Politik

Interview mit To-Potami-Sprecher "Die deutsche Agenda macht uns Sorgen"

Verfolgt Wolfgang Schäuble eine europäische Agenda?

Verfolgt Wolfgang Schäuble eine europäische Agenda?

(Foto: dpa)

Der Sprecher der griechischen Mitte-Partei To Potami (Der Fluss) versteht die Bedenken der Deutschen. Und er weist darauf hin, dass auch die Griechen sorgenvoll auf Deutschland blicken.

n-tv.de: Die Wahlen in Griechenland sind erst sieben Wochen her. Würden Sie sagen, dass die neue Regierung noch Zeit braucht, sich einzugewöhnen - oder dass sie schon dabei ist zu scheitern?

Harry Theoharis: Ich glaube, die Regierung braucht Zeit, um sich zurechtzufinden, um Kompromisse mit ihren Partnern in der Eurozone zu finden. Es scheint, dass ihnen das etwas schwerfällt. Aber wir sind noch hoffnungsvoll, dass eine Lösung gefunden wird.

Harry Theoharis war bis 2014 Chef der griechischen Steuerbehörde. Seit Januar ist er Fraktionssprecher der 2014 gegründeten Mitte-Partei To Potami (Der Fluss) im griechischen Parlament.

Harry Theoharis war bis 2014 Chef der griechischen Steuerbehörde. Seit Januar ist er Fraktionssprecher der 2014 gegründeten Mitte-Partei To Potami (Der Fluss) im griechischen Parlament.

(Foto: twitter.com/htheoharis)

Für den Fall, dass die Regierung zerbricht: Wäre Ihre Partei bereit, anstelle der "Unabhängigen Griechen" in eine Koalition mit Syriza einzutreten?

So einfach ist das nicht. Wir brauchen Zusicherungen, dass Logik Einzug hält und dass die Reformagenda mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Und das ist unserer Ansicht nach leichter mit mehreren Parteien zu erreichen. Aber wir werden diese Frage beantworten, wenn sie sich stellt.

Teilen Sie als zentristische Partei die Kritik von Syriza am sogenannten Austeritätsprogramm? Glauben Sie, der Rest der Eurozone sollte nachgiebiger mit Griechenland sein?

Es geht eher darum, einen anderen Schwerpunkt zu setzen. Wir haben den höchsten konjunkturbereinigten Haushaltsüberschuss seit fünf Jahren und endlich schrumpft die Wirtschaft nicht mehr, sondern wächst leicht. Angesichts dieser Tatsachen halte ich es aus europäischer Perspektive für klug, sicherzustellen, dass der Schwerpunkt sehr deutlich auf der Reformagenda bleibt und nicht auf finanzpolitischen Fragen. Das wird den Menschen auch die Luft zum Atmen geben, die sie brauchen, um das Reformprogramm hinzunehmen.

Haben Sie den Auftritt des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis in einer deutschen Talkshow am Sonntagabend verfolgt? Ist das ein Thema in Griechenland?

Ich habe davon gehört, aber ich habe es nicht gesehen und möchte es deshalb nicht kommentieren. Ich interessiere mich für die Ansichten von Ministern, dafür, wie sie die Rahmenbedingungen verändern. Weniger dafür, was sie sagen.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat der griechischen Regierung am Montagabend vorgeworfen, das eigene Volk zu belügen. Er sagte, die Syriza-Regierung habe jedes Vertrauen komplett zerstört. Solange das griechische Volk nicht begreife, wie seine Lage ist, werde es in dem Land keine Besserung geben, so Schäuble. Sind solche Sätze hilfreich?

Wir sollten alle davon absehen, Leidenschaften anzufachen - auf beiden Seiten. Ich bin sicher, dass die Deutschen zahlreiche Bedenken haben hinsichtlich des griechischen Reformprogramms, der griechischen Regierung und der Bereitschaft der Griechen, das wahrzumachen. Zugleich machen wir uns Sorgen, ob Deutschland im eigenen Interesse eine europäische Agenda verfolgt, zu der auch gehört, dass die Griechen diese Krise überstehen können.

Glauben Sie, dass es am Ende einen Kompromiss und ein drittes Hilfsprogramm geben wird?

Ich war immer Optimist. Allerdings glaube ich, dass die strategischen Ziele unterschiedlich sind. Trotzdem gibt es keinen Grund, nicht zu einer Lösung zu kommen. Wir müssen auf beiden Seiten die Themen respektieren, die uns jeweils besonders am Herzen liegen. Wenn wir das tun, können wir eine Lösung finden.

Was halten Sie von der Debatte über Reparationszahlungen für Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg von Deutschland in Griechenland begangen wurden?

Das ist ein Thema, das für uns von höchster Wichtigkeit ist, ein Thema, das ein für allemal geklärt werden muss. Allerdings ist es schwer, eine vernünftige Debatte zu führen, wenn es Leute gibt, die ein solches Thema für ihre Zwecke ausbeuten, indem sie sagen: Wir brauchen keine Reformen, wir müssen nur die Reparationszahlungen bekommen, dann brauchen wir keine Renten zu kürzen, keine Sparmaßnahmen umzusetzen und so weiter. Daher ist sehr wichtig, klar auszusprechen, was für ein Reformprogramm wir brauchen: ein kleines, ein mittleres oder ein großes? Aber unabhängig davon: Die Frage der Reparationen darf nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Sie waren anderthalb Jahre lang Chef der griechischen Steuerbehörde. Im Juni 2014 haben Sie Ihre Stelle aufgegeben. Berichten zufolge war der Grund, dass Sie Drohungen erhalten hatten.

Das stimmt nicht, der Bericht, in dem das stand, hat mich falsch wiedergegeben. Es gab zwar Drohungen, aber die waren nicht ernst zu nehmen. Die kamen von Menschen, die wütend waren, aber nicht gefährlich.

Stimmt es, dass Sie von der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras rausgeworfen wurden, weil Sie die reichen Steuerzahler ins Visier nahmen?

Man muss verstehen, dass die Logik der Parteien in Griechenland darin liegt, Schutz zu gewähren in einem klientelistischen System, in dem die Partei kontrolliert, wer welchen Posten bekommt. In diesem System mag man es nicht, auf Leute von außerhalb zu treffen, die ihren Job ordentlich machen. Das ist das zentrale Problem der griechischen Steuerverwaltung.

Es gibt Spekulationen, die griechische Regierung könne planen, den Euro zu verlassen, wenn das Austeritätsprogramm nicht gelockert wird. Halten Sie das für ein plausibles Szenario?

Ich weiß nicht, ob es solche Pläne gibt, aber ich hoffe, das ist nicht der Fall. Für Europa wäre ein griechischer Austritt aus dem Euro sehr schwierig, aber für Griechenland wäre er katastrophal, das würde zu noch mehr Leiden führen. Wir müssen nicht nur darauf achten, dass so etwas nicht vorsätzlich gemacht wird, sondern auch darauf, dass es nicht aus Versehen passiert.

Mit Harry Theoharis sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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