Politik

Inder wählen den Wechsel Desaster für den Gandhi-Clan

Empfindliche Schlappe bei der Wahl: Sonia und Rahul Gandhi.

Empfindliche Schlappe bei der Wahl: Sonia und Rahul Gandhi.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach zehn Jahren an der Macht tritt in Indien die Kongresspartei den Gang in die Opposition an. Dies bedeutet eine schwere Niederlage für die Gandhi-Dynastie. Doch es wäre zu früh, ihr politisches Ende zu verkünden.

Indien hat gewählt, und die Menschen in der größten Demokratie der Welt haben sich mit großer Mehrheit für eine neue Regierung entschieden. Man kann sogar von einem politischen Erdbeben auf dem Subkontinent sprechen, denn der Stimmenzuwachs für die Hindu-Nationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) ist enorm. Die bislang regierende Kongresspartei, in der die Nehru-Gandhi-Dynastie nach wie vor die Fäden zieht, hat eine herbe Schlappe erlitten.

Die Inder hatten zuletzt genug von Manmohan Singhs Regierung.

Die Inder hatten zuletzt genug von Manmohan Singhs Regierung.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Zehn Jahren lang hat die Kongresspartei, die zusammen mit kleineren Parteien die Vereinigte Progressive Allianz (UAP) anführt, mit ihrem Premierminister Manmohan Singh die Geschicke dieses riesigen Landes mit seinen mehr als 1,2 Milliarden Menschen bestimmt. Damit ist zumindest für die kommenden fünf Jahre Schluss: Neuer Regierungschef wird BJP-Spitzenkandidat Narendra Modi, fast 20 Jahre jünger als der scheidende Premier und Chefminister des an der Grenze zu Pakistan gelegenen Unionsstaates Gujarat.

In Indien herrschte vor der mehrere Wochen andauernden Parlamentswahl Wechselstimmung. Die Unzufriedenheit der Mehrheit der Inder mit der Kongresspartei im Allgemeinen und der Regierung Singh im Besonderen war groß. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die für indische Verhältnisse sehr große Wahlbeteiligung - die Wahlkommission spricht von rund 66 Prozent - gesehen werden. Mehr eine halbe Milliarde Menschen gingen trotz zum Teil schwierigster Bedingungen an die Wahlurne, wahlberechtigt waren rund 815 Millionen.

Skandale und schwächeres Wachstum

Dabei war bereits vor der Wahl klar, dass der 81-jährige Singh das Premierminister-Amt an den Nagel hängt. Der Finanzfachmann - Singh war Chef der indischen Notenbank (1982 bis 1985) und unter Regierungschef Narasimha Rao in den 1990er-Jahren Finanzminister - gilt als Vater des indischen Wirtschaftswunders. Singh liberalisierte die staatlich gelenkte Wirtschaft und erwarb sich vor allem bei der Landbevölkerung ein hohes Ansehen. Doch nach zehn Jahren Amtszeit als Premierminister sind Singh und seine Regierung bei den Indern unten durch.

Es häuften sich die Meldungen über wachsende Korruption in der Regierung. Da gab es den Skandal um die Mobilfunklizenzen, deren Vergabe nicht astrein war. Angeblich gingen dem indischen Staat umgerechnet rund 27 Milliarden Euro verloren. Noch schlimmer schlug der Skandal um Kohleabbaurechte (Coalgate), in den Singh unmittelbar verstrickt war, zu Buche. Mehr als umgerechnet 200 Milliarden Euro entgingen dem Staat, weil er die Bergbaurechte nicht öffentlich ausgeschrieben hatte. Der entsprechende Bericht des Rechnungshofes schlug in Neu Delhi hohe Wellen.

Der endgültige Sargnagel für die Regierung war aber das zuletzt stark abgeschwächte Wirtschaftswachstum. Betrug es 2010 noch 10,1 Prozent, waren es 2013 nur noch 5,9 Prozent. Für ein Land, dessen Bevölkerungszahl jährlich um 1,5 Prozent zulegt, ist das viel zu wenig. Zudem sorgt eine steigende Inflation für wachsende Armut. Der hochgelobte Reformer Singh, der spürbare Verbesserungen für die Landbevölkerung - sie stellt immerhin zwei Drittel der indischen Bevölkerung - versprach, ist am Ende seiner Regierungszeit endgültig entzaubert.

Rahul Gandhi überzeugt nicht

Der schwache Kandidat mit seiner starken Schwester: Rahul Gandhi und Priyanka Vadra.

Der schwache Kandidat mit seiner starken Schwester: Rahul Gandhi und Priyanka Vadra.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dennoch fällt die Misere weniger auf den greisen Premier, sondern vielmehr auf die Gandhi-Familie zurück. Denn sie beherrscht nach wie vor die Kongresspartei, jedes wichtige Vorhaben der Singh-Regierung musste durch den Clan gebilligt werden. Singh war Premier von Sonia Gandhis Gnaden; die Witwe des 1991 ermordeten Premierministers Rajiv Gandhi hatte sich 2004 aufgrund ihrer italienischen Herkunft geweigert, die Regierungsgeschäfte selbst zu übernehmen.

