Trittin im n-tv.de Interview Die USA, der Irak und das Öl
17.01.2008, 11:29 UhrAuch ein republikanischer Bush-Nachfolger werde nicht umhinkommen, die US-Präsenz im Irak deutlich zu verringern, sagt Jürgen Trittin im Interview mit n-tv.de. Zum Abzug, der nur von den demokratischen Bewerbern ausdrücklich angekündigt worden ist, gebe es keine Alternative. Notwendig sei jedoch ein Prozess der inneren Aussöhnung sowie eine Stabilisierung der Region - und dies setze Gespräche mit dem Iran und Syrien voraus. Wenn dies misslinge, drohe ein Bürgerkrieg im Irak, so Trittin.
n-tv.de: Im Moment sieht es so aus, als wäre der nächste US-Präsident ein Demokrat. Hillary Clinton und Barack Obama haben sich beide für einen relativ raschen Abzug aus dem Irak ausgesprochen. Wird dann ein Fehler durch einen weiteren Fehler noch schlimmer gemacht, oder ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende?
Jürgen Trittin: Es geht weniger um schnell oder weniger schnell. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, dass der Irak nach einem Abzug nicht in eine Bürgerkriegssituation fällt und damit auch potenziell seine Nachbarn destabilisiert. Sie wissen, dass es komplizierte Beziehungen zur Türkei gibt, zum Teil auch zum Iran. Deswegen ist ein solcher Prozess des möglichst zügigen Abzugs zwingend zu begleiten mit politischen Initiativen, die für einen echten Ausgleich mit den Nachbarn des Irak sorgen - der nächste Präsident muss also das umsetzen, was die Baker-Hamilton-Kommission ihrem Auftraggeber George W. Bush empfohlen hat.
Obama will den Abzug der US-Truppen aus dem Irak binnen 16 Monaten beendet haben. Riskiert er damit nicht, Chaos zu hinterlassen?
Entscheidend ist, Bedingungen zu haben, unter denen ein möglichst zügiger Abzug stattfinden kann, ohne dass der Irak in eine Situation des Bürgerkrieges fällt. Dafür haben die Amerikaner nicht die besten Voraussetzungen geschaffen. Neben der Intervention selbst gehen ihre jüngsten Stabilisierungserfolge darauf zurück, dass sie das Land ethnisch mehr oder weniger separiert haben. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass diese Separierung tragfähig ist, wenn die starke Zentralgewalt wegfällt und die einzelnen Volksgruppen und Interessengruppen wieder anfangen, ihre Vormachtstellung auszukämpfen.
Halten Sie dann Clintons oder Obamas Ankündigung, gewissermaßen um jeden Preis abzuziehen, für sinnvoll?
Ich stehe nicht im Widerspruch zu den Forderungen von Obama oder Hillary Clinton, ich glaube, dass es genau darauf hinauslaufen muss. Die Bedingung, die dazugehört, ist, dass man innerhalb des Irak einen Aussöhnungsprozess auf den Weg bringt. Mit der Aufhebung der völligen Ausgrenzung der ehemaligen Mitglieder der Baath-Partei ist jetzt ein kleiner Schritt gemacht worden. Das setzt aber auch einen Ausgleich der USA mit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit voraus, und diesen wird es auch nur geben, wenn man am Ende zu einem von den gemeinsamen Interessen geprägten Ausgleich mit dem Iran kommt.
Die Grünen und die rot-grüne Bundesregierung hatten vehement vor dem Irak-Krieg gewarnt. Wie optimistisch sind Sie heute, dass Pläne wie die von Clinton oder Obama tatsächlich funktionieren?
Es ist all das eingetreten, was wir befürchtet haben, es ist sogar noch schlimmer geworden. In der jetzigen Situation kann es einen Ausweg nur geben, wenn die völkerrechtswidrige Intervention im Irak beendet wird, begleitet von einem Prozess der Stabilisierung und des Ausgleichs mit den Nachbarn. Diese einfache Grundtatsache gehört zu jeder Diskussion über einen Abzug hinzu. Bush hat nicht die Kraft gefunden, diesen Weg zu gehen. Wir können nur hoffen, dass eine künftige US-Regierung - möge sie von Hillary Clinton oder von Barack Obama geführt werden - diese Kraft findet.
Was glauben Sie, was ein republikanischer Präsident machen würde? Mike Huckabee etwa hat sich sehr klar hinter Bushs Irak-Politik gestellt, aber auch McCain, Giuliani und Romney lehnen einen Abzug ab.
Auch ein republikanischer Präsident wird kaum eine Chance haben, aus der Abzugsdynamik herauszukommen. Ein Aufrechterhalten der Besetzung des Irak in der jetzigen Stärke überstrapaziert die Freiwilligenarmee der USA. Sie sind heute schon bei Dienstzeiten, die dermaßen ausgedehnt sind, dass bis weit in das amerikanische Militär hinein von einer Überforderung gesprochen wird. Das heißt, auch ein republikanischer Präsident wird die Präsenz im Irak deutlich und schrittweise vermindern müssen. Und auch dann gilt: Ohne den Versuch eines vernünftigen Ausgleichs mit Syrien und dem Iran wird es nicht gehen.
Von welchem Zeitraum sprechen wir da?
Ein Teil dieser Stabilisierung wäre relativ leicht zu erreichen, wenn man beispielsweise gegenüber dem Iran aufhören würde, Containment [Eindämmung] bis hin zu Kriegsvorbereitungen zu betreiben und stattdessen versuchen würde, zu gemeinsamen Sicherheitsvereinbarungen zu kommen. Das ist von der Bush-Administration offensichtlich nicht gewollt. Sie schüren nach wie vor die Spannungen gegenüber dem Iran. Damit schwächen sie ihre eigene Stellung im Irak.
Ein Vorwurf war, die USA hätten diesen Krieg wegen des irakischen Öls geführt. Was hätten die USA dann noch gewonnen, wenn sie jetzt abzögen?
Das kann Ihnen niemand sagen. Ich kann Ihnen sagen, was sie verloren haben: Sie hatten bis dahin einen von einem Diktator regierten, aber relativ stabilen Staat. Was wir danach haben werden, ist möglicherweise ein Staat, in dem nicht minder menschenverachtende Warlords um die Macht kämpfen. Wir haben heute über zwei Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten und noch einmal gut zwei Millionen Flüchtlinge innerhalb des Irak. Und wir haben einen Ölpreis, der sich seit dem Irak Krieg mehr als verdoppelt hat. Wenn die Frage "Krieg ums Öl" eine wichtige Rolle gespielt hat, was man wohl ernsthaft nicht bezweifeln kann, dann wird man feststellen: Diese Form der Energiesicherung hat nicht mehr, sondern weniger Energiesicherheit gebracht.
Mit Jürgen Trittin sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de