Politik

Überwachungsskandal um die NSA Die US-Politik wacht nur langsam auf

Die Zentrale der NSA in Bluffdale, Utah: Hier befindet sich das vermutlich größte Datenzentrum des vermutlich mächtigsten Geheimdienstes der Welt.

Die Zentrale der NSA in Bluffdale, Utah: Hier befindet sich das vermutlich größte Datenzentrum des vermutlich mächtigsten Geheimdienstes der Welt.

(Foto: AP)

Der Fall des Whistleblowers Edward Snowden offenbart die große Koalition der amerikanischen Politik: Wenn es um Überwachung geht, gibt es zwischen Republikanern und Demokraten keinen Unterschied. Allerdings könnte sich das jetzt ändern - Snowdens größter Angst zum Trotz.

Beim Recht auf Schusswaffen oder bei der Ablehnung einer allgemeinen Krankenversicherung ist die Linie der Konservativen in den USA eindeutig: so wenig Staat wie möglich. Es sei denn, es geht um eine möglichst lückenlose Überwachung. Dann kann es gar nicht genug Staat sein. Für den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner ist Edward Snowden - der Computertechniker, der die Sammelwut des US-Geheimdienstes NSA publik gemacht hat - ein "Verräter".

Ansonsten zog Boehner sich im Sender ABC auf Barack Obama zurück, den demokratischen Präsidenten. Dieser habe schon darauf hingewiesen, dass es um "wichtige nationale Sicherheitsprogramme" gehe, die helfen, "dass Amerikaner sicher sind, und die uns die Werkzeuge geben, die terroristische Bedrohung zu bekämpfen".

Die ungewöhnliche Koalition der Datensammler

Boehner und Obama sind selten einer Meinung. Bei den Steuern nicht und bei der Krankenversicherung schon gar nicht. Erst Snowden hat sie zu einer großen Koalition der Datensammler zusammengeschweißt: "Die Veröffentlichung dieser Information bedeutet eine Gefahr für Amerikaner", raunte Boehner.

Das von Snowden bekannt gemachte Überwachungsprogramm PRISM war 2007 unter US-Präsident George W. Bush eingeführt worden. Die Zunahme der Kontrolle durch die US-Geheimdienste war damals allgemein bekannt - eine Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001, die mit dem "Patriot Act" begonnen hatte. "Diese Regierung handelt, als verbessere es unsere Sicherheit, wenn man die Bürgerrechte missachtet", sagte Obama über die Bush-Administration. Das ist sechs Jahre her. Nachdem er die Regierung übernommen hatte, weitete er PRISM sogar noch aus.

Die seltsame Allianz der ersten Kritiker

Nur zögerlich äußern Politiker in den USA ihre Sorge über die Eingriffe des auf Überwachung von Kommunikation spezialisierten Geheimdienstes NSA in die Privatsphäre der Bürger. Dabei war die Allianz der ersten Kritiker sogar noch ungewöhnlicher als die Koalition der Überwachungsfreunde. Dazu gehörten etwa der Friedensaktivist Daniel Ellsberg, der im Vietnamkrieg die Pentagon-Papiere an die "New York Times" geleakt hatte, sowie der radikalkonservative Moderator Glenn Beck.

"Ich glaube, ich habe gerade von dem Mann gelesen, auf den ich gewartet habe", twitterte Beck schon am 9. Juni, kurz nachdem Snowden sich im "Guardian" als Quelle geoutet hatte. Auch der ultraliberale Kongressabgeordnete Ron Paul, der sich vor den Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 um die Kandidatur der Republikaner bemüht hatte, sagte, man solle Leuten wie Snowden dankbar ein. "Die Regierung muss nicht noch mehr darüber wissen, was wir tun. Wir müssen mehr darüber wissen, was die Regierung tut."

Ellsberg, Beck und Paul unterscheidet viel, aber zwei Dinge haben sie gemein: Sie misstrauen der amerikanischen Bundesregierung. Und sie sind weit entfernt vom Mainstream der Politik in den USA.