Nun schlug ihr Versuch, mit ihrem 43-jährigen Sohn Rahul den Niedergang der Kongresspartei zu stoppen, fehl. Der Spross entpuppte sich während des Wahlkampfes als Problemfall. Rahul Gandhi traf nicht den Ton der einfachen Leute. Er konnte seine Unsicherheit nicht verbergen, die Menschen verließen in Scharen die Wahlveranstaltungen, während diese noch liefen. Sonia Gandhi wusste um die Schwäche ihres Sohnes, deshalb trat er nicht als Spitzenkandidat für das Amt des Premierministers, sondern "nur" für seine Partei an.

Zukunftswaffe Priyanka

Indira Gandhi (1917-1984)

Indira Gandhi (1917-1984)

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Politische Beobachter werden nun nicht müde, das Ende der Gandhi-Dynastie, die die Geschicke Indiens mehrere Jahrzehnte lang bestimmt hat, vorherzusagen. Doch diese Einschätzung kommt wohl zu früh. Denn Rahuls Schwester Priyanka Vadra machte während des Wahlkampfes deutlich, dass sie die bessere Kandidatin gewesen wäre. Die 42-Jährige hätte dennoch die Niederlage der Kongresspartei nicht verhindern können.

Aber sie warf sich in den Wahlkampf, der schmutzig war und bei dem die Wähler mit Unsummen von Schwarzgeld und Alkohol geködert wurden. Priyanka Vandra holzte kräftig gegen Modi und die BJP. Die Älteren zogen Parallelen zu ihrer Großmutter Indira Gandhi, der sie nicht nur äußerlich ähnlich sieht. Auch in ihren Reden erinnert sie an die politische Härte der 1984 ermordeten langjährigen Premierministerin. So ist es durchaus möglich, dass Priyanka Vadra die Kongresspartei im Jahr 2019 in den Wahlkampf führt.

Hoffnungsträger Modi

Klarer Wahlsieger: Narendra Modi.

Klarer Wahlsieger: Narendra Modi.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Bis dahin fließt aber viel Wasser den Ganges hin unter. Mit dem 63-jährigen Narendra Modi führt nun ein Politiker mit viel Vorschusslorbeer Indien. Er versprach im Wahlkampf das Blaue vom Himmel: den Bau von Straßen, die Errichtung neuer Elektrizitätswerke und die Schaffung vieler neuer Jobs. Für Millionen Inder, die unter schlechten Verkehrswegen und täglichen Stromausfällen leiden, sind das Verheißungen. Sie nehmen deshalb auch in Kauf, dass Modi Blut an seinen Händen hat. Er stellte sich 2002 als Chefminister in seinem Staat Gujarat einem tobenden Mob nicht in den Weg, so dass bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems mehr als 1000 Menschen getötet wurden. Andererseits erlebte das von Naturkatastrophen heimgesuchte Gujarat unter ihm einen rasanten ökonomischen Aufschwung.

So schafften es die Hindu-Nationalisten auch, die Aam Aadmi Party (AAP), die die Bekämpfung der Korruption auf ihre Fahnen geschrieben hat, klein zu halten. AAP-Chef Arvind Kejrival erfreute sich zwar eines regen Zulaufs, das Wahlergebnis ist für ihn und seine Truppe dennoch enttäuschend. Die Inder, die einen ökonomischen und sozialen Wandel wollen, glauben in dieser Hinsicht an den mutmaßlichen Heilsbringer Modi.

Börsianer feiern vor

Auch die indischen Börsianer setzen auf Modi. Der dortige Sensex-Index steigt seit Februar stark an. Es fließt auch wieder mehr Kapital nach Indien. Die Wirtschaftskapitäne rechnen fest damit, dass die Regierung unternehmerfreundlicher agiert. Ob breite Schichten der durch das jahrhundertealte Kastenwesen streng aufgeteilten Bevölkerung von dieser Politik profitieren werden, darf indes bezweifelt werden.

Zudem muss abgewartet werden, welche außenpolitische Signale Modi sendet. Von ihm wird ein härterer Kurs gegen den islamischen Erzfeind Pakistan, der wie Indien Atomwaffen besitzt, erwartet. Modi hat versucht, diesem Eindruck entgegenzuwirken, indem er im Wahlkampf  scharfmacherische Äußerungen weitgehend vermied. Auch innenpolitisch gab er sich ziemlich zahm. Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ist sein Credo, kein Spalter der ohnehin heterogenen indischen Gesellschaft.

Die Aufgaben für seine Regierung sind riesig, denn Indiens Probleme sind vielfältig. Die Einkommen der gesellschaftlichen Schichten klaffen weit auseinander. Einerseits gibt es IT-Spezialisten, die auch im Ausland begehrt sind. Andererseits herrscht in vielen Teilen des Landes bittere Armut. Viele Menschen besitzen kein frisches Trinkwasser und keine ordentliche Toilette. Zudem ist das natürliche Bevölkerungswachstum nach wie vor hoch. Es wird damit gerechnet, dass Indien im Jahr 2025 China als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablöst. Die Wirtschaft des Landes muss kräftig wachsen, das Bildungssystem benötigt mehr Geld, die gravierenden sozialen Probleme schreien nach schrittweisen Lösungen. Der Machtmensch Modi steht vor riesigen Herausforderungen.

Quelle: ntv.de

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