Portugal verdirbt die Stimmung EU beschließt Euro-Rettung
24.03.2011, 19:36 Uhr
Merkel bei ihrer Ankunft in Brüssel.
(Foto: AP)
Mehr Geld, härtere Strafen und eine abgestimmte Wirtschaftspolitik - so will die EU künftig Schuldenkrisen verhindern. Doch das Reformpaket dürfte die Finanzmärkte kaum beruhigen: Die EU-Staats- und Regierungschefs stellen sich bereits auf Nothilfen für Portugal ein, das als nächster Kandidat für Milliardenhilfen der Euro-Partner gilt.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem zweitägigen Frühjahrsgipfel in Brüssel weitreichende Reformen für den Euro beschlossen. Ziel ist es, neue Schuldenkrisen zu verhindern.

Portugals amtierender Ministerpräsident José Sócrates beim Treffen in Brüssel. Links Angela Merkel, rechts der neue irische Premier Enda Kenny im Gespräch mit Jean-Claude Juncker.
(Foto: REUTERS)
Die von Deutschland geforderte Nachbesserung beim neuen Rettungsschirm ESM blieb zunächst offen. Über diesen Sonderwunsch verhandeln Beamte aus den 17 Euro-Ländern noch. "Das halten wir aber eher für ein technisches Problem", sagte ein Diplomat. "Das ist lösbar." Die Bundesregierung will erreichen, dass die Raten für die Bareinlage zeitlich gestreckt und gleichmäßiger verteilt werden.
Die Einigung auf das Maßnahmenpaket gegen die Krise gilt als historisch: Es ist die größte Reform seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Künftig wird der Rettungsschirm für pleitebedrohte Euro-Länder aufgestockt und dauerhaft aufgespannt. Dafür wird der EU-Vertrag entsprechend geändert.
"Wir werden damit zeigen, dass wir die Lehren der Krise einiger Länder gelernt haben", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Auftakt des Treffens gesagt. Zu dem Paket gehören ein schärferer Stabilitätspakt, Reformversprechen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die finanzielle Ausstattung der milliardenschweren Rettungsfonds für Eurostaaten.
Defizitsünder werden künftig strenger bestraft. Zudem wollen die 17 Euro-Länder ihre Wirtschaftspolitik in einem "Pakt für den Euro" abstimmen. Das Ziel lautet, die Märkte zu beruhigen und neue Krisen wie in Griechenland und Irland zu vermeiden.
"Wir haben ein sehr großes Problem"
Überschattet wird der EU-Gipfel von der Regierungskrise in Portugal. Denn nach dem Sturz der Regierung in Lissabon bahnt sich die nächste Rettungsaktion für ein klammes Euroland an. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker schloss ein Hilfspaket für Portugal nicht länger aus. Mehrere EU-Staats- und Regierungschefs äußerten sich zu Beginn des EU-Gipfels enttäuscht über das Scheitern des Sparprogramms im portugiesischen Parlament.
EU-Diplomaten zufolge werden die Staats- und Regierungschefs Portugal aus Sorge über ein Ausufern der Krise den nun geschäftsführend amtierenden portugiesischen Ministerpräsidenten Jose Socrates erneut drängen, den Rettungsschirm von EU und IWF zu nutzen. Socrates hatte sich bisher dagegen gewehrt. Da Neuwahlen voraussichtlich im Mai bevorstehen, kann womöglich ohnehin kein Antrag auf Kredithilfe gestellt werden.
"Wir haben jetzt ein sehr großes Problem", sagte ein EU-Vertreter. Juncker bestätigte, dass ein Kreditpaket des Euro-Rettungsschirms etwa 75 Milliarden Euro umfassen könnte: "Sollte Portugal jemals um europäische Hilfe bitten, erschiene mir diese Größenordnung angemessen", sagte er dem Sender France 24.
Die Regierungskrise trieb die Zinsen portugiesischer Staatsanleihen auf Höchststände von fast acht Prozent. Das ist auf Dauer mehr, als das Land bewältigen kann. Der nächste Härtetest steht im April an, wenn Staatsschulden neu finanziert werden müssen. Die Rating-Agentur Fitch quittierte die Krise mit einer Verschlechterung der Bonitätsnote um zwei Stufen auf "A-", da die Sanierung der Staatsfinanzen infrage stehe.
20.000 protestieren gegen Sparzwang

Hinter der Absperrung in der Rue de la Loi demonstrieren Gewerkschafter gegen die Sparpolitik der EU.
(Foto: dpa)
Vor dem Gipfel hatten knapp 20.000 Menschen in Brüssel gegen die drastische Sparpolitik vieler Mitgliedstaaten demonstriert. Am Rande einer Großdemonstration in Nähe des Tagungszentrums kam es zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Dutzende gewaltbereite junge Leute rissen Steine aus den Bürgersteigen und bewarfen Polizisten. Diese setzten Wasserwerfer und Tränengas ein.
Zwölf Polizisten wurden nach Behördenangaben leicht verletzt. An einem Gebäude der belgischen Finanzverwaltung zerstörten Demonstranten Scheiben und die Eingangstür. Zwei Randalierer wurden festgenommen. In vielen Teilen der Stadt gab es wegen Straßensperrungen erhebliche Verkehrsbehinderungen. Das Tagungsgebäude war weiträumig abgesperrt.
Friedlich verlief eine Großkundgebung vor dem Brüsseler Wahrzeichen Atomium. Allein dort versammelten sich nach Polizeiangaben 3000 bis 4000 Menschen, die Veranstalter sprachen von 10.000. Etliche Protestteilnehmer reisten aus anderen EU-Staaten wie Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden an.
Merkel fordert Stresstests für europäische AKW
Bei ihrem Eintreffen in Brüssel forderte Merkel eine Einigung auf anspruchsvolle Stresstests für alle Atomkraftwerke in Europa. Auch Europa müsse die Lehren aus der Situation um das japanische Kernkraftwerk Fukushima ziehen. Sie werde deshalb bei den Partnern darauf dringen, dass es in Europa "Stresstests für alle Kernkraftwerke gibt und dass das Niveau der Sicherheit das höchste mögliche Niveau von Kernkraftwerken sein muss, das wir technisch machen können".
Im Libyen-Konflikt bekräftigte Merkel die Forderung nach einem umfassenden und vollständigen Ölembargo gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi. Europa müsse deutlich machen, "dass wir mit jemandem, der Krieg gegen sein eigenes Volk führt, an dieser Stelle keine Geschäfte machen", sagte die Kanzlerin. "Und die Handelsrestriktionen sollten so umfassend wie möglich sein." Die EU-Mitgliedstaaten sind in der Frage des militärischen Vorgehens gegen Libyen nicht einig.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts