous im Kugelhagel der Täter sterben - also genau die Menschen, die für die provokanten Mohammed-Karikaturen verantwortlich zeichnen, für die "Charlie Hebdo" unter anderem bekannt ist. Augenzeugen berichten, wie die Täter ruhig und abgebrüht ihr grausames Handwerk verrichten, ihre Opfer gezielt aussuchen. Alles wirkt wie eine gut geplante Kommandoaktion, ausgeführt von erfahrenen Kämpfern. "So etwas lernt man nicht in Europa", sind sich deutsche Sicherheitsexperten sicher, alles deutet auf einen islamistischen Hintergrund hin. Noch besteht zwar keine hundertprozentige Sicherheit, aber Coco" Rey erinnert sich: "Sie haben sich zu al-Kaida bekannt."
Die Spur der Täter verliert sich
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ziehen sich die Täter zurück. Auch das äußerst ruhig, konzentriert und tödlich: Als ein Polizeiauto den Fluchtweg blockiert, steigen die Täter aus und nehmen die beiden Polizisten im Inneren in aller Seelenruhe unter Feuer. Neun Schüsse schlagen sehr dicht beieinander auf der Beifahrerseite ein, drei auf Kopfhöhe des Fahrers, nur vier Kugeln fallen aus dem Raster. Minuten später halten die Täter ein zweites Mal an. Kurz zuvor haben sie einen Passanten überfahren, jetzt schießen sie auf einen weiteren Polizisten. Zeugen drehen ein Video, das um die Welt geht und die kalte Effizienz der Attentäter demonstriert: Beide Männer gehen auf den Polizisten zu, der bereits getroffen am Boden liegt und abwehrend die Hand hebt. Aus nächster Nähe schießt ihm einer der Männer in den Kopf.
Danach verliert sich jede Spur der Männer, nur nach und nach kommen weitere Details ans Licht: Der französische Innenminister spricht von drei Attentätern. Später sollen die Männer den Citröen zuerst gegen einen Renault Clio und dann gegen einen Ford Transit getauscht haben - der doppelte Fluchtfahrzeugwechsel unterstreicht nur die Professionalität der Attentäter. Wer genau die drei Killer sind oder woher sie kommen, ist immer noch nicht geklärt. Einer Geisel, die die drei nach unbestätigten Berichten zwischendurch genommen und kurz darauf wieder freigelassen haben, sollen sie aber folgenden Satz mit auf den Weg gegeben haben: "Sag den Medien, dass Al-Kaida im Jemen dafür verantwortlich ist."
Quelle: ntv.de