Breivik-Prozess fordert den Rechtsstaat "Ein Angeklagter wie jeder andere"
19.04.2012, 11:03 Uhr
Anders Behring Breivik und sein Anwalt Geir Lippestad: "Freispruch nicht das Verlangen der Verteidigung".
(Foto: REUTERS)
Ob der Prozess gegen Anders Behring Breivik am Ende zu einer Verurteilung führen wird, ist noch nicht sicher. Vielleicht entscheidet das Gericht auch, dass Breivik nicht zurechnungsfähig ist. Doch gerade gegenüber so monströsen Verbrechen ist es unabdingbar, die Regeln rechtsstaatlicher Verfahren unbedingt einzuhalten, sagt der Sprecher der Neuen Richtervereinigung (NRV), Wenning-Morgenthaler, n-tv.de. Die Herausforderungen für die beteiligten Juristen sind gewaltig.
n-tv.de: Wie schwierig ist ein Prozess wie der Breivik-Prozess für die beteiligten Juristen?
Martin Wenning-Morgenthaler: Er stellt ganz hohe Anforderungen an alle Beteiligten, sowohl Richter wie auch Rechtsanwälte und Staatsanwälte. Jeder noch so schlimme Verbrecher hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, das läuft nach einem bestimmten Ritual ab und das muss in jedem Fall eingehalten werden. Deswegen ist es ganz wichtig, sich von den Emotionen frei zu machen, so gut es eben geht, um diese Regeln auch einhalten zu können.
In Norwegen ist es üblich, dass Richter und Gutachter dem Angeklagten die Hand geben. Das wurde auch gegenüber Breivik so gehandhabt. Wie wichtig sind diese Gesten?
Sehr wichtig. Damit wird gezeigt, wie stark der Rechtsstaat ist, auch gegenüber jemandem, der jede menschliche Norm verletzt hat. Ein rechtsstaatliches Verfahren zeichnet sich eben nicht dadurch aus, dass ich den Verbrecher ignoriere. Er ist ein Angeklagter wie jeder andere auch. Er ist schwerer Straftaten beschuldigt, die er seinem Geständnis zufolge ja auch unstreitig begangen hat. Aber ihn anders zu behandeln, wäre eine Niederlage des Rechtsstaates.
Breiviks Verteidiger Geir Lippestad hat beschrieben, wie schwierig dieses Mandat für ihn ist. Wie groß ist die Herausforderung, einen Mandanten wie Breivik zu verteidigen?
Das hängt davon ab, welche Geschäftsgrundlage man bei der Verteidigung hat. Wenn ich jemanden habe, der einer schweren oder schwersten Straftat beschuldigt wird, ist es ein Unterschied, ob ich auf jeden Fall einen Freispruch erreichen will oder nicht. Es ist natürlich eine ganz andere Herangehensweise, wenn ich von der Schuld oder Tatbegehung meines Mandanten überzeugt bin und schaffen will, eine faire Bestrafung zu erreichen. Wenn ich in jedem Fall einen Freispruch erreichen will, muss man als Anwalt schon sehr abgebrüht sein. Aber das ist ja offenbar nicht das Verlangen der Verteidigung.
Kann man da auch an eine Grenze geraten und einen Mandanten wie Breivik ablehnen?
Auf jeden Fall. In meiner früheren Tätigkeit als Rechtsanwalt kam ein Fall an mich heran, der Mandant war ein junger Mann, ein Handtaschenräuber, der zusammen mit einem Freund alte Frauen die U-Bahn-Treppen runtergeschubst und ihnen nach dem Geldabheben die Handtaschen geklaut hat. