Friedensnobelpreis geht an EU 500 Millionen Bürger geehrt
12.10.2012, 18:49 Uhr
Europa lebt seit 60 Jahren in Frieden.
(Foto: Reuters)
Hilfe für die europäische Idee in schweren Zeiten: Der Friedensnobelpreis 2012 geht an die EU. Ein starkes Signal, finden die einen. Schließlich sei die Organisation maßgeblich verantwortlich dafür, dass seit Jahren Frieden auf dem Kontinent herrsche. Aber Menschenrechtler reagieren mit Unverständnis, einige tun die Vergabe an die EU sogar als "Scherz" ab.
Mitten in der Finanzkrise wird die EU für ihre Verdienste um Versöhnung und Integration in Europa mit dem ausgezeichnet. Das gab das norwegische Nobelkomitee in Oslo bekannt. Komiteechef Thorbjörn Jagland begründete die Entscheidung damit, dass die Europäische Union habe. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einer "großen Ehre".
Die Entscheidung für die oft als Bürokratiemonster gescholtene EU stieß aber auch auf Kritik. Auch in der norwegischen Politik sorgte die Entscheidung für Ärger.
Das fünfköpfige Komitee hob in seiner Begründung die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg als herausragendes Ergebnis der europäischen Integration heraus. "Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar", hieß es.
Als weitere Leistungen der EU nannte Komiteechef Jagland die Förderung der demokratischen Entwicklung in den südeuropäischen Ländern und die Integration osteuropäischer Staaten nach dem Mauerfall 1989. "Dies ist ein historischer Preis sowohl in langfristiger wie in aktueller Perspektive", sagte Jagland.
Wer bekommt das Preisgeld?
Der Preis wird am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, in Oslo verliehen. Er ist mit umgerechnet 930.000 Euro dotiert. Die EU wird das Preisgeld voraussichtlich spenden. Die Summe werde wahrscheinlich an eine Wohltätigkeitsorganisation weitergereicht, sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Aber es sei noch keine Entscheidung gefallen. Offen ist auch noch, wer den Preis am 10. Dezember in Oslo für die Gemeinschaft entgegennimmt. Die Kommission habe dem Nobelpreiskomitee vorgeschlagen, die Auszeichnung Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und dem ständigen Ratspräsidenten Herman van Rompuy gemeinsam zu überreichen, sagte der Sprecher. Es könne aber auch sein, dass nur ein Vertreter nach Oslo fahre.
SPD-Chef Sigmar Gabriel brachte dazu dem Präsidenten des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, ins Gespräch. "Es wäre angemessen, wenn der Preis nicht von einem Technokraten aus der Kommission entgegengenommen würde, sondern von einem glaubwürdigen Repräsentanten des demokratischen Europa - vom Präsidenten des Europäischen Parlaments."
Im Vorfeld waren auch die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und deren Mitbegründerin Swetlana Gannuschkina als mögliche Preisträger gehandelt worden.
Komiteechef Jagland sowie der Direktor des Nobelinstitutes, Geir Lundestad, gelten seit mehreren Jahren als Verfechter der Vergabe an die EU. Die diesjährige Entscheidung sei einstimmig von allen fünf Mitgliedern des Komitees getragen worden, erklärte Jagland. Das Komitee ist nach einem Parteienproporz zusammengesetzt, der auch zwei EU-kritische Parteien berücksichtigt.
Wieder Leck bei der Verkündung des Preisträgers
Trotzdem wurde nach der Bekanntgabe Kritik laut. Audun Lysbakken, Chef der normalerweise in der Jury vertretenen EU-kritischen Linkssozialisten, warf Jagland unfeine Methoden vor. "Hat Jagland im Komitee geputscht, während unsere Vertreterin krank war?" fragte der Parteichef. Die Linkssozialistin in der Jury war wegen längerer Krankheit durch den nicht zur Partei gehörenden Bischof Gunnar Stålsett ersetzt worden.
Offen blieb in Oslo, warum der TV- und Rundfunksender NRK den Preisträger eine Stunde vorab verkünden konnte - das ist höchst ungewöhnlich. Spekulationen machten die Runde, dass möglicherweise Gegner der Entscheidung mit Insiderwissen dem Komiteechef den "Spaß verderben wollten". Bereits am Vorabend hatten sich Gerüchte verbreitet, dass der Nobelpreis diesmal an die EU gehen könnte.
Preis wichtig für Europa und die Welt
"Der Preis ist eine wichtige Botschaft für Europa: dass die EU etwas sehr Wertvolles ist, dass wir sie zum Wohle der Europäer und der ganzen Welt pflegen sollten", sagte Kommissionspräsident Barroso in Brüssel. Ratspräsident Herman Van Rompuy bezeichnete die Verleihung als "unglaubliche Ehre" und "größtmögliche Anerkennung der tiefen politischen Motive, die hinter der Union stehen".
Bundespräsident Joachim Gauck gratulierte der Europäischen Union zu der Auszeichnung: "Ich finde, darüber kann man sich freuen und gratulieren. Die Europäische Union ist ja eine große Werte- und Friedensgemeinschaft, die genialste Idee der Nachkriegsgeschichte. Deshalb freuen wir uns darüber." ... "Die Wiedervereinigung unsers Vaterlandes ist auch eine Folge der Europäischen Union. Und deshalb halte ich den Friedensnobelpreis für absolut in Ordnung, vielleicht schon sogar für überfällig, denn große Leistungen Europas liegen ja auch schon einige Zeit zurück."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erfreut über die "wunderbare Entscheidung". "Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich - auch für mich ganz persönlich", sagte sie in Berlin. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen würdigte die EU als "einzigartigen und entscheidenden Partner" des Bündnisses.
Nach Ansicht des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück muss die Mitverantwortung für Europa täglich neu begründet werden. "Dies ist das eigentlich Signal dieses Preises", sagte Steinbrück auf der Frankfurter Buchmesse. Die Auszeichnung sei nicht nur ermutigend und beflügelnd. Sie erinnere vor allem daran, dass Europa seit 60 Jahren in Frieden und - angesichts der jahrhundertelangen Kriege zuvor - "im politischen Ausnahmezustand" lebe.
Heftige Kritik aus Russland
Die russische Aktivistin Gannuschkina kritisierte die Entscheidung als Zeichen von "Impotenz". "Die Auszeichnung ist einer staatlichen bürokratischen Struktur zuerkannt worden", sagte sie enttäuscht. Die Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Alexejewa, sagte: "Ich hätte es besser gefunden, wenn zum Beispiel ein politischer Häftling im Iran den Preis erhalten hätte." Russische Bürgerrechtler hatten sich große Hoffnungen auf den Preis gemacht - als Anerkennung für die von Präsident Wladimir Putin zunehmend geschwächte Zivilgesellschaft.
Der tschechische Präsident und EU-Skeptiker Vaclav Klaus hat die Vergabe an die EU in einer ersten Reaktion als "Scherz" abgetan. Der neoliberale Staatschef könne die Nachricht nicht glauben, sagte sein Sprecher. Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg begrüßte dagegen die Osloer Entscheidung. Er bezeichnete die EU als größtes Friedenswerk der Nachkriegszeit.
Nach dem Testament des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) soll derjenige mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden, der im vorausgegangenen Jahr am meisten für den Frieden getan habe.
EU gilt schon lange als Kandidat
Die Europäische Union bemüht sich seit Jahren auch außerhalb der eigenen Grenzen um die Verhinderung und Entschärfung von Konflikten. Gemeinsam mit Russland, den USA und den Vereinten Nationen ist die EU Mitglied des Nahost-Quartetts. Sie finanziert Projekte zur Schaffung von Arbeitsplätzen vor allem für junge Menschen. Zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) gehören eine Reihe von zivilen und militärischen Einsätzen in Krisenregionen.
2011 entschied sich das Komitee für drei Frauen: Die Journalistin Tawakkul Karman aus dem Jemen teilte sich den Preis mit der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und Leymah Gbowee, ebenfalls aus Liberia.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP