Politik

Mehr Geld für die Bundeswehr Sogar das Lochkoppel wird ausgemustert

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Seit Jahren beklagen die Wehrbeauftragten die unzureichende Ausstattung der Bundeswehr. Mit zusätzlichen Milliarden sollen nun Lücken gestopft werden. Umstritten ist noch, wie das geplante Sondervermögen einberechnet werden soll. Und dann ist da noch die Schuldfrage.

Die Ruhe, mit der die Politik in Deutschland über Jahre offenkundige Mängel hingenommen hat, ist immer wieder überraschend. Digitalisierung, Autobahnbrücken, Klimawandel. "Wir müssen besser darin werden, künftige Kosten in unser Kalkül einzubeziehen", sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kürzlich im Interview mit ntv.de.

Eine weitere Baustelle dieser Art ist die Bundeswehr, über deren Ausstattung der Bundestag am Freitag debattierte. Anlass war der aktuelle Bericht (pdf) der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl, den diese schon Mitte März vorgestellt hatte und nun noch einmal den Abgeordneten präsentierte. Die SPD-Politikerin begrüßte sowohl die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes als auch das geplante Sondervermögen. Ihr Bericht sei "im besten Fall" eine Grundlage für Verbesserungen. "Priorität sollte die persönliche Ausstattung sein: Helme, Schutzwesten, Bekleidung, Rucksäcke."

"Eine Aufzählung von Lücken"

Mehrere Redner wiesen darauf hin, dass es daran noch immer fehlt, auch im Bericht ist von der eigentlich verbotenen, aber noch immer praktizierten "privaten Beschaffung von Bekleidungsartikeln mit Schutzfunktion" die Rede. Grünen-Verteidigungspolitikerin Merle Spellerberg nannte den Bericht der Wehrbeauftragten "eine Mängelliste und eine Aufzählung von Lücken, von Fragen und von Problemen". Der FDP-Verteidigungspolitiker Lars Lindemann sagte, bei der besseren Ausstattung der Bundeswehr gehe es "um unser aller Glaubwürdigkeit gegenüber den Soldatinnen und Soldaten und auch gegenüber unserem Land".

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht kündigte an, das berüchtigte Tragesystem mit Lochkoppel werde bald endlich der Vergangenheit angehören. Das Lochkoppel ist ein Gürtel, an dem sich alles Mögliche anbringen lässt - es ist aber sehr viel unpraktischer als moderne Westen. "Wir statten die gesamte aktive Truppe bis 2025 mit dem vollen Umfang an persönlicher Einsatzbekleidung und persönlicher Schutzausrüstung aus und damit sechs Jahre früher als geplant", sagte sie.

Appelle an die Union

Lambrecht wie auch andere Redner der Ampel appellierte an die Unionsfraktion, dem Sondervermögen zuzustimmen; da die 100 Milliarden im Grundgesetz verankert werden sollen, braucht die Koalition dafür die Zustimmung von CDU und CSU. Die Soldatinnen und Soldaten seien froh, "Abgeordnete des Bundestages an ihrer Seite zu wissen, die bereit sind, ihre Parlamentsarmee bestmöglich auszustatten", so die SPD-Politikerin. "Und bei der Entscheidung über das Sondervermögen können Sie alle dafür ein klares Zeichen setzen."

Redner der Union betonten dagegen, dass sie Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner "Zeitenwende"-Rede so verstanden hätten, dass er das Sondervermögen zusätzlich zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO in die Bundeswehr stecken wolle. Wenn die Ampel die 100 Milliarden aber auf die zwei Prozent vom BIP anrechnen wolle, werde die Union dies nicht mittragen, sagte der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn. Das Sondervermögen müsse "wirklich ein Booster" werden, nicht nur ein Strohfeuer.

Mit Landkarten im Panzerfahrzeug

Dass die Bundeswehr dringend besser ausgestattet werden muss, ist nach der russischen Invasion in die Ukraine Konsens im Parlament. Die CDU-Abgeordnete Serap Güler, Mitglied im Verteidigungsausschuss, berichtete von einem Besuch bei der Bundeswehr in Litauen: Dort seien die deutschen Soldatinnen und Soldaten "diejenigen, die am schlechtesten ausgestattet sind, und das, obwohl wir dort Führungsnation sind". Das betreffe die Bekleidung wie auch die Orientierung: In gepanzerten Fahrzeuge nutze die Bundeswehr Landkarten, statt digital unterwegs zu sein.

Güler äußerte sich auch zu der Frage, wer für den Zustand der Truppe verantwortlich ist. Sie machte dies, wie es vor allem Vertreter von Union und SPD in diesen Tagen häufiger tun: Sie räumte eine Beteiligung ein, schob den Großteil der Schuld aber in die Gegenrichtung. Klar sei, "dass sich hier keiner von der Verantwortung freisprechen kann, gerade nicht Ihre Fraktion", sagte sie an die Adresse der SPD.

Zwischenruf für "Dummschwätzer"

Grundsätzliche Kritik an den Plänen der Ampel kam von Linken und AfD. In den vergangenen zwanzig Jahren sei der Wehretat von 26,5 auf 52,8 Milliarden Euro verdoppelt worden, sagte die Linken-Abgeordnete Zaklin Nastic. "Wenn also etwas schiefläuft, dann liegt es wohl nicht am mangelnden Geld, sondern am völligen Missmanagement der politisch Verantwortlichen." Nastic kritisierte zudem die NATO und warf der Wehrbeauftragten vor, sich zu einer "Werbebeauftragten für die Rüstungsindustrie" zu machen.

Der AfD-Verteidigungspolitiker Hannes Gnauck sprach in seinem Beitrag hauptsächlich über die mangelhafte persönliche Ausrüstung der Soldaten und äußerte sich kritisch darüber, dass "Milliarden deutsches Steuergeld für Großgerät" ausgegeben werden soll. Sein Auftritt, in dem er unter anderem "deutsche Tugenden" für die Bundeswehr predigte und sich selbst schneidig und heroisch nannte, provozierte den SPD-Abgeordneten Christian Petry zu dem Zwischenruf "Dummschwätzer", für den er einen Ordnungsruf der Bundestagspräsidentin kassierte. An Gnauck und seiner vom Militärischen Abschirmdienst beobachteten Vergangenheit bei der Bundeswehr arbeiteten sich gleich mehrere Redner ab. Er selbst wies darauf hin, dass es "nie ein gerichtliches Disziplinarverfahren", sondern "lediglich Vorermittlungen" gegen ihn gegeben habe und er deshalb seine ehemalige Kaserne wieder betreten dürfe.

Erst der letzte Redner beschränkte sich wieder auf das eigentliche Thema: "Bis zu einer vollumfänglichen Ausstattung der Bundeswehr haben wir noch einen weiten Weg", sagte der SPD-Abgeordnete Dirk Vöpel. Ob mit Sondervermögen oder ohne: Das wird noch einiges kosten.

(Dieser Artikel wurde am Freitag, 29. April 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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