Held oder Verräter? Rand Paul legt sich lieber nicht fest.

Held oder Verräter? Rand Paul legt sich lieber nicht fest.

(Foto: AP)

Auffällig ist, wie Rand Paul auf den Fall Snowden reagierte. Rand Paul ist republikanischer Senator und der Sohn von Ron Paul, er steht seinem Vater politisch nahe und macht sich angeblich Hoffnungen auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner im Jahr 2016. Der Frage, ob Snowden ein "Held" sei, wich Rand Paul im Sender CBS aus. "Ich glaube, das ist ein Nebenaspekt, ich glaube, dass die Grundrechte verletzt wurden, dass unsere Privatsphäre verletzt wurde", sagte er.

Selbst die Tea Party ist gespalten

Die beiden Pauls stehen der radikalen Tea Party nahe, die sich als Fraktion innerhalb der republikanischen Partei etabliert hat und die den Zentralstaat grundsätzlich als Feind ansieht. Doch nicht einmal im Umfeld der Tea Party gibt es einen Konsens über Snowden: Auf der Webseite der "Tea Party Tribune" finden sich sowohl ein Kommentar, in dem beklagt wird, dass Snowden nicht schon längst von den US-Geheimdiensten liquidiert wurde, als auch ein Text, der anprangert, dass sowohl Republikaner als auch Demokraten nur die Überwachung von Amerikanern im Sinn hätten.

Erst am Dienstag meldeten sich Politiker im Kongress mit vorsichtiger Kritik an der Datensammelwut der US-Geheimdienste zu Wort. "Es gibt sehr wenig Vertrauen in die Regierung, und das aus gutem Grund", sagte der demokratische Abgeordnete Adam Schiff, der im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses sitzt. "Wir sind unserer eigener schlimmster Feind."

Nach einem Treffen hinter geschlossenen Türen mit Geheimdienstvertretern zeigten sich Vertreter beider Parteien im Repräsentantenhaus alarmiert über das Ausmaß der Überwachung. "Es wird eine überparteiliche Antwort geben", kündigte der Republikaner Steve King an.

"Außergewöhnliche Maßnahme für außergewöhnliche Zeit"

Druck gibt es auch von außerhalb: Die öffentliche Meinung in den USA ist weitaus weniger einhellig der Ansicht, dass Snowden ein "Verräter" ist. 80 Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen fordern in einem von der Softwarefirma Mozilla organisierten Aufruf von der Obama-Regierung: "Stop Watching Us". Auch Google, Facebook und Microsoft haben dem Eindruck widersprochen, dem Staat freiwillig Daten zu überlassen. Aus Europa schickten EU-Justizkommissarin Viviane Reding und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Briefe an US-Justizminister Eric Holder, in denen sie Aufklärung über die Ausspähung verlangen. ACLU, die bekannteste Bürgerrechtsgruppe der USA, hat Klage gegen das Sammeln der Telefondaten eingereicht.

In den letzten Minuten des Interviews mit dem "Guardian", das am vergangenen Sonntag in Hongkong aufgenommen wurde, äußert Snowden die Befürchtung, dass in den USA derzeit die Grundlage dafür gelegt werde, das Land eines Tages in eine "Tyrannei" zu verwandeln. "Die größte Angst, die ich mit Blick auf das Ergebnis dieser Enthüllungen für Amerika habe ist, dass sich nichts ändern wird."

Ein bisschen sieht es doch nach Veränderung aus: Nach dem Geheimtreffen im Kongress sagte der demokratische Abgeordnete Xavier Becerra, es habe in der Vergangenheit nicht genug Kontrolle bei den Abhörprogrammen gegeben. Über die Anti-Terror-Gesetze, die seit 2001 die Bürgerrechte in den USA einschränken, meinte er: "Es war eine außergewöhnliche Maßnahme für eine außergewöhnliche Zeit, aber sie hätte nicht verlängert werden dürfen."

Quelle: ntv.de

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