Politik

De Maizière tastet sich vor Die Experimente eines Dieners

Auch wenn er sie vermeiden will, die Frage steht im Raum: Kann Thomas de Maizière Kanzler?

Auch wenn er sie vermeiden will, die Frage steht im Raum: Kann Thomas de Maizière Kanzler?

(Foto: dapd)

Seit Jahrzehnten ist er zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Thomas de Maizières politische Karriere basiert auf Fleiß und Loyalität. Loyalität vor allem gegenüber seinen Ämtern und Aufgaben. Was zählt, ist das Land. Eigene Karrierepläne versucht er zu verbergen. Ein neues Interviewbuch mit dem CDU-Mann zeigt: Ganz ohne Ambitionen ist er wohl nicht.

Thomas de Maizière muss sich von Franz Müntefering eine kleine Spitze gefallen lassen.

Thomas de Maizière muss sich von Franz Müntefering eine kleine Spitze gefallen lassen.

(Foto: dpa)

Thomas de Maizière ist in den vergangenen Tagen ziemlich zurechtgestutzt worden. Dass er seinen Soldaten Anerkennungsgier vorwarf und ihnen empfahl, sich zurückzuhalten, hat Teile der Truppe gegen ihn aufgebracht. Und in den Zeitungen fragten sich die Kommentatoren: Was hat er sich dabei gedacht? Als de Maizière nun ein biografisches Interviewbuch vorstellt, bietet einer eine mögliche Antwort an, der das offene Wort pflegt: SPD-Haudegen Franz Müntefering. "Vielleicht lebt er als Verteidigungsminister selbst in Uniform und meinte sich selbst", sagt der 70-Jährige. Ein nicht ganz ernst gemeinter Seitenhieb vom politischen Gegner, der den CDU-Mann aber vermutlich härter getroffen hat, als gewollt.

Denn de Maizière fiel in den vergangenen Wochen häufiger als gewohnt als einer auf, dem der "gute Ton" verrutscht. Etwa auch, als er Kampfdrohnen als ethisch neutrale Waffen bezeichnete. Oder als er dafür plädierte, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen - sprich: sich für eine leichtere Entsendung in Auslandseinsätze stark machte. Dabei ist der "gute Ton" doch genau das, was dem Verteidigungsminister so wichtig ist, schon immer so wichtig war. Und ausgerechnet jetzt erscheint das Buch mit dem Titel "Damit der Staat den Menschen dient". Ein etwas staatstragender Titel, aber genau so ist er gemeint. Auf fast 400 Seiten wird de Maizière darin befragt, erteilt Auskünfte über sein Leben, seine Ämter, sein Denken, sein Selbstverständnis.

Wegbegleiter Weizsäckers und Diepgens

Und tatsächlich ist vieles zu erfahren über den gebürtigen Bonner aus einer Hugenottenfamilie, dessen Vater als ranghoher Militär den Aufbau der Bundeswehr begleitete. Es entsteht das Bild eines Mannes, für den nach eigener Aussage das Dienen eine zentrale Rolle spielt. Dem Bescheidenheit wichtig ist, der für Höflichkeit im Umgang eintritt, den "guten Ton" als essenziell für das Funktionieren einer Gesellschaft beschreibt, denn "sonst verkümmert sie und wird zu kalt", wie er sagt.

Das gedruckte Gespräch zeichnet seinen Weg nach, erzählt von seiner Kindheit in Kasernen - man nannte ihn schon mit zehn Jahren den "kleinen General". De Maizière berichtet von der Schulzeit am katholischen Aloisiuskolleg, von Wehrdienst, Jurastudium und erste Gehversuche in der Studentenpolitik in Münster, von seinem Umzug nach Berlin. Dort gewinnt er Einblicke in eine historisch höchstspannende Epoche, ist am politischen Aufstieg des später stilbildenden Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker beteiligt und begleitet den Westberliner Grenzstadtbürgermeister Eberhard Diepgen in die Wende hinein.

Was bezweckt de Maizière mit dem Buch?

Die deutsche Geschichte teilte auch die Familie de Maizière: Lothar und sein Bruder Thomas.

Die deutsche Geschichte teilte auch die Familie de Maizière: Lothar und sein Bruder Thomas.

(Foto: picture alliance / dpa)

Gemeinsam mit vielen anderen, allen voran seinem Cousin Lothar de Maizière, ist er einer der Architekten der Deutschen Einheit und leistet dann politische Pionierarbeit: In den 90er Jahren geht er zunächst nach Mecklenburg-Vorpommern und hilft beim Aufbau politischer Strukturen, ohne dabei, wie Weggefährten bestätigen, als arroganter Lehrer aufzutreten. Um die Jahrtausendwende wechselt er nach Dresden in die Sächsische Staatskanzlei, wird Landesminister - erst für Finanzen, dann Justiz, schließlich Inneres. 2005 folgt dann die Rückkehr nach Berlin. Seine kurzzeitige Weggefährtin aus Wendezeiten, Angela Merkel, will ihn als Kanzleramtschef. Später wird er Innenminister, dann - als Karl-Theodor zu Guttenberg fällt und Kanzlerin Angela Merkel einen soliden Nachfolger braucht - Verteidigungsminister.

