"Sie hat's verlernt" Die Klimaqueen dankt ab
12.12.2008, 14:57 UhrEinstimmig hat sich der EU-Gipfel auf das Paket zum Klimaschutz geeinigt. Das teilte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy mit, der den Beschluss für "historisch" hält. Die EU bleibe bei ihrem Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: "Dies ist ein Punkt, wo Europa sagen kann: Wir werden unserer Vorreiterrolle gerecht."
Es stimmt, die Klimaziele wurden nicht aufgegeben. Noch nicht. Denn eines ist klar: Die EU hat ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz abgelegt. Die drei großen Bremser - Italien, Polen und Deutschland - haben sich durchgesetzt.
Für Branchen mit hohem Energieverbrauch sieht der Beschluss genau festgelegte Sonderregeln vor. Unternehmen, die zu dieser Gruppe gehören, können ihre Verschmutzungsrechte umsonst bekommen, wenn sie die bestmögliche Technik einsetzen. Stromerzeuger müssen im Jahr 2013 mindestens 30 Prozent ihrer Emissionsrechte ersteigern und "nicht später als 2020" dann 100 Prozent. Für Polen und andere osteuropäische Länder mit alten Kohlekraftwerken sind besondere Zuteilungen vorgesehen.
Das Europäische Parlament muss dem Beschluss noch zustimmen. EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso glaubt, "dass das erreicht werden kann". Greenpeace appellierte bereits an die Abgeordneten, das Klimapaket abzulehnen.
Stumpfes Schwert entschärft
Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand der Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten, den so genannten Zertifikaten, die bisher weitgehend kostenlos zugeteilt werden. Ursprünglich war geplant, dass die besonders klimaschädlichen Kraftwerke ab 2013 für ihre Zertifikate zahlen müssen. Das gefiel den osteuropäischen Ländern nicht, deren Energieversorgung in großen Teilen noch immer auf Kohle basiert. Zudem sollte ab 2013 gelten, dass auch die Industrie ihre Zertifikate in der Regel nicht mehr kostenlos erhält. Das gefiel Deutschland und Italien nicht.
Schon bisher war der Emissionshandel bestenfalls ein stumpfes Schwert. Auf den ersten Blick schien die Idee ganz vernünftig zu sein: Jedes Unternehmen bekommt eine bestimmte Menge an Verschmutzungsrechten zugewiesen, die so genannten CO2-Zertifikate. Wer mehr ausstößt, muss Emissionsrechte von sparsameren Betrieben kaufen oder seinen Ausstoß reduzieren.
Funktioniert hat das System nicht. Zu Beginn des Emissionshandels verteilten die nationalen Regierungen ihre Zertifikate so großzügig, dass die Preise in den Keller rauschten; es war billiger, Zertifikate zu kaufen, als in CO2-Einsparungen zu investieren. Die Stromerzeuger haben vom Emissionshandel sogar noch profitiert: Sie gaben Kosten für die Zertifikate an die Verbraucher weiter, für die sie gar nicht bezahlt hatten. "Wir haben Windfallprofits und Extragewinne zu Lasten der Stromverbraucher zugelassen", gab Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) unlängst zu. Erst seit 2008 müssen die Stromerzeuger zahlen - allerdings bekommen sie noch immer 90 Prozent der Zertifikate kostenlos.
Aufs falsche Pferd gesetzt
Der Beschluss von Brüssel kommt sowohl Deutschland und Italien als auch den Osteuropäern entgegen. Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagt, die Gipfelbeschlüsse zeigten: "Wirtschafts- und Umweltpolitik sind kein Gegensatz."
Merkel und Steinmeier haben Unrecht: Ihre Wirtschaftspolitik steht in krassem Gegensatz zu ihren eigenen Klimazielen. "Was wir brauchen sind neue Arbeitsplätze, einen viel stärkeren und schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, dazu Altbausanierung und viele andere Klimaschutzmaßnahmen, damit Energie bezahlbar bleibt", sagt Hans-Josef Fell, Energieexperte der Grünen, gegenüber n-tv.de.
Ein Festhalten am konventionellen Energiesystem werde wegen der knappen Ressourcen zu immer höhere Preisen führen. "Die Folge wird ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen sein." Fell fordert einen klimaorientierten Umbau der Gesellschaft als Antwort auf die Rezession. "Stattdessen hält die Bundesregierung krampfhaft an den alten, klimazerstörenden Technologien fest; mit dem Ergebnis, dass Frau Merkel weder Klimaschutz noch Energiesicherheit ernten wird."
Studien belegen, dass Bundesregierung und EU auf das falsche Pferd setzen. Laut "Welt" bedroht die geplante Versteigerung von Emissionsrechten einer unveröffentlichten Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge fast 300.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Dagegen ergibt eine Studie für das Bundesumweltministerium, dass mit Klimaschutz in Deutschland bis 2020 rund 500.000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. "Nötig wäre ein Paket von 35 Maßnahmen wie zum Beispiel Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz, die bis 2020 zu einer Reduzierung des deutschen CO2-Ausstoßes um 40 Prozent führen würden", erläutert Wolfgang Schade vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung gegenüber n-tv.de.
"Egal, wenn andere Staaten untergehen"
Merkel spricht von einem "wichtigen Signal" an die UN-Klimakonferenz im polnischen Posen, schließlich gebe es ja "keinerlei Abstriche" an den europäischen Klimazielen. Europa werde "seine Vorreiterrolle verantwortlich wahrnehmen". Doch die Stimmung in Posen war eine andere. "Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sehen Europa nicht mehr als Vorreiter. Der Hilferuf, der bei der Klimakonferenz von den kleineren Inselstaaten kam - Rettet uns! -, ist ungehört verpufft", sagt Hans-Josef Fell. "Die Haltung der EU ist eine regelrechte Brutalität: Wir schützen unsere alte Wirtschaft, uns ist egal, wenn andere Staaten untergehen."
Auch die Umweltorganisation Germanwatch ist "sehr enttäuscht, dass die 'Klimaqueen' der letzten Jahre diesen Rückschritt zugelassen hat", so ihr politischer Geschäftsführer Christoph Bals gegenüber n-tv.de.
"Einer hat's verstanden"
Grünen-Chef Cem Özdemir fordert einen "Green New Deal" für Deutschland und Europa. Nur so schaffe man Arbeitsplätze, die auch morgen noch sicher seien. "Ich kenne einen, der hat's kapiert, das ist Barack Obama in den USA", sagte Özdemir bei n-tv. "Ich kenne aber eine andere, die hat's nicht kapiert oder hat's wieder verlernt: Das ist die Bundeskanzlerin".
Vielleicht war die europäische Führung beim Klimaschutz nur möglich, weil der weltweit größte Bremser im Weißen Haus saß. Dieser Job ist frei geworden. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ausgerechnet die deutsche Kanzlerin sich um die Nachfolge bewirbt?
Quelle: ntv.de, mit dpa, AFP