Politik

Bericht aus dem Tollhaus EU-Gipfel in Brüssel

In der Europäischen Union schwindet angesichts der schweren Wirtschaftskrise der Wille zu ehrgeizigen Klimaschutzzielen. Mit weitreichenden Zugeständnissen an die Industrie und Osteuropa will Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Brüsseler EU-Gipfel heute und morgen retten.

Im Kampf gegen die wahrscheinlich schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit stellte sich Sarkozy hinter den Vorschlag von Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso für ein zwischen den 27 EU-Staaten abgestimmtes Konjunkturpaket im Wert von 200 Milliarden Euro. Dafür sollen insgesamt 1,5 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung aufgewendet werden.

Merkel ohne "Wenn und Aber"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft auf eine Einigung der EU-Regierungen zum Klimaschutz. Sie rechnet aber zuvor mit schwierigen Verhandlungen. "Ich bin guter Hoffnung, dass wir es schaffen können – auch wenn es noch sehr schwierige Verhandlungen geben wird", sagte sie unmittelbar vor Beginn der Beratungen. Deutschland müsse aufpassen, dass Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammenpassten. "Aber wir werden vor allem darauf achten, dass wir die Klimaziele auch wirklich ohne Wenn und Aber erreichen."

Zur Wirtschaftskrise sagte sie, jedes Land müsse "seine Impulse geben". "Deutschland hat dies bereits in einem ersten Schritt getan", sagte sie. Weitere staatliche Hilfen gegen den Wirtschaftsabschwung seien möglich. Deutschland werde "laufend auch schauen, was müssen wir eventuell noch tun", sagte die Bundeskanzlerin. Und mit Blick auch auf den wachsenden Druck auch aus dem Ausland: "Deutschland ist sich seiner Verantwortung als größte Wirtschaftsmacht Europas bewusst."

Berlusconi droht mit Veto

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi drohte mit einem Veto. "Wenn wir nicht das bekommen, was wir von Anfang an gefordert haben, dann müssen wir ein Veto einlegen", sagte Berlusconi. "Es ist absurd, in Zeiten der Krise über den Treibhausgas-Ausstoß zu reden das ist, als ob jemand, der Lungenentzündung hat, über eine Dauerwelle nachdenken würde." Um ein Scheitern zu verhindern, legte Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy einen Kompromiss vor. Damit will Sarkozy als EU-Ratspräsident der Industrie und Osteuropa entgegen kommen und ein Scheitern des Gipfels verhindern. Diplomaten erwarteten harte Verhandlungen bis in die Nacht hinein.

Deutliche Kritik an London

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) übte derweil deutliche Kritik an den britischen Maßnahmen im Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Politik in London laufe auf eine Verschuldung hinaus, die von einer ganzen Generation abgetragen werden müsse, sagte Steinbrück dem US-Magazin "Newsweek". Der britische Premierminister Gordon Brown wies die Kritik zurück.

Browns Regierung gebe Milliarden für einen Plan aus, der durch zusätzliche Kredite und Steuererhöhungen nach 2011 finanziert werden müsse, sagte Steinbrück. Zu der im britischen Stützungspaket vorgesehenen Senkung der Mehrwertsteuer merkte der Bundesfinanzminister an, es sei die Frage, ob die Verbraucher einen DVD-Player kaufen würden, weil er statt 39,90 Pfund jetzt 39,10 Pfund koste. Brown wies Steinbrücks Kritik als Ausdruck der innenpolitischen Kontroverse in Deutschland zurück.

Er verteidigte seine Finanz- und Wirtschaftspolitik mit dem Hinweis, "dass fast jedes Land weltweit das tut, was wir getan haben". Die britische Regierung hatte Ende November ein Konjunkturpaket in Höhe von 20 Milliarden Pfund (24 Milliarden Euro) angekündigt. Die Mehrwertsteuer wurde ab Dezember bis Anfang 2010 vorübergehend gesenkt. Das Bundesfinanzministerium bemühte sich, die Wogen zu glätten.

"Das Klima ist okay"

Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus bekräftigte unterdessen, dass sich sein Land während der im Januar beginnenden EU- Ratspräsidentschaft nicht besonders für den Klimaschutz einsetzen wolle. "Wir werden keine Vorkämpfer für das (EU)-Klimapaket werden", sagte Klaus bei einem privaten Besuch in Rumäniens Hauptstadt Bukarest vor Journalisten. Er äußerte zudem Befürchtungen, dass die globale Wirtschaftskrise als Vorwand zur Einschränkung der Freiheit der Finanzinstitutionen genutzt werden könnte.

"Das Klima ist okay", das Problem der Erderwärmung eine "Ideologie", sagte Klaus bei der Präsentation seines Buches "Blauer Planet in grünen Fesseln". Auf der Welt herrsche "seit 10.000 Jahren dasselbe Klima". Eine Klimakatastrophe sei ausgeschlossen, deshalb sei er gegen "radikale Umweltschutzmaßnahmen".

Die globale Finanzkrise verglich Klaus mit einer "Grippe", deren Heilung "eine Woche dauert, wenn man zum Arzt geht, und sieben Tage, wenn man nichts tut". Die Weltwirtschaft werde sich erholen, "mit oder ohne Herrn Sarkozy, die G20-Gipfel oder die teuren Rettungspakete der Herren Paulson und Bernanke". Es sei zu befürchten, dass die Krise als Vorwand dienen werde, um "die fundamentalen Institutionen des Kapitalismus und der freien Märkte zu untergraben", sagte Klaus weiter.

Quelle: ntv.de

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