"Das Problem ist ernst" EU-Gipfel auf der Kippe
18.06.2007, 06:14 UhrIm Streit zwischen Polen und den übrigen EU-Mitgliedsländern um die künftige Stimmverteilung in der Europäischen Union gibt es weiter keine Annäherung. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, dass es in diesem Punkt auch bei dem Treffen der Außenminister in Luxemburg keine Fortschritte gegeben habe. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm kommentierte die Lage mit den Worten: "Das Problem ist ernst." Es würden nun bis zum Beginn des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag weitere Gespräche geführt. So werde sondiert, mit welchen Schritten die Zustimmung aller zum neuen Grundlagenvertrag erreicht werden könne.
Auch ein Verschieben der Reform der Stimmengewichtung der 27 EU-Staaten gilt als denkbar, um ein Scheitern des EU-Gipfels zu verhindern. Mehrere Diplomaten sagten am Rande des Außenminister-Treffens, dies könnte der letzte Trumpf von Bundeskanzlerin Angela Merkel sein, um den Widerstand Polens zu brechen. Völlig unklar sei jedoch, ob Präsident Lech und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski an der Spitze der Regierung in Warschau ein solches Angebot annehmen würden. Merkel hat ein Scheitern der Rettungsversuche für die Europäische Verfassung nicht ausgeschlossen und deutlich gemacht, dass ein Verschieben der Stimmen-Frage für sie nicht in Betracht kommt. Der EU-Gipfel in Brüssel soll einen EU-Reformvertrag festklopfen, der vermutlich nicht mehr Verfassung heißt.
Tschechien steht Polen bei
Tschechien will eine Isolierung Polens in dem Streit verhindern. "Wir lassen Polen nicht alleine", sagte der Prager Europaminister Alexandr Vondra am Rande des Außenminister-Treffens. Beim Gipfel müsse ein Kompromiss gefunden werden. "Ein Kompromiss ist keine Kapitulation", sagte Vondra. Wie dieser Kompromiss aussehen könnte, ließ er offen.
Kompromiss mit Polen schwierig
Der am Donnerstag beginnende Gipfel soll den Boden für eine EU-Reform bis 2009 bereiten. Als einziges EU-Land hat Polen mit einem Veto gedroht, falls es keine Änderungen an der in der Verfassung vorgesehenen neuen Stimmgewichtung der EU-Staaten gibt. Polen fürchtet gegenüber Deutschland an Einfluss zu verlieren, weil sich die Stimmen künftig stärker nach der Bevölkerungszahl eines Landes richten sollen.
Die EU-Ratsvorsitzende Merkel lehnt Änderungen an der Stimmgewichtung ab. Das System der so genannten doppelten Mehrheit sieht vor, dass Entscheidungen mit Zustimmung von 55 Prozent der Staaten fallen, die zugleich mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen.
"Wenn ich an der Stelle der deutschen EU-Präsidentschaft wäre, dann würde ich eine Verschiebung der Umstellung auf das neue System bis 2011 anbieten und ganz am Ende 2013 akzeptieren", sagte ein an den Verhandlungen beteiligter Diplomat. Auch zwei weitere Unterhändler sagten, solch eine Verschiebung könnte Merkels beste Chance sein, Polen doch noch zur Zustimmung zu bewegen.
Dies könne noch mit einem weiteren Angebot verknüpft werden, sagten die Diplomaten. So könnte es einer Minderheit von Staaten erleichtert werden, vor einer Mehrheitsentscheidung gegen sie weitere Beratungen zu erzwingen, hieß es. Falls es zu solchen Angeboten kommen sollte, dann aber erst in den letzten Stunden der Verhandlungen, die bis Samstag dauern könnten.
Versuche Deutschlands, Polen mit mehr Sitzen im EU-Parlament und Zusicherungen bei der Energiesicherheit zur Zustimmung zu bewegen, seien erfolglos gewesen, sagten Diplomaten. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy habe Polen bei seinem Besuch in Warschau nun die Idee gestärkter Minderheitenrechte nahe gebracht.
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margot Wallström, rief Polen zur Kompromissbereitschaft auf. Polen müsse die Positionen der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigen, sagte sie. Die 18 Länder, die die Verfassung ratifiziert haben, hätten bereits große Zugeständnisse gemacht, sagte Wallström.
Merkel will alles versuchen
Bundeskanzlerin Merkel schließt inzwischen ein Scheitern der Rettungsversuche für die Europäische Verfassung nicht aus. "Eine Präsidentschaft kann immer nur so erfolgreich sein, wie es die Kompromissbereitschaft aller anderen erlaubt", sagte sie nach einem Treffen mit dem luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker. "Einige ernste Probleme sind noch zu lösen", sagte sie auf Schloss Senningen nahe der Hauptstadt Luxemburg. "Wir werden alles versuchen." Das Treffen mit Polens Präsident Lech Kaczynski habe zuvor keine Annäherung gebracht.
Quelle: ntv.de