Politik

"Wer das nicht sieht, hat nichts gelernt" Die Künstlerin greift an

Moderieren strengt an: Merkel im Bundestag.

Moderieren strengt an: Merkel im Bundestag.

(Foto: AP)

Kanzlerin Merkel schafft im Bundestag Klarheit: Schulden müssen sein, gespart wird erst 2011, die Steuerreform kommt trotzdem und nur "neues Denken" wird das Land aus der Krise führen. Die Opposition wirft der Regierung "Totalversagen" vor. Die Fronten sind geklärt – und Schwarz-Gelb findet ein gemeinsames Ziel.

Dass Politik manchmal hohe Kunst sein kann, weiß Angela Merkel offenbar. Die Kanzlerin präsentierte sich im Bundestag bei der Generaldebatte über ihren Haushalt als Künstlerin, die selbst die größten Gegensätze in ihrer Politik vereinen kann: Wachstum und Schuldenabbau ließen sich sehr wohl miteinander vereinbaren, "zu dieser Kunst sind nur wir fähig, so wie wir regieren", rief Merkel den zwischenrufenden Oppositionspolitikern im Parlament zu. Die Lacher dort waren der Künstlerin ebenso gewiss wie der Applaus aus den eigenen Reihen.

Die Bundestagsdebatte über den Haushalt der Kanzlerin ist immer eine Generalaussprache über die Politik der Bundesregierung. Nach den chaotischen ersten fast 100 Tagen von CDU, CSU und FDP wurde es auch höchste Zeit – Regierung und Opposition brannten auf die Gelegenheit zur Aussprache: Merkel musste endlich Ruhe in ihre Reihen bringen, während SPD, Grüne und Linke der Kanzlerin den chaotischen "Fehlstart" genüsslich unter die Nase reiben wollten.

Kritik duldet Merkel nicht

Die Bundeskanzlerin zeigte sich in ihrer Rede entschlossen, in einigen Punkten endlich für Klarheit zu sorgen, ein paar kleine Machtworte zu sprechen und grundsätzlich auf Angriff umzuschalten. Um der andauernden Kritik der Opposition am gigantischen Schuldenberg einen Riegel vorzuschieben, machte Merkel direkt am Anfang klar, dass daran nur die Krise Schuld sei. "Wer das nicht sieht, hat aus der Geschichte nicht gelernt. Der braucht an dieser Debatte gar nicht erst teilzunehmen".

Mit Spaß am Opponieren: SPD-Fraktionschef Steinmeier spricht von "Totalversagen".

Mit Spaß am Opponieren: SPD-Fraktionschef Steinmeier spricht von "Totalversagen".

(Foto: dpa)

Von Anfang an zeichnete sich damit eine harte Auseinandersetzung zwischen Regierungsfraktionen und Opposition ab. Merkel hielt eine Rede, die vor allem an Union und FDP gerichtet war, und bei ihrem Vizekanzler Guido Westerwelle für wohlige Gefühle gesorgt haben dürfte. Nicht nur, dass sie den Spagat zwischen Schulden und Wachstumsausgaben verteidigte. Offensiv und selbstbewusst trat Merkel auch für die von den Liberalen vehement geforderte "einfachere Gestaltung des Steuersystems" ein.

Auf zum schlanken Staat

Überhaupt kristallisierte sich bei der Aussprache im Bundestag heraus, was Schwarz und Gelb im Grundsatz zusammenhält. Merkel und die ihr folgenden Fraktionschefs von FDP, CDU und CSU – Birgit Homburger, Volker Kauder und Ingo Friedrich – machten deutlich, was das Ziel der Regierung ist: Ein schlanker Staat. "Wer nicht auf Eigenverantwortung setzt, wird nur noch Mangel verwalten", sagte etwa Merkel. Das Verhältnis von Staat und Bürger neu zu ordnen erhob sie neben Wirtschaftskraft und dem Zusammenhalt der Gesellschaft zu einem von drei Zielen ihrer Koalition.

Ein willkommenes Fressen für die Opposition. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier geißelte den Glauben an den schlanken Staat als "uraltes Denken", das bereits unter US-Präsident Reagan oder der britischen Premierministerin Thatcher in den 80er Jahren gescheitert sei. Steinmeier warf der Regierung Konzeptlosigkeit und "Totalversagen" vor. "Noch nie hat eine Regierung so schnell ihren Vertrauensvorschuss verspielt wie diese."

Die Opposition griff in einer unabgesprochenen Arbeitsteilung die Regierung von verschiedenen Seiten an. Während Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi Merkel und ihre Regierung wegen des Afghanistan-Einsatzes, dem Niedriglohnsektor und der Leiharbeit kritisierte, nahm sich Grünen-Fraktionschefin Renate Künast die Klima- und Umweltpolitik vor. Steinmeier unternahm als letzter oppositioneller Redner eine Generalabrechnung mit dem "schwarz-gelben Fantasialand" und warf vor allem der FDP Realitätsverlust vor.

Opposition attackiert "Klientelpolitik"

Angriffslustig gab sich die Kanzlerin. Ihre Rede wird ihrem Vizekanzler Westerwelle gut gefallen haben.

Angriffslustig gab sich die Kanzlerin. Ihre Rede wird ihrem Vizekanzler Westerwelle gut gefallen haben.

(Foto: dpa)

Breit ausgetreten wurde von allen drei Oppositionsparteien der Vorwurf der Klientelpolitik, der nach dem verminderten Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen verbunden mit Parteispenden aus der Hotellerie-Branche erhoben wird. "Ich finde es unerträglich", sagte etwa Gysi. Steinmeier sprach von Wiederkehr der "Bimbes-Politik" und forderte eine Rücknahme der Hotelbegünstigungen. Der SPD-Fraktionschef warf auch Umweltminister Norbert Röttgen und Gesundheitsminister Philipp Rösler vor, zwei Lobbyisten in ihre Ministerien geholt zu haben.

Während Merkel zu den Klientelpolitik-Vorwürfen und den Parteispenden schwieg, fand sie für ein anderes heikles Thema klare Worte und nahm der Opposition dadurch den Wind aus den Segeln: Die Bundeskanzlerin erteilte dem Vorstoß des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, die Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger zu verschärfen, eine Absage. "Ich glaube, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, was den Zwang oder die Aufgabe oder die Notwendigkeit der Arbeitsaufnahme anbelangt, ausreichend sind." Ähnlich äußerte sich FDP-Fraktionschefin Homburger, die zudem in Richtung der SPD betonte, dass erst Schwarz-Gelb die Fehler der Hartz-Reform beseitige.

Spaß an der lautstarken und teils derben Generaldebatte hatten sowohl Regierung als auch Opposition. Merkel konnte sich nach ihrer Rede auf der Regierungsbank ein Grinsen nicht verkneifen, zu groß war wohl die Freude über den anhaltenden Applaus ihrer Fraktionen. Und auch der Oppositionsführer genoss es, die Fehler und Probleme der Regierung zu sezieren. Die beiden ehemaligen Partner sind in ihren neuen Rollen angekommen.

Quelle: ntv.de

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