Was hat der Volksentscheid für Folgen? "Die EU ist lebenswichtig für die Schweiz"
26.02.2014, 15:04 Uhr
(Foto: imago/Geisser)
Zu viele Deutsche, zu viele Ausländer: Die Schweizer haben per Volksentscheid für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt. In dieser Woche debattiert das EU-Parlament über das zukünftige Verhältnis zur Schweiz. Josef Janning, Europa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, erklärt im Interview mit n-tv.de, wie wichtig die EU für die Eidgenossen ist.
n-tv.de: Wie erklären Sie sich das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids gegen Massenzuwanderung?
Josef Janning: In mancherlei Hinsicht ist die Schweiz wohlhabender als Deutschland. Daher ist das Land von außen höchst attraktiv, sowohl für Reichtums- als auch für Armutszuwanderung. Doch bei den Schweizern gibt es den tiefen Wunsch, sie selbst zu bleiben. Sie wollen gleichzeitig Teil der Welt sein und von ihr profitieren, das gilt etwa für den europäischen Raum. Trotzdem wollen sie irgendwie Schweiz bleiben. Deshalb hat die SVP den Zuzug von jährlich 80.000 EU-Bürgern thematisiert und damit sehr erfolgreich mobilisiert.
Warum richtet sich das Referendum ausgerechnet gegen Deutsche in der Schweiz?
Das Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern ist eng, aber seit jeher nicht ohne Komplikationen. Die Schweiz, insbesondere die Deutsch-Schweiz, ist traditionell stark auf Deutschland ausgerichtet, stand aber immer im Schatten des großen Bruders. Das ist ein Grund dafür, warum das Ergebnis gegen Masseneinwanderung hier so deutlich ausgefallen ist. Die Deutsch-Schweizer sind traditionell darauf bedacht, nicht aufgehen zu wollen in einer Art deutschem Brei. In der französischen Schweiz finden Sie das nicht.
Wie wichtig ist Deutschland beziehungsweise die EU für die Schweiz?
Wichtig. Ich würde sogar sagen lebenswichtig. An vielen Entscheidungen in Brüssel nehmen sie gar nicht teil. Die meisten Regelungen, die von der EU erlassen werden, können sie bei sich nur noch in nationales Recht umsetzen. Die Schweiz finanziert die Finanztransfers der Europäischen Union auch mit, etwa in den Sozial- und Strukturfonds. Ich dachte eigentlich, sie hätten inzwischen verstanden, dass sie nicht immer nur die Sahne abschöpfen können und ein Maß an Solidarität Teil dieses Wirtschaftspaketes ist, von dem sie so sehr profitieren.
Ist die Schweiz auch wichtig für die EU?
Die Schweiz ist wirtschaftlich sehr viel weniger wichtig für die Union, weil sie so klein ist. Trotzdem ist sie nicht nur irgendein Kleinstaat. Denn die Schweiz ist ein Transitland im EU-Territorium und ein Finanzstandort mit eigenem Recht.
Was hat der Entscheid für Folgen?
Die EU und die Schweiz werden versuchen, diese Folgen zu begrenzen. Aus deutscher Sicht kann man sich ein Entgegenkommen vorstellen. Bei anderen kleinen Nachbarn gibt es so etwas auch. Die Dänen beispielsweise haben im Rahmen der Freizügigkeit des Binnenmarktes eine Sonderregelung, die es EU-Bürgern schwermacht, Grund und Boden in Dänemark zu erwerben, wenn sie dort nicht dauerhaft leben. Die Österreicher haben eine ähnliche Regelung.
Was heißt das für die Schweiz?
So etwas wie in Dänemark oder Österreich wäre natürlich auch für die Schweiz denkbar. Das kann aber nur funktionieren, wenn die "Essentials" unangetastet bleiben - nämlich der Kern der EU/Schweiz-Zusammenarbeit, also der Binnenmarkt und die damit zusammenhängenden Regelungen. Man könnte sich etwa vorstellen, dass die Freizügigkeit nicht völlig eingeschränkt würde, sondern nur bestimmten Beschränkungen unterworfen ist.