Die Botschaft, die de Maizières Vita vermittelt, lautet: Hier spielt einer dort, wo er aufgestellt wird. Wenn der Staat ihn braucht, dann ist er zur Stelle. Eine Botschaft der Bescheidenheit, die der einstige Kettenraucher gerne unterstreicht. "Ich habe eine gewisse Scheu, über mich selbst zu sprechen", sagt er. Und um Missverständnisse zu vermeiden, lautet seine Begründung dafür, sich für das Interviewbuch zur Verfügung zu stellen, nach kurzem Nachdenken: "Ich fand es verlockend, eine Streitschrift für demokratische Politiker zu verfassen." Das auszuräumende Missverständnis, das da im Raum steht, ist freilich die Frage: Will sich da etwa ein Politiker, der jahrelang in der zweiten Reihe stand, für höhere Aufgaben empfehlen? Will er gar per Charme- und Öffentlichkeitsoffensive in die erste Reihe stürmen?

De Maizière ist ein bisschen wie Merkel

Vermutlich tut man ihm mit einer solchen Verdächtigung ein wenig Unrecht. De Maizière will seiner Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel nicht an den Kragen. Er bekennt: "Ich bin gerne Verteidigungsminister." Und, dass er das gerne weitere vier Jahre bleiben will. Aber was kommt dann? Diese Frage stellt sich auch fernab der Frage nach de Maizières Ambitionen: Was macht die CDU nach Angela Merkel? Es fehlt an Spitzenpersonal. Ihr Umgang mit parteiinternen Konkurrenten ist Legende. Die testosterongeladenen Jungs vom Andenpakt? Allesamt ausgesessen, weggelobt und abgesägt. Den hollywoodreifen Shooting-Star Karl-Theodor zu Guttenberg? Mit Genuss an seiner eigenen Eitelkeit scheitern lassen. "Musterschüler" Norbert Röttgen? Nach bitterer Wahlniederlage als letzte Lektion eiskalt abserviert.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Wer an die "gläserne Decke" unterhalb von Angela Merkel stößt, der sieht sich jäh schachmatt gesetzt. Für Thomas de Maizière bedeutet das zweierlei: Zum einen ist er durch diesen Prozess heimlich, still und leise aufgerückt. Wer sich heute in der Union nach einem natürlichen Nachfolger Merkels umsieht, wird so schnell keinen finden. Warum also nicht de Maizière? Mehr noch: Vieles spricht ausdrücklich für ihn. Denn er hat ein wenig von dem, was Merkel so erfolgreich macht. De Maizières Zurückhaltung schätzen die Menschen, so wie den vermittelnden, nicht auftrumpfenden Stil der Kanzlerin. Und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Bei der Konkurrenz wimmelt es dagegen nur so an Reizfiguren: Peer Steinbrück, Jürgen Trittin, Rainer Brüderle - Personen, die man wegen ihrer forschen Art entweder mag oder hasst. Merkel und de Maizière rufen solche Gefühle nicht hervor und kommen gerade deswegen gut an.

Verteidigungsminister will nicht mehr - noch

Wahrscheinlich weiß die Kanzlerin, dass in de Maizière mehr Potenzial steckt, als ihr serviler Wegbegleiter zu sein. Und das bedeutet für de Maizière auch, dass er sich in Acht nehmen muss, Merkel nicht zu nahe zu kommen. Er hat vor der ostdeutschen Pfarrerstochter Respekt. Er sagt aber auch einen zentralen Satz, der viel verrät: "Sie ist meine Chefin, und da kann sie nicht meine Freundin sein." Will er sich in Position bringen, darf er sich nicht anbiedern, aber auch im Karrierestreben eine bestimmte Linie bei Merkel nicht überschreiten. Insofern ist sein Interviewbuch ein geschicktes Manöver: Denn er lässt es menscheln, gewährt trotz postulierter Distanz Einblicke in Privates, "macht sich" sympathisch. Er lässt aber auch keine Gelegenheit aus, die "Chefin" zu loben und klarzustellen, wo er in der Hierarchie steht: hinter ihr.

Fast scheint es, als experimentiere de Maizière auch fernab seines Buches derzeit mit der Öffentlichkeit und wie weit er gehen kann, um sich ein Profil zu geben. Seine Aussagen über das Anerkennungsstreben der Soldaten sind das beste Beispiel. Nach heftiger Kritik musste er zurückrudern und will heute nichts mehr davon wissen. Auch als er sein Buch vorstellt, will er dazu nichts mehr sagen. Die letzten Passagen in de Maizières Buch lesen sich jedoch wie die Lehre aus der Affäre. Auf seine "Kanzlerabilität" angesprochen, weicht er aus, betont, wie zufrieden er mit seinen Ämtern ist. Aber auch, dass er zugreifen will, "wenn mich etwas wirklich locken würde". Um aber auch gleich den zeitlichen Rahmen dieser vage formulierten Ambitionen zu stecken: "Nicht jetzt." Da ist er wieder, der Mann, der den "guten Ton" beherrscht.

Quelle: ntv.de

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