Politik

"Der letzte Versuch" EU in der Krise

Eine Woche nach dem Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon steht die Krise der Europäischen Union in Brüssel und Berlin im Mittelpunkt von Beratungen. In der belgischen Hauptstadt kommen die Staats- und Regierungschefs zusammen, um über Folgen der irischen Ablehnung zu erörtern. In Berlin berät der Bundestag; Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt eine Regierungserklärung ab. Anschließend reist sie nach Brüssel, wo am Abend der zweitägige EU-Gipfel beginnt.

Die Staats- und Regierungschefs wollen darüber beraten, ob und wie die Ratifizierung des Lissabonner Vertrags fortgesetzt werden kann. Das Reformwerk soll die EU handlungsfähiger und auch demokratischer machen. Es kann aber erst in Kraft treten, wenn alle 27 Staaten es ratifiziert haben. Ursprünglich war geplant, dass der Lissabonner Vertrag vom 1. Januar 2009 an gilt, dieser Zeitplan scheint derzeit unwahrscheinlich. Merkel will erreichen, dass der Vertrag gerettet wird, auch wenn er möglicherweise nicht bis zum Jahresende in Kraft treten kann.

Preissteigerungen weiteres Thema

Bei dem Gipfel wollen die 27 EU- Staaten auch überlegen, wie den Bürgern angesichts dramatisch gestiegener Energie- und Lebensmittelpreise geholfen werden kann. Ein weiteres Thema ist der Schutz der EU-Grenzen vor illegalen Einwanderern sowie eine neue Partnerschaft mit den Mittelmeerstaaten. Die Gipfelrunde will zudem beschließen, die Slowakei am 1. Januar 2009 als 16. Mitglied der Eurozone aufzunehmen.

Erklärung von Irland erwartet

Der irische Regierungschef Brian Cowen wird der Runde erklären, wie es zu dem Scheitern des Referendums kommen konnte. Es ist aber sehr zweifelhaft, dass er bereits konkrete Auswege aus der Krise - wie beispielsweise ein zweites Referendum - aufzeigen wird. Aus deutscher Sicht wäre es deshalb "ein hervorragendes Ergebnis", wenn in Brüssel ein Zeitplan zur Lösung der Irland-Krise vereinbart werden könne, hieß es in Berlin. Der Reformvertrag ist bereits von zwei Drittel der EU-Staaten ratifiziert worden; am Mittwochabend hatte Großbritannien zugestimmt.

"Der letzte Versuch"

Vor dem Krisengipfel warnte der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok vor einer Neuverhandlung des EU-Reformvertrags. Der Ratifizierungsprozess müsse trotz der Ablehnung des Vertrags durch die Iren fortgesetzt werden, sagte der Europaabgeordnete. Nun müssten "alle übrigen 26 EU-Staaten zusammenhalten, um Irland wieder einzufangen". Dies sei der "letzte Versuch", die EU der 27 Mitgliedstaaten zu retten. Gelinge dies nicht, steuere die Gemeinschaft auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten zu. Skeptisch äußerte sich Brok zu Plänen, den Iren Ausnahmeklauseln ("opt out") anzubieten, um ihre Zustimmung zu dem EU-Reformvertrag doch noch zu erhalten. "Die Iren wollen gar keine Ausnahmeklauseln", behauptete Brok.

Zweites Referendum in Irland?

Wie aus der Umgebung Merkels verlautete, soll auf keinen Fall Druck auf Irland ausgeübt werden. Eine Möglichkeit, den Vertrag zu retten, wäre, eine zweite Volksabstimmung der Iren. Zuvor könnte die EU geschlossen zu den Bedenken des Landes Garantien abgeben - beispielsweise zur Neutralität.

Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn rechnet mit einem zweiten Referendum in Irland. "Ich weiß nicht, wie die Sache dort ohne zweites Referendum zu drehen wäre", sagte Asselborn der "Berliner Zeitung". Bei einer zweiten Abstimmung stelle sich dann die Frage, wie sie zu gewinnen sei. "Die Europäische Union könnte der irischen Bevölkerung Garantien geben und zeigen, dass deren Bedenken unbegründet sind", sagte der Minister. Die Union müsse "klarmachen, dass sie einen effizienten Schutzschild gegen die Gefahren der Globalisierung bildet".

EU-Kommissionschef Jos Manuel Barroso rief zur Solidarität mit Irland auf. "Überhastete Festlegungen oder gar Druck bringen doch nichts", sagte er der Tageszeitung "Die Welt". Zugleich rief Barroso die EU auf, nach dem Nein in Dublin nicht in eine "Schockstarre" zu verfallen.

Schlüsselrolle für Sarkozy

Eine Schlüsselrolle beim Krisenmanagement wird der französischen EU-Ratspräsidentschaft zukommen, die vom 1. Juli an für ein halbes Jahr die Geschäfte führt. Die Irland-Krise und mögliche Auswege dürften bei den kommenden EU-Gipfeln im Oktober und im Dezember unter Vorsitz von Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy debattiert werden.

Soll das Europaparlament im Juni 2009 nach den Regeln des Lissabon-Vertrags gewählt werden, müsste das Abkommen spätestens Anfang Februar in Kraft sein. Für Merkel komme nur eine Lösung aller Mitglieder mit Irland infrage, hieß es in Berlin. "Die Bundesregierung wird keine Verfahren mit Kerngruppen oder variablen Gruppen forcieren", betonten ihre Berater. Ein Aufschnüren des Vertrags lehnen Berlin und andere Hauptstädte ab.

Die Queen kann unterschreiben

Am Mittwochabend hatten die Lords im britischen Oberhaus, der zweiten Parlamentskammer, nach mehrstündiger Schlussdebatte dem EU-Vertrag zugestimmt. Die gewählten Volksvertreter im Unterhaus hatten bereits im März zugestimmt. Damit kann das Ratifizierungsgesetz von Königin Elizabeth II. unterschrieben werden und in Kraft treten. Großbritannien ist das 19. EU-Mitgliedsland, in dem der Vertrag vom Parlament angenommen worden ist.

Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft begrüßte die Entscheidung des britischen Oberhauses. Die Zustimmung zum EU-Vertrag zeige, dass dieser "noch Leben in sich" habe. Die Ratifizierungen in den Mitgliedstaaten sollten weitergehen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen