Kurswechsel in Agrarpolitik EU will neues Vertrauen
10.07.2002, 11:03 UhrAngesichts der Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre will die EU-Kommission die europäische Landwirtschaftspolitik radikal reformieren. "Mit Kosmetik ist es nicht getan. Wir brauchen ein Facelifting der gemeinsamen Agrarpolitik ", warb Agrarkommissar Franz Fischler für seine umstrittenen Pläne. Von der EU-Kommission wurden sie angenommen, müssen allerdings noch von den Mitgliedsstaaten gebilligt werden. Vor allem Frankreich hat bereits seine Anlehnung angekündigt.
Mit der Reform soll die bisherige Massen- und Überproduktion durch eine weitgehende Änderung des bisherigen Beihilfesystems beendet werden. Stattdessen sollen Qualitäts- und Umweltaspekte stärker in den Vordergrund rücken: Die Beihilfen sollen sich künftig nicht mehr an der Produktion orientieren, sondern an den Bedürfnissen der Verbraucher - sichere Nahrungsmittel und Tiergesundheit.
Für und Wider in Deutschland
Die Bundesregierung hat die Fischler-Vorschläge weitgehend begrüßt, in Teilen jedoch Widerspruch angemeldet. Auf die Ablehnung von Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast stieß vor allem die vorgeschlagene Begrenzung der Beihilfen, die besonders ostdeutsche Betriebe empfindlich treffen würden. Da müsse Gerechtigkeit walten, sagte Künast in Berlin.
Auch alle ostdeutschen Landesagrarminister protestierten gegen diesen Vorschlag. Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Rolf Schwanitz (SPD), sagte der dpa, Berlin sei „fest entschlossen, die Interessen der Ost-Agrarbetriebe wahrzunehmen“.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) kritisierte die geplanten Maßnahmen und sprach von einem "Affront gegen die neuen Bundesländer". Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte die Pläne hingegen einen Schritt in die richtige Richtung. Kostspielige Überproduktion müsse vermieden und der sparsame Einsatz von Haushaltsmitteln für die EU-Agrarpolitik sichergestellt werden. Auch Umweltschützer äußerten sich positiv.
Der Fischler-Plan
Fischlers Plan sieht vor, Zahlungen an einzelne Betriebe auf 300.000 Euro pro Jahr zu begrenzen. Dies würde insbesondere die früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in Ostdeutschland treffen. Die EU-Kommission verspricht sich von der Maßnahme Einsparungen von 200 Mio. Euro pro Jahr. Die 1.300 ostdeutschen Betriebe rechnen hingegen mit entsprechenden Einbußen in jährlich dreistelliger Millionenhöhe.
Die Einsparungen durch diese Beschränkung sollen aber in dem betreffenden EU-Mitgliedsland bleiben und könnten den betroffenen Betrieben durch andere Programme wieder zufließen, hieß es in Brüssel. Bislang machen die Subventionen im Haushalt der Union jährlich rund 30 Mrd. Euro und damit ein Drittel des Gesamtetats aus. Zudem sollen die Subventionen von 2004 an jährlich um drei Prozent gekürzt und in die ländliche Entwicklung investiert werden.
Fischler rief die Mitgliedstaaten der EU zu einer ernsthaften Debatte über seine Vorschläge auf und kündigte eine Entscheidung der Union über das gesamte Paket für das nächste Frühjahr an.
Streit um Direktzahlungen
Mit der Reform sollen nicht zuletzt die Weichen für die 2004 vorgesehene Erweiterung der Union gestellt werden. Dabei offenbarte sich ein weiterer Zwist: Fischler warb dafür, die Agrarreform nicht mit den Verhandlungen zur EU-Erweiterung zu vermengen. Künast jedoch verlangte Auskunft über die finanziellen Spielräume, die die Reform für die Erweiterung in der Agrarpolitik öffnen kann.
Da die Bundesregierung befürchtet, dass die Direktzahlungen nach der EU-Erweiterung explodieren könnten, dringt Deutschland auf deren Kappung. Allein in Polen gibt es mehr Bauern als in den heutigen 15 EU-Staaten zusammen. Deutschland trägt als größter Nettozahler ein Viertel aller EU-Agrarausgaben.
Frankreich hingegen, das von den Subventionen bislang am meisten profitiert, hat sich strikt gegen Änderungen in diesem Bereich ausgesprochen.
Quelle: ntv.de