Warum läuft es so schlecht für Steinbrück & Co.? "Die SPD bräuchte mehr Populismus"
17.06.2013, 10:22 Uhr
Quo vadis, SPD? Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Parteichef Sigmar Gabriel wollen im September das Kanzleramt erobern, aber die Chancen scheinen wenig aussichtsreich.
(Foto: Reuters)
Opposition ist Mist. Deswegen will die SPD nach der Wahl zurück in die Bundesregierung. Doch die Chancen stehen schlecht. Der Politikwissenschaftler Peter Lösche bescheinigt Peer Steinbrück im Interview mit n-tv.de einen "Marsch durch die Fettnäpfchen". Trotzdem sieht er noch eine Chance für die Genossen, wie es im September klappen könnte.
n-tv.de: Die deutsche Sozialdemokratie hat gerade ihren 150. Geburtstag gefeiert. Hängt die Partei zu sehr an ihren Erfolgen von gestern und vorgestern?
Peter Lösche: Die SPD ist heute eine voll etablierte Partei, die stolz sein kann auf ihre Geschichte. Allerdings fehlt ihr für die Zukunft, das wird im Wahlkampf deutlich, ein Konzept zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Die SPD geht mit vielen Forderungen und Themen in den Wahlkampf. Reicht das nicht?
Das ist ein zu bunter Strauß. Ein Thema, das die Wähler und die eigene Partei mobilisiert, fehlt bisher. Ein solches Thema wäre soziale Gerechtigkeit, die Polarisierung der Gesellschaft. Das Ganze müsste man nur im Wahlkampf mit populistischen Tönen einfärben.
Sind Steinbrück, Gabriel & Co nicht populistisch genug?
Die SPD bräuchte mehr Populismus. Sie macht nicht deutlich genug, welche Auswirkungen die zunehmende Widersprüchlichkeit zwischen Reich und Arm derzeit hat.
Ist die Agenda 2010 noch immer ein Fallstrick für die Partei?
Die SPD wird nicht mehr als Arbeitnehmerpartei gesehen, sondern als bürgerliche Partei. Die menschlichen Kosten der Agenda haben bis heute ihre Auswirkungen. Hartz IV ist nach wie vor ein Schlagwort, mit dem Armut assoziiert wird. Die Partei leidet daher bis heute unter den Folgen der an sich erfolgreichen Reformen. Solche Situationen hat es in der Geschichte der SPD schon immer gegeben. Positionen zwischen einem pragmatischen Reformismus und einem ursprünglichen Radikalismus: Dieser Widerspruch ist immer noch vorhanden. Schröder hat die Agenda gegen die eigene Partei durchgesetzt. Dazu gehört eine gehörige Portion Mut. Die Agenda hat sich in vielfacher Hinsicht auch als richtig erwiesen. Sie hat die Bundesrepublik nach vorne gebracht. Auf der anderen Seite ist Schröder auch wegen dieser Reformen nicht wiedergewählt worden, führende Gewerkschafter sind ausgetreten und haben mit der WASG eine eigene Partei gegründet.
In der Partei wird die Agenda gleichzeitig verteidigt und als überarbeitungsbedürftig beurteilt. Dieser zwiespältige Kurs kommt beim Wähler offenbar nicht gut an.
Was fehlt, ist ein deutlicheres Bekenntnis zur Agenda, aber gleichzeitig dazu, dass ihre soziale Abfederung vielfach unzureichend war. Man kann nicht 100-prozentig hinter der Agenda stehen. Konkret ist es etwa sinnvoll, die Erhöhung des Renteneintrittsalters von den jeweiligen Berufen und Situationen abhängig zu machen.
Ist es problematisch, dass Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit Klaus Wiesehügel einen ausgewiesenen Agenda-Kritiker in sein Schattenkabinett berufen hat?
Das Ganze ist durchsichtig und zielt darauf ab, dass sich die ganze Breite des politischen Spektrums der SPD widerspiegeln soll. Aber dadurch wird die Widersprüchlichkeit der Partei erst offensichtlich. Es wäre wahrscheinlich vernünftiger gewesen, jemanden zu berufen, der nicht gerade vehementer Gegner der Agenda ist.
Die SPD steht in Umfragen unterhalb von 25 Prozent. Damit lässt sich doch im Herbst keine Regierung bilden.

Kompetenzteam mit Regierungsperspektive? Derzeit steht die SPD in Umfragen bei unterhalb von 25 Prozent.
(Foto: Reuters)
Mit den Grünen reicht es derzeit nicht für eine Mehrheit. Das Problem der SPD ist, dass sie, bis auf wenige Ausnahmen in den Ländern, mit der Linkspartei nicht koalitionsfähig ist. Wenn der pragmatische Flügel der Linken innerhalb der eigenen Partei dominieren würde, wäre Rot-Rot-Grün möglich. Aber im Moment würden die westdeutschen Landesverbände der Linkspartei da nicht mitmachen. Ich sehe für die nächsten zwei Bundestagswahlen keine Chance für eine solche Koalition.
Also gibt es wieder eine Große Koalition?
In der letzten Großen Koalition zwischen 2005 und 2009 hat die SPD mit Steinmeier und Steinbrück wichtige politische Entscheidungen durchgesetzt. Von den Wählern ist das aber nicht goutiert worden. Aus diesem Grunde gibt es eine starke Aversion gegen eine erneute Koalition mit der Union. Würde die SPD es trotzdem wieder machen, droht sogar, dass sie noch unter die 23 Prozent absackt, die sie 2009 erreicht hat.
Dann ist die SPD derzeit nicht regierungsfähig?
Ich kann mir vorstellen, dass es eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der Linken geben könnte. Wenn man so etwas für ein oder zwei Jahre macht und sich in der Zeit profilieren kann, ist das eher akzeptabel, als in eine Große Koalition zu gehen. Was gibt es schon für Alternativen?
In Krisenzeiten sind stabile parlamentarische Verhältnisse wichtig – die wären sicherlich nicht gegeben.
Es käme darauf an, wie die Minderheitsregierung begründet wird. Sie müsste mit der sozialen Polarisierung und Ungleichheit begründet werden. Dann bekommt man auch die Legitimation von den Wählern.
Auch die CDU wirbt verstärkt um SPD-Wähler. Kanzlerin Angela Merkel sozialdemokratisiert ihre Partei kräftig.
Das macht es schwieriger für die SPD. Deshalb hätte man schon vor einem Jahr mit dem Wahlkampf beginnen sollen. Das hätte verhindert, dass die CDU bei Themen wie Mindestlohn, Atomenergie und Schulsystem nicht wieder auf den vorbeirollenden SPD-Wagen aufspringt.

Der Politikwissenschaftler Peter Lösche lehrte bis 2007 an der Universität Göttingen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Sehen Sie wie schon 2009 das Risiko der asymmetrischen Demobilisierung, also dass Merkel kontroverse Themen meidet, um möglichst wenig SPD-Wähler für die Wahl zu mobilisieren?
Die Gefahr ist vorhanden, weil die SPD nicht in Tritt kommt. Die Taktik von Frau Merkel, wieder einen Schlafwagen-Wahlkampf zu machen, ist erkennbar. Das Problem ist, dass die SPD dies scheinbar machtlos mit sich machen lässt.
Wie groß ist Steinbrücks Anteil daran, dass derzeit so viel schiefläuft?
Der Anteil ist relativ groß, weil er Anfängerfehler gemacht hat. Da ist zum Beispiel das Interview über das Gehalt der Kanzlerin. Dass man nicht erkennt, dass das nach der Honorar-Affäre sofort auf ihn bezogen werden würde, zeigt, wie problematisch der Wahlkampf von seinen Beratern konzipiert ist. Bei der Autorisierung dieses Interviews hätte jemand Stop sagen müssen.
Müsste Steinbrück Merkel schärfer angreifen?
Er müsste Merkel dann schärfer angreifen, wenn deutlich würde, welche Kosten die Europapolitik verursacht und welche sozialen Kosten insgesamt entstehen. Steinbrück kann die Wahl nur gewinnen, wenn die Wähler die Auswirkungen der Schuldenkrise im Portemonnaie fühlen.
Die SPD meidet das Thema Schuldenkrise. Merkel hat in der Bevölkerung einen Ruf als gute Krisenmanagerin.
Den Ruf hat Merkel, und die SPD hat dieser Politik im Bundestag immer zugestimmt. Deswegen können die Sozialdemokraten die Schuldenkrise nicht zum Gegenstand einer Auseinandersetzung im Wahlkampf machen. Es war de facto eine Große Koalition.
Auch in ihrer Art scheint Merkel deutliche Vorteile zu haben gegenüber dem Herausforderer.
Steinbrück hat einen Marsch durch Fettnäpfchen hinter sich. Er ist sowieso nie besonders populär gewesen in Wahlkämpfen. Merkel ist durch ihre präsidale Art scheinbar im Vorteil. Aber ich habe den Eindruck, dass in letzter Zeit so viel Positives über sie geschrieben worden ist, dass die Lobeshymnen irgendwann umkippen wie bei Kohl. Man hat sie zu oft im Fernsehen gesehen, sie ist zu stark in den Medien, tritt in der politischen Auseinandersetzung um Inhalte allerdings kaum in Erscheinung.
Aber kann die SPD ohne einen populären Kandidaten überhaupt eine Wahl gewinnen?
Das ist das große Problem, dass sie einen solchen Kandidaten braucht, ihn aber nicht hat. Hannelore Kraft hat ihre Kandidatur für die bevorstehende Wahl bewusst abgesagt. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie in vier Jahren kandidiert.
War Steinbrücks Nominierung von vornherein ein Fehler?
Es gab keine Wahl. Steinmeier und Gabriel haben abgesagt, es blieb nur Steinbrück übrig. Es war wie beim Kegeln, die letzte Figur die noch stand, war Steinbrück.
Mit Peter Lösche sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de