Was will Moskau? "Die Krim ist Putins Rache"
05.03.2014, 21:12 Uhr
"Russland will verhindern, dass EU und Nato mit der Ukraine zu stark werden und man selbst aus Europa herausgedrängt wird", sagt Franz Preissler.
(Foto: REUTERS)
Formal gehört die Krim zur Ukraine, aber seit Tagen hält Russland die Halbinsel im Schwarzen Meer besetzt. Aus der Sicht des Osteuropa-Experten Franz Preissler instrumentalisiert Präsident Wladimir Putin dafür die russischsprachige Minderheit in der Ukraine. Die Invasion habe vor allem einen Grund: "Putin will in die Geschichte eingehen".
n-tv.de: Welche Ziele verfolgt Russland auf der Krim?
Schon im April 2008 drohte Putin damit, Ostukraine und Krim zu annektieren. Die nichtstaatliche russische Zeitung Kommersant-Daily schrieb damals über Äußerungen Wladimir Putins während des Nato-Russland-Rats in Bukarest: "Als aber das Gespräch auf die Ukraine kam, geriet Putin in heftige Erregung. An Bush gewandt sagte er: ‚Du verstehst doch, George, dass die Ukraine nicht einmal ein Staat ist! Was ist die Ukraine? Ein Teil ihrer Territorien ist Osteuropa und ein Teil, und zwar ein beträchtlicher, wurde von uns geschenkt!’ Und sogleich gab er sehr deutlich zu verstehen, dass wenn man die Ukraine trotzdem in die Nato aufnehmen werde, dieser Staat einfach aufhören werde zu existieren."
Franz Preissler: Russland schafft auf der Krim Fakten, indem es die autonome Republik aus dem ukrainischen Staatsverband herauslöst. Moskau ist an einem langfristigen Territorialkonflikt interessiert, um die Aussichten der Ukraine auf eine Aufnahme in die Nato zu zerstören. Die Nato nimmt ja bekanntlich keine Länder auf, die Territorialkonflikte mit anderen Staaten haben. Putin hat schon im April 2008 damit gedroht, die Krim und die Ostukraine zu annektieren, wenn die Nato die Ukraine aufnehmen würde. Mit dem Umsturz und der neuen Übergangsregierung ergab sich in Putins Augen die Gefahr, dass die Ukraine sicherheitspolitisch in Richtung Westen driftet. Das will er verhindern. Mit seinem harten Auftreten hat er die neue Ukraine diszipliniert. Sie soll lernen, dass sie sich nur innerhalb eines bestimmten Rahmens bewegen darf. Der Westen muss vertraglich zusichern, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Andernfalls wird Russland die Ukraine weiter destabilisieren.
Ausgelöst wurden die Proteste in Kiew ja eigentlich durch das gescheiterte EU-Assoziierungsabkommen.
Mit der Revolution in Kiew scheitert der russische Plan, dass die Ukraine der Zollunion und später auch der Eurasischen Union beitritt. Mit den radikalen Veränderungen wird es plötzlich wahrscheinlich, dass die Ukraine sich wirtschaftlich und politisch nach Westen orientiert. Dadurch erleidet Russland einen großen politischen Einflussverlust. Die Besetzung der Krim ist auch Putins Rache dafür, dass die Ukrainer ihn haben abblitzen lassen. Er handelt nach dem Motto: Wenn ihr nicht mit mir zusammengehen wollt, dann orientiert euch nach Westen, aber ich nehme mir die Krim. Putin will die Krim jetzt zum militärischen Bollwerk gegenüber der Ukraine und dem Westen ausbauen.
Worin liegt die besondere Bedeutung der Krim?
Eine Herauslösung oder Angliederung der Krim wäre für Putin nicht nur ein sicherheitspolitisch-strategischer, sondern auch ein großer innenpolitischer und nationaler Erfolg. Die Hafenstadt Sewastopol, wo auch die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, und die Krim insgesamt ist für die meisten Russen aus historischen und sprachlich-ethnischen Gründen immer noch russisches Gebiet. Mit einer Heimholung der Krim will Putin in die Geschichte eingehen. Auf anderen Gebieten hat er politisch nicht so viele Erfolge vorzuweisen. Es gelingt ihm ja zum Beispiel nicht, sein Land zu modernisieren und ins 21. Jahrhundert zu führen.
Welche Bedeutung hat die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine?
Moskau ist tatsächlich um die Lage und den Status der Russen und der Russischsprachigen vor allem im Osten und Süden der Ukraine besorgt. Als der ehemalige Präsident Wiktor Janukowitsch mit seinem Machtapparat untergetaucht ist, gab es keine staatlichen Strukturen mehr. Putin musste befürchten: Wenn Russen in der Ukraine etwas passiert wäre, hätte er aus innenpolitischen Gründen militärisch intervenieren müssen. In dieser Lage erfolgte auch der Beschluss des ukrainischen Parlaments, Russisch den Status als zweite Amtssprache in Gebieten mit russischer Bevölkerung abzuerkennen. Diese unkluge Entscheidung hat bei nicht wenigen Russen im Osten und Süden der Ukraine Sorgen und Empörung ausgelöst. Gleichzeitig habe ich aber den Eindruck, dass Moskau die genannte Entscheidung als Vorwand benutzt, um seine sicherheitspolitisch-strategischen Interessen durchzusetzen. Trotzdem könnte eine Rücknahme der Entscheidung des Parlaments, das heißt eine Rückkehr zum Status quo ante es Putin erleichtern, eine Lösung des jetzigen Konfliktes zu akzeptieren, da er dann gegenüber der russischen Öffentlichkeit einen Erfolg vorweisen könnte.
Gibt es weitere Gründe für die Spannungen zwischen Moskau und der Ukraine?
Eine demokratische Ukraine wird von der autoritären Putin-Führung als Bedrohung empfunden. Russland will die neue ukrainische Führung schlecht machen, damit sie in der russischen Öffentlichkeit nicht gut ankommt. Putin will seine Bevölkerung von dem demokratischen Experiment in der Ukraine ablenken.
Einige Wissenschaftler und Journalisten vergleichen die jetzige Situation mit dem Jahr 1914, als der Erste Weltkrieg begann. Ist das angemessen?
Das denke ich nicht. In den letzten Tagen gab es eine gewisse Entspannung. Russland hat die Manöver beendet und Putin eine Pressekonferenz gegeben, heute tagt der Nato-Russland-Rat. Man spricht also miteinander über diese Krise. Von daher wird es bestimmt keine Wiederauflage von 1914 geben. Eine Parallele gibt es aber: Beide Seiten, Russland und der Westen kämpfen um ihren Status und denken, sie handeln defensiv. Russland will verhindern, dass EU und Nato mit der Ukraine zu stark werden und man selbst aus Europa heraus gedrängt wird. Der Westen und insbesondere die USA glauben dagegen, das Russland wieder expansiv-imperial auftritt. Hinter dem Konflikt steckt das Streben von Staaten und Regierungen nach Sicherheit, Einfluss und Macht, wie wir es schon seit Jahrhunderten kennen.
Mit Franz Preissler sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de