Politik

Struck zitiert Goethe "Die CDU kann mich mal"

SPD-Fraktionschef Peter Struck hat Forderungen nach einer Entschuldigung für seine scharfe Kritik an Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) barsch zurückgewiesen. Er sagte zu einer entsprechenden Forderung der CDU: "Die kann mich mal." Zuvor hatte er Koch in einem Radiointerview vorgeworfen, dieser sei froh über die schreckliche U-Bahnattacke von ausländischen Jugendlichen auf einen Rentner, weil diese ihm eine Vorlage für das Wahlkampfthema Ausländerkriminalität geliefert habe. Darauf angesprochen sagte Struck: "Herr Koch hätte eine solche Kampagne, wie er sie begonnen hat, nicht gemacht, wenn es sich um deutsche jugendliche Schläger gehandelt hätte."

Koch fordert im Zusammenhang mit Überfallen durch Jugendliche eine Verschärfung der Gesetze gegen Jugendgewalt und kriminelle Ausländer und wird dabei von der Union unterstützt. SPD, FDP, Grüne und Linkspartei kritisieren dies als unverantwortlichen Populismus im Landtagswahlkampf. In Wiesbaden untermauerten jedoch die Unions-Innenminister - zwei Wochen vor den Wahlen in Hessen und Niedersachsen - ihre Forderungen nach härterem Vorgehen gegen kriminelle Jugendliche.

"Deutliche Meinungsunterschiede"

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel räumt "deutliche Meinungsunterschiede innerhalb der Koalition" ein, sieht aber offenbar keinen Bruch: "Über bestimmte Aspekte des Themas gab und gibt es in der Koalition Einigkeit", sagte Merkel der Tageszeitung "Die Welt". Dazu zählten die Stärkung von Prävention, Integration, Bildung und Zivilcourage. Die von der Union geforderten schärferen Gesetze lehne die SPD ab: "Weil in Wahlkämpfen vor allem über Unterschiede gesprochen wird, rücken diese Differenzen stärker in den Vordergrund als die Gemeinsamkeiten."

Gleichzeitig legt Merkel aber nach, verteidigt die Haltung der Union und weist die Einwände der SPD zurück: Die CDU-Vorsitzende verlangte eine Erhöhung der Maximalstrafe von zehn auf 15 Jahren, beschleunigte Gerichtsverfahren und einen "Warnschussarrest im Zusammenhang mit Bewährungsstrafen" und Erziehungscamps. Solche geschlossenen Heime seien eine "notwendige Maßnahme" zur individuellen Therapie. Bei ausländischen Tätern müsse schneller als bisher eine Abschiebung verfügt werden. Während dieses Mittel bisher erst bei Verurteilungen ab drei Jahren in Betracht gezogen werde, solle dies künftig schon bei "einem Jahr ohne Bewährung gelten".

"Grenze überschritten"

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kommentierte die Struck-Äußerung mit den Worten, das "schlägt dem Fass den Boden aus. Hier ist endgültig eine Grenze überschritten." Das habe mit demokratischer Streitkultur nichts mehr zu tun. Struck wisse, dass er einen schwerwiegenden Fehler begangen habe und diesen schnell und unmissverständlich ausräumen müsse. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sagte der "Südwest Presse", Strucks Aussage sei "eine völlig abwegige Unterstellung".

"Unverschämtheit"

Auch Koch selbst wies die massiven Attacken als "Unverschämtheit" zurück. Struck instrumentalisiere das Thema Jugendkriminalität auf Kosten der Gewaltopfer, sagte Koch in einem Reuters-Interview. Der CDU-Politiker wies ferner Vorwürfe des Richterbundes zurück, er habe in Hessen die Justiz durch jahrelange Einschnitte und Personalabbau geschwächt. "Die Tatsache, dass Hessen das Land ist, das in den letzten Jahren keinen Anstieg der Körperverletzungsdelikte hat, dass wir die Zahl jugendlicher Ausländer zurückdrängen konnten, die sich damit befassen, zeigt, dass wir ganz gute Instrumente haben", sagte Koch. "Aber wir behaupten nicht, dass wir in allen Punkten perfekt sind. Trotz dieser guten Ergebnisse ist gerade die Frage, wie kann man Gerichtsverfahren weiter beschleunigen, eine Herausforderung, an der wir in Hessen noch arbeiten."

"Barer Unsinn"

Ex-Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nannte Kochs Forderungen nach härteren Strafen für kriminelle Jugendliche und schnellerer Ausweisung "baren Unsinn". Gegenüber "Spiegel" verteidigte Schily die frühere rot-grüne Regierung gegen die Angriffe des CDU-Politikers: "Das ist an Dreistigkeit kaum zu übertreffen. Unsere Politik war kein Wischi- Waschi, ich bin doch kein Träumer." Der von der Union geforderte "Warnschussarrest" sowie Erziehungscamps und Fahrverbote seien schon heute möglich. "Koch kennt offenbar das Jugendgerichtsgesetz nicht", sagte Schily. Nach seiner Ansicht hat die Union die Themen Einwanderung und Integration "jahrzehntelang schlicht geleugnet".

"95 Prozent sind ordentlich"

Unterdessen bemühen sich die CDU-Regierungschefs Christian Wulff und Ole von Beust in der immer hitzigeren Debatte um einen moderaten Wahlkampf-Kurs. Niedersachsens Ministerpräsident Wulff übte indirekt vorsichtige Kritik an seinem hessischen Amtskollegen Koch. In jüngster Zeit sei einiges gesagt worden, was kritisch gesehen werden könnte, sagte Wulff bei einer Veranstaltung mit Jugendlichen in Hannover. Namentlich erwähnte er Koch nicht. Ein Schüler hatte Wulff vorgehalten, die CDU nutze das aktuelle Thema Jugendkriminalität zu Wahlkampfzwecken. "Ich bin hier in Niedersachsen, ich habe damit nichts zu tun", sagte Wulff.

Hamburgs Bürgermeister von Beust warnte davor, in der Debatte junge Menschen unter Generalverdacht zu stellen. "Es darf nicht dazu kommen, dass die Exzesse weniger zur Diskreditierung der Majorität führen." Sowohl junge Deutsche als auch Jugendliche mit ausländischem Kulturhintergrund seien zu "über 95 Prozent ordentliche Leute". Zugleich forderte Beust ein hartes Durchgreifen bei Gewaltexzessen und gegebenenfalls auch Gesetzesänderungen.

"Verbale Abrüstung"

Auf Antrag der Grünen sollen kommende Woche die Abgeordneten im Bundestag in einer Aktuellen Stunde über das Thema Jugendkriminalität diskutieren. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief SPD und Union zur "verbalen Abrüstung" auf. "Bei der Regierung sieht man da eine offene Feldschlacht." Parteichefin Claudia Roth warf Koch beim Wahlkampfauftakt der Grünen in Hannover eine "unanständige" Politik vor. Der CDU-Regierungschef betreibe "dröhnenden Populismus".

Auch in der FDP wächst offensichtlich der Unmut über Koch. Parteichef Guido Westerwelle sagte der Hannoverschen "Neuen Presse": "Der stellvertretende Vorsitzende der CDU sollte sich weniger Gedanken darüber machen, gegen wen man welches Thema in welchem Wahlkampf ausspielt, sondern mehr darüber, wie man die Probleme tatsächlich löst."

Die Diskussion über härtere Jugendstrafen soll demnächst auch Thema im Berliner Koalitionsausschuss von Union und SPD werden - allerdings wohl erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 27. Januar.

Quelle: ntv.de

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