Das bedeutet: So dramatisch ist das Ergebnis des Schweizer Referendums gar nicht und die Umstellung könnte relativ problemlos erfolgen?
Nein, aber ein Volksentscheid hat eine andere Tragweite als etwa ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Referendum lässt der Schweizer Regierung mehrere Möglichkeiten offen. Es gibt eine Frist, in der eine Umsetzung der Entscheidung vorbereitet werden muss. Dazu ist sie gehalten, Kontingente für Zuwanderung einzuführen. Dabei hat sie jedoch einen Spielraum.
Die Schweiz hat zuletzt erklärt, Kroatien keine Freizügigkeit mehr gewähren zu wollen.
Dass die Schweiz jetzt hergeht und die Freizügigkeit für Kroaten nicht zulässt, macht die Sache komplizierter. Das Protokoll muss sie schließlich ratifizieren als Teil des kroatischen Beitritts zur EU. Plötzlich fängt die Schweiz an, eine selektive Umsetzung des Referendums zu betreiben. Das wird die EU nicht überzeugen, denn die Schweiz hat sich vertraglich dazu verpflichtet.
Und was passiert, wenn die Schweiz die Verpflichtungen nicht einhält?
Dann wird die EU ihrerseits, was sie ja teilweise schon getan hat, laufende Verhandlungen aussetzen. Sollte die Schweiz die Verpflichtungen dauerhaft nicht einhalten, tritt die sogenannte Guillotine-Klausel in Kraft. Die Verträge zwischen Schweiz und EU sind ein Gesamtpaket. Wenn ein Teil daraus verletzt wird, ist das ganze Paket nichtig. Das würde bedeuten, dass die Schweizer auch den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren würden.
Was hätte das für die Schweiz für Konsequenzen?
Das meiste, was die Schweizer produzieren, hängt in erheblichem Maße vom EU-Markt ab. Wenn sie aber nicht mehr den vollen Zugang zum Binnenmarkt haben, müssten sie in die EU exportieren. Das würde einige Unternehmen schwer treffen. In der EU gilt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Heute ist es so: Wenn Schweizer Unternehmen etwas auf den heimischen Markt bringen, dann können sie es auch in der ganzen EU. Sind sie nicht mehr Teil des Binnenmarktes, geht das nicht mehr. Folgen hätte das auch für die Freizügigkeit. Bisher können Schweizer frei durch die EU reisen.
Was für innenpolitische Folgen hat das Referendum für die Schweizer?
Durch ihre Attraktivität hat die Schweiz zurzeit einen erheblichen Vorteil für gut ausgebildete Kräfte. Die deutliche Mehrheit der Schweizer Hochschullehrer sind keine Schweizer, sondern Ausländer. Eine Schweiz, die EU-Bürger zu Bürgern zweiter Klasse macht, wird diese Brain-Power nicht mehr anziehen.
Was ist Ihre Prognose: Wie sehr wird das Schweizer Referendum das Verhältnis zu Deutschland und der EU verändern?
Die deutsche Regierung hat kein Interesse daran, die Schweizer in eine Ecke zu treiben. Die Schweizer haben gegen ihre längerfristigen wirtschaftlichen Interessen gehandelt, aber es scheint in der Bevölkerung ein schwelendes Unbehagen zu geben. Die deutsche Politik wird daher ausloten, wie sie diesem Unbehagen entgegenkommen kann. Es geht ja jetzt nicht darum, dass die Schweizer sich erbittert von Europa abwenden und die Europäer ihnen mal zeigen, was eine Harke ist. Die Idealvorstellung wäre, dass die Schweizer irgendwann zu dem Schluss kommen: 'Das war wahrscheinlich ein Fehler'. Diese Möglichkeit muss offenbleiben.
Mit Josef Janning sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de