Politik

Heizungen und Graichen-Affäre Die Grünen rüsten sich für den perfekten Sturm

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Haben dieser Tage viel zu besprechen: Grünen-Fraktionsvorsitzende Dröge und Wirtschaftsminister Habeck.

Haben dieser Tage viel zu besprechen: Grünen-Fraktionsvorsitzende Dröge und Wirtschaftsminister Habeck.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Die Affäre um seinen Staatssekretär erwischt Wirtschaftsminister Habeck zur Unzeit. Die Grünen wollen das von den eigenen Koalitionspartnern diskreditierte Heizungsgesetz durchbringen, während ihr Ansehen bei den Wählern immer weiter sinkt. Habeck spricht den eigenen Reihen Mut für schwierige Wochen zu.

Wo ist dieser Tage eigentlich Patrick Graichen? Der Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist inmitten der Debatte über sein vielleicht größtes Vorhaben abgetaucht. Dabei ist der leitende Architekt des großen Heizungstausches sonst gerne bereit, Journalisten in großen Hintergrundrunden Einschätzungen zum Stand politischer Debatten und Projekte zu geben. Seit das Bundeswirtschaftsministerium einräumen musste, dass Graichen an der Auswahl seines Trauzeugen für den Geschäftsführerposten der bundeseigenen Deutschen Energieagentur (DENA) beteiligt war, ohne das Näheverhältnis zum Bewerber transparent zu machen, steht Graichen im Zentrum einer Empörungswelle über persönliche Verflechtungen an der Spitze des Ministeriums.

Für seinen Chef, Vize-Kanzler Habeck, hätte die Affäre zu einem kaum ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Die Umfragewerte der Grünen kennen seit Mitte Januar nur noch einen Weg: nach unten. Von 20 auf 16 Prozent ist Partei im RTL/ntv Trendbarometer abgerutscht. Immer weiter, je heftiger der Streit über das geplante Gesetz zum Verbot des Neueinbaus fossiler Heizungen tobte. Die Debatte um Graichens Trauzeugen und die familiären und freundschaftlichen Beziehungen an der Spitze von Habecks Ministerium sowie zu Instituten und Verbänden dürfte die Zustimmung zu den Grünen weiter drücken.

Habeck spricht Mitstreitern Mut zu

Die Opposition fordert Graichens Entlassung und Aufklärung über familiäre Verflechtungen und wirft dabei fröhlich alles in einen Topf: Graichens Trauzeugen-Vergehen, die eigentlich schon lange bekannten Verwandtschaftsverhältnisse und die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), das Mieter und Eigentümer absehbar vor beachtliche Kosten stellt. Gerechtfertigt oder nicht, die Melange der Kritik stellt die Grünen vor eine immense strategische Herausforderung: Grünen-Politiker Jürgen Trittin sprach am Mittwoch im Deutschlandfunk von einer "gezielten Kampagne", der Habeck und sein Haus ausgesetzt seien. Da aber selbst Habeck die Trauzeugen-Affäre seines Staatssekretärs als "Fehler" einordnete, können die Grünen Kritik kaum mit dem Vorwurf der "Kampagne" abtun.

Am Freitag nahmen Habeck und Abgeordnete seiner Partei an einem Kongress der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zur Wärmewende teil. Es ist Teil des Versuches, die Heizungsdebatte wieder in ruhigere Bahnen zu führen. Habeck nutzt die Gelegenheit, den Zuhörern aus Partei, Verbänden und Instituten Mut zuzusprechen: Es sei immer absehbar gewesen "und allen Beteiligten hoffentlich bewusst, mir jedenfalls vollständig bewusst, dass diese Debatte die oder eine der herausforderndsten wird". Den Kopf in den Sand zu stecken, sei aber keine Option. Die Grünen müssten zeigen, dass sie in Regierungsverantwortung Probleme angehen, "auch wenn es schwierig ist und weh tut". Fragen der anwesenden Presse zu Graichen weicht Habeck unter Verweis auf dringende Anschlusstermine aus.

Ein diskreditiertes Gesetz

Auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge nordet die Versammelten noch einmal ein. Der Zeitdruck beim vollständigen Verbot neuer Öl- und Gasheizungen rühre vor allem daher, dass der hohe Anteil fossiler Gebäudewärme in Deutschland von früheren Bundesregierungen nicht angegangen wurde. Dröge spricht von "Politikversagen" und wirft der politischen Konkurrenz vor, gezielt "Ängste zu schüren, die keine Grundlage haben". Und: "Es ist kein guter politischer Stil zu behaupten, dass etwas in einem Gesetz drinsteht, was nicht drin stand, um danach zu feiern, dass es jetzt nicht drinsteht."

Was Dröge nicht tut: Ross und Reiter zu benennen. Es waren die eigenen Koalitionspartner, allen voran die FDP, mit Abstrichen aber auch die SPD, die den im Februar geleakten, unfertigen Gesetzentwurf zum Anlass genommen hatten, vor einer Überforderung der Bürgerinnen und Bürger durch Habecks Pläne zu warnen. Nach einem marathonartigen Koalitionsausschuss Anfang März behaupteten sie wiederum, ein sofortiges Verbot fossiler Heizungen verhindert zu haben. Das aber war trotz anderslautender Behauptungen nie geplant. Die öffentliche Akzeptanz des Gesetzes ist seither am Boden. Vor wie nach der Koalitionseinigung lehnten fast vier Fünftel aller Befragten die GEG-Novelle ab. In den Umfragen legten derweil vor allem Union und AfD zu, die das Gesetzesvorhaben weitgehend oder ganz weg haben wollen.

Mehr Geld gegen Vorwurf der Überforderung

Am Freitagmorgen legte Dröges Fraktion ein Papier vor, demzufolge die staatlichen Zuschüsse für die Umstellung der Heizung auf das geplante Erneuerbare-Energien-Gebot bis zu 80 Prozent der Kosten abdecken sollen. Der in der Ampelkoalition mühsam vereinbarte Regierungsentwurf sieht eine Förderung von höchsten 50 Prozent vor und das für einen kleineren Empfängerkreis. Die Partei wolle "insbesondere Menschen mit kleinem, aber auch mittlerem Einkommen noch besser unterstützen", sagt Fraktionschefin Katharina Dröge zu RTL und ntv. Die Grünen wollen damit wegkommen vom auch durch Koalitionspartner erhobenen Vorwurf, Eigenheimbesitzer, Mieter und Vermieter mit der GEG-Novelle finanziell zu überfordern.

Die Verhandlungen über die soziale Staffelung umfassender Förderungen mit SPD und FDP dürften schwierig werden. In drei Wochen schon soll das Gesetz erstmals im Bundestag gelesen werden. Das Ziel, es bis Anfang Juli zu verabschieden, ist ambitioniert. FDP und Teile der SPD, darunter Bundesbauministerin Klara Geywitz, warnen vor einem zu bürokratischen Aufwand, wenn die Förderung an Einkommen und Vermögen gekoppelt wird. Die FDP und ihr Vorsitzender, Bundesfinanzminister Christian Lindner, wollen zudem keine zusätzlichen Gelder aus dem Bundeshaushalt bereitstellen. Die Grünen setzen daher auf den Klima- und Transformationsfonds, müssten hierfür aber andere Energiewende-Projekte streichen oder anderweitig finanzieren - sonst würde dieses Sondervermögen des Bundes überzeichnet.

Grüne verharren in Defensive

Graichen, familiäre Beziehungen zwischen Habecks Haus und Verbänden und die höchst unpopuläre Heizungsnovelle, für die SPD und FDP nicht verantwortlich sein wollen: Den Grünen droht der perfekte Sturm. Alles hängt miteinander zusammen und gefährdet einander. Gelingt die Verabschiedung der GEG-Novelle so, dass sie sozial verträglich und für die breite Gesellschaft verständlich ist, könnte dies einer der größten Erfolge Habecks werden. Aber auch das Gegenteil ist möglich. Habeck hat entschieden, sich vor Graichen zu stellen, ihm die Trauzeugen-Affäre durchgehen zu lassen, weil Graichen sich nach dem plötzlichen Wegfall des russischen Gases um Deutschland verdient gemacht habe und auch, weil Habeck den unbestrittenen Experten für die Umstellung Deutschlands auf Erneuerbare Energien braucht.

Zugleich finden Minister und Partei nicht den Mut, sich zu ihrem Netzwerk zu bekennen: Die Grünen wollen in Zusammenarbeit mit ihnen nahestehenden Denkfabriken, Verbänden und Instituten die große Umstellung der deutschen Energie- und Wärmeversorgung umsetzen, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Ebenso tut sich die Partei schwer, ihre Koalitionspartner öffentlich für die Torpedierung des Gebäudeenergiegesetzes zu rügen. Es ist eh schon genug Porzellan zerschlagen worden zwischen den Regierungspartnern.

Fraktionen müssen es lösen

Hilfreich zur Seite springen könnte den Grünen die SPD: Gelingt es beiden Fraktionen, die individuellen Kosten für den großen Heizungstausch gegen den Widerstand der FDP deutlich abzusenken, könnte die Akzeptanz des Vorhabens wachsen. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich fordert eine soziale Staffelung der staatlichen Zuschüsse. Zur Debatte steht seitens der SPD zudem, wohlhabende Menschen ganz außen vorzulassen. Der Ball liegt auch deshalb bei den Fraktionen, weil der GEG-Entwurf von Haeck und Geywitz nur unter dem Protest Lindners verabschiedet werden konnte. Jetzt sollen die Abgeordneten zum Erfolg führen, was die Parteispitzen nicht einen konnten. Dabei ist deren Druck zur Selbstprofilierung noch größer. So kündigte etwa FDP-Fraktionschef Christian Dürr in der "Bild"-Zeitung an, er werde Habecks "Heizungshammer entschärfen". Auch wenn Hammer per se stumpfe Werkzeuge sind: Streit zwischen den Regierungsfraktionen ist für die kommenden Wochen anscheinend programmiert.

Die Grünen zeigen sich dennoch entschlossen, das GEG bis zur Sommerpause zu verabschieden - wohl auch in der Hoffnung, dass sich die öffentliche Entrüstung bis zur Bundestagswahl 2025 legt und viele Menschen erkennen, dass sie ihre Heizung so schnell gar nicht modernisieren müssen. Zeitgleich sollen die Preise für Wärmepumpen sinken und Kommunen mehr Fernwärme-Anschlüsse anbieten. Habeck, dem unverminderte Ambitionen aufs Kanzleramt nachgesagt werden, feuert die Teilnehmer der Wärmewende-Konferenz an: Die Grünen stünden vor der Wahl, sich erstens selbst in die Tasche lügen, dass die Klimaziele auch ohne große Veränderungen zu erreichen seien oder zweitens diese gleich ganz aufzugeben. "Oder drittens: Sind wir mutig genug und stellen uns der Debatte, wollen dafür am Ende die Verantwortung tragen und diese Verantwortung am Ende auch zur Wahl stellen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen