Politik

Kreml hinterfragt Grenzen Dissens in Sotchi

Russland hat in ungewöhnlich deutlicher Form sein militärisches Vorgehen im Kaukasus-Konflikt verteidigt und bleibt damit auf Konfrontationskurs mit dem Westen.

Nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi erklärte Präsident Dmitri Medwedew: "Wenn unsere Friedenstruppen und unsere Bürger angegriffen werden, werden wir auch in Zukunft so antworten, wie wir geantwortet haben." Merkel forderte dagegen den vollständigen Rückzug der russischen Truppen aus dem georgischen Kerngebiet und betonte die territoriale Integrität Georgiens. Sie habe einige Aktionen Russlands für unverhältnismäßig gehalten.

Zugleich kam US-Außenministerin Condoleezza Rice nach Tiflis, um Georgien in der Auseinandersetzung mit Russland den Rücken zu stärken. Merkel wird am Sonntag nach Tiflis fliegen, um Saakaschwili zu treffen. Nach dem Blutvergießen der letzten Tage hat sich unterdessen die Lage in Georgien und im abtrünnigen Südossetien vielerorts beruhigt.

Dialog soll erhalten bleiben

Medwedew und Merkel betonten bei aller Unterschiedlichkeit aber auch ihren gemeinsamen Willen zum Dialog. In einem solch schwierigen Konflikt könne nie einem allein die Schuld gegeben werden, sagte Merkel. "Wir müssen jetzt nach vorne schauen. Das ist das Allerwichtigste."

Auch Medwedew machte deutlich, dass Russland kurz- oder langfristig "natürlich" keine Verschlechterung der Beziehungen zum Westen haben wolle: "Wir sind immer davon ausgegangen, dass wir unsere Beziehungen auf voller Breite mit einer gesamten EU und den USA entwickeln müssen.

Krieg gerechtfertigt

Im Grundsatz blieben die Gegensätze aber bestehen. Medwedew sprach von Widersprüchen und warnte eindringlich davor, Russland alleine die Schuld für den Konflikt zu geben. Zugleich sprach er erneut von "Völkermord" in Südossetien und von georgischer Aggression.

Merkel betonte dagegen: "Ich habe von meiner Seite die politische Botschaft gesagt, dass ich die Antwort Russlands (...) zum Teil für unverhältnismäßig gehalten habe." Medwedew hielt dagegen: "Das war angemessen und nötig, um die Sicherheitsinteressen unserer Staatsbürger zu schützen."

Die Kanzlerin sprach sich für eine rasche Umsetzung des Sechs-Punkte-Friedensplans der EU für Georgien aus: "Das muss jetzt in aller Schnelle durchgesetzt werden." Die eingefrorenen Konflikte dürften nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Sie forderte die Anerkennung des Staatsgebiets von Georgien, Verhandlungen mit der gewählten Regierung in Tiflis und "Respekt" vor Entscheidungen des Landes etwa für eine NATO-Kooperation. Merkel verlangte den Einsatz internationaler Beobachter in Georgien, um eine "objektive Beurteilung" zu ermöglichen.

NATO-Fahrplan bleibt

Medwedew sah die russischen Friedenssoldaten als Garanten für Stabilität im Kaukasus. "Russland wird auch in Zukunft die Sicherheit in der Region gewährleisten." Die Menschen in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien wollten nicht in einem Staat mit Georgien leben. "Wir sind nicht gegen internationale Friedenstruppen", sagte er. Abchasen und Südosseten vertrauten aber nur russischen Friedenssoldaten.

Merkel und Medwedew sprachen sich nach der Vereinbarung zwischen den USA und Polen über den US-Raketenabwehrschild für eine Fortsetzung der Gespräche mit Moskau aus. Medwedew bezeichnete das Abkommen zwischen Warschau und Washington als "traurig für Europa und für alle". Er wandte sich aber gegen eine Dramatisierung des Streits.

Der von der NATO vereinbarte Fahrplan für einen möglichen Beitritt Georgiens sollte nach Ansicht von Merkel bestehen bleiben. Der Zeitplan für einen Beitritt von Georgien wie auch der Ukraine sei aber offen. Das Treffen Merkels mit Medwedew war seit längerem geplant. Die Kriegshandlungen in Georgien beherrschten aber das Gespräch in dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014.

Vorw ürfe an die NATO

Georgiens Präsident Saakaschwili hat unterdessen den europäischen Staaten eine Mitschuld am Blutvergießen in seiner Heimat gegeben. Er habe seit Wochen vor russischen Aggressionen gewarnt, was europäische Politiker aber als übertrieben abgetan hätten, sagte Saakaschwili bei dem Besuch von US-Außenministerin Rice in Tiflis.

Rice übte scharfe Kritik am russischen Kriegseinsatz und forderte einen sofortigen Truppenabzug aus dem Land. "Alle russischen Truppen müssen jetzt Georgien verlassen. Das ist das Wichtigste", sagte Rice in Tiflis. Die USA stünden hinter Saakaschwili und dessen Beharren auf der territorialen Einheit seines Landes mitsamt der abtrünnigen und von Moskau protegierten Gebiete Südossetien und Abchasien. Rice wiederholte die Warnung, Russlands militärisches Vorgehen in Georgien werde "ernste Folgen" für die Beziehungen zum Westen haben.

Vergleich mit Münchener Abkommen

Saakaschwili gab auch der NATO eine Mitschuld an der Eskalation des Konflikts mit Russland. Beim NATO-Gipfel im April in Bukarest habe das westliche Bündnis Georgien die Mitgliedschaft verweigert und Russland damit ermutigt, sagte Saakaschwili. Er verglich dies sogar mit dem Einknicken der Westmächte vor den Eroberungsplänen Adolf Hitlers, die 1938 zum Münchner Abkommen führten. "Russland hat Bukarest als neues München gesehen", sagte Saakaschwili.

Angebliche "ethnische Säuberungen"

Saakaschwili beschuldigte Russland erneut, "ethnische Säuberungen" in seiner Heimat durchzuführen. Ein Sprecher des russischen Außenministeriums bezeichnete die Vorwürfe als "Lügen".

Der georgische Präsident unterzeichnete in Gegenwart von Rice die Waffenstillstandserklärung. Dies sei allerdings kein endgültiges Friedensabkommen, sagte Saakaschwili. Georgien sei unteilbar, betonte er. "Wir wollen eine internationale Friedensmission statt der russischen Besatzer", sagte der 40-Jährige.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy tritt nach Saakaschwilis Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen für die rasche Einberufung des UN-Sicherheitsrates ein. Sarkozy hatte bereits am Donnerstag den Plan im Namen der EU als Garanten unterzeichnet.

R ückzug beider Seiten

Nach Darstellung des Generalstabs in Moskaus zogen sich russische und georgische Truppen weitgehend aus dem Konfliktgebiet zurück. Der russische Zivilschutz versorgte die südossetische Hauptstadt Zchinwali notdürftig mit Wasser und Strom.

Weiterhin müssen im Südkaukasus zehntausende Flüchtlinge versorgt werden. Die georgische Regierung warf Moskau vor, weiterhin Ziele im Land mit Raketen anzugreifen. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht.

Angebliche Raketenangriffe

Moskau sprach von einer Entspannung der Krise vor seiner südlichen Grenze. Die Truppen befänden sich wie auch vom Westen nachdrücklich gefordert auf dem Rückzug. Russland begründete seine fortdauernde Militärpräsenz in Georgien damit, Armeestützpunkte und Waffendepots kontrollieren zu müssen.

Der russische Zivilschutz beschränkte seine Hilfslieferungen weiterhin auf das von Moskau protegierte Gebiet Südossetien. Vom russischen Nordossetien aus brachte ein Konvoi des Katastrophenschutzministeriums weitere 190 Tonnen Lebensmittel und Baumaterial in die Hauptstadt Zchinwali.

Quelle: ntv.de

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