Interview mit Prof. Dr. Mommsen Die Bedeutung der Wannsee-Konferenz
16.01.2002, 16:53 UhrWelche Bedeutung hat die Wannsee-Konferenz? Im Allgemeinen wird das Treffen in Berlin 1942 mit dem Beschluss zur Vernichtung von Millionen von Menschen jüdischen Glaubens gleichgesetzt. Doch in dem Text ist dies nicht so enthalten; die letztendliche Definition des Begriffs "Endlösung" war zu diesem Zeitpunkt nicht ganz deutlich, da es mehrere Optionen gab. Fragen an den Historiker Professor Dr. Hans Mommsen, einem der bedeutendsten Experten auf diesem Gebiet.
n-tv.de: Das Protokoll der Wannsee-Konferenz wird immer wieder als das Dokument bezeichnet, was die Vernichtung von elf Millionen Juden beinhaltet. Allerdings ist das Wort Vernichtung nicht enthalten und der Begriff Endlösung nicht genau definiert - es werden sogar noch Vorschläge zu Möglichkeiten von Beteiligten angefordert. Wie würden Sie die Bedeutung dieses Dokumentes in den geschichtlichen Kontext setzen?
Professor Dr. Hans Mommsen: "Eines ist klar: die Wannsee-Konferenz ist nicht veranstaltet worden, um die Entscheidung der Endlösung zu betreiben. Sondern sie hatte vielmehr den Zweck, die Zustimmung der anwesenden Vertreter der Ministerien und der anderen Beteiligten für die Initiative Heydrichs zu gewinnen, um den Bereich der Nürnberger Gesetze auszudehnen. Dieses stieß jedoch auf den Widerstand Hitlers, der sich seinerseits weigerte, einmal erlassene Gesetze zu ändern. Hitler befürchtete Widerstand der Opposition (was sich nachher auch bestätigen sollte) weil sich unter den sogenannten "Mischlingen" einflussreiche Familien befanden. Auf der Wannseekonferenz gab es dann auch Widerspruch des zuständigen Staatssekretärs für das Reichsministerium des Innern in diesem Punkt. Eine Entscheidung wurde verschoben; es gab dann noch eine Folgekonferenz, die in dieser Frage ebenfalls ohne Ergebnis blieb. Zu dieser Zeit wurden jedoch die Nürnberger Gesetze in der Praxis bereits aufgeweicht, da Deportationen im Osten und der Bau der "Durchgangsstraße 4" schon voll angelaufen waren.
Insofern ist die Wannsee-Konferenz ein Vorgang, der fortsetzte, was im März 1941 bei den ersten Kontakten zwischen Heydrich und Göring hinsichtlich der Beauftragung mit einer Endlösung der Judenfrage besprochen wurde. Göring, Chef des Vier-Jahres-Plans, hatte vom Zeitpunkt der "Reichskristallnacht" an auch die "Judenfrage" in seiner Zuständigkeit und übergab die laufenden Aufgaben in diesem Punkt an Heydrich. Seit Frühjahr 1941 war Heydrich darum bemüht, seine Position auf diesem Gebiet gegenüber dem Außenamt und dem späteren Reichsminister für die besetzten Ostgebiete abzusichern.
Die reelle Implementierung des Massenmords erfolgt nach meiner Ansicht erst nach der Wannsee-Konferenz. Heydrich hat noch etwa 10 Tage später in Prag davon gesprochen, die 11 Millionen Juden in das Eismeer Reservat zu deportieren - es sei aber noch nichts definitiv. Die immer vielzitierte Rede von Heydrich (...) deckt bei einer genaueren Analyse aber auch Widersprüche auf, insofern, dass einerseits davon die Rede ist, die nicht miteinbezogenen Juden (die nicht "im Osten strassenbauend tätig" sein würden) mit anderen Mitteln zu vernichten seien. Obwohl diese sogenannte "Reservatslösung" von vorn herein unrealistisch war, wurde sie weiterhin offengehalten, und rückte erst im Zuge der Kriegshandlungen immer mehr in den Hintergrund. Zum Zeitpunkt der Wannseekonferenz war sie aber noch eine Option. Insofern ist die Wannsee Konferenz eine wichtige, aber keine entscheidende Station in dem Prozess der Durchsetzung der systematischen Endlösungspolitik. "
n-tv.de: Wann und in welchem Zusammenhang wurde letztendlich die Entscheidung zu der Endlösung, wie wir sie heute definieren, gefällt?
Professor Dr. Hans Mommsen: "Man muss sich klar machen, dass bereits zu dem Zeitpunkt der Wannsee-Konferenz bereits eine halbe Million Menschen liquidiert worden sind. Insofern fängt die "Endlösung" schon wesentlich früher an, aber noch nicht im Sinne einer endgültigen Lösung, die nach der Niederlage oder der Zerschlagung der Sowjetunion erfolgen sollte. Erst nachdem sich dieses zerschlagen hatte, kam es dann zu einer Verschiebung der Bilder, insofern, als die gemeinsame Vision einer trans-uralischen Lösung, die auch mörderischen Charakter hat, sich dann deckt mit der systematischen Liquidierung der Bevölkerung. Diese kann an der "Aktion Reinhardt" und der Liqidierung der Juden des Generalgovernments festgemacht werden, was den eigentlichen Ausgangspunkt darstellt. Diese Entscheidung war unabhängig von der Wannsee-Konferenz getroffen worden, denn hier hatten Himmler und Globocnik die Verantwortung - während Heydrich und Eichmann zunächst für die Deportation von westeupäischen und mitteleuropäischen Juden zuständig waren. Diese zunächst parallel verlaufenden Aktionen flossen erst im März bzw. April des Jahres 1942 zusammen.
(Hans Mommsen geboren 1930 in Marburg, Sohn des Historikers Wilhelm Mommsen, studierte ab 1951 Germanistik, Geschichte und Philosophie in Marburg und promovierte 1959 über das Themas "Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburgerreich" bei Hans Rothfels in Tübingen. Dort war er auch seit 1960 als wissenschaftlicher Assistent tätig, wurde 1961 Referent am Institut für Zeitgeschichte in München und 1963 wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg am Lehrstuhl von Werner Conze. 1967 habilitierte er sich mit einer Studie über das "Beamtentum im Dritten Reich" bei Werner Conze und wurde 1968 Professor für Neuere Geschichte in Bochum. 1972/73 war er am Fellow Insitut for Advanced Study in Princeton, 1974 Gastprofessor in Harvard, 1978 in Berkeley und 1980 an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Hans Mommsen wurde 1996 emeritiert und lebt seither in Feldafing; z.Z. weilt er als Gastwissenschaftler am 'United States Holocaust Memorial Museum' in Washington D.C.)
Das Gespräch führte Torsten Kaiser.
Quelle: ntv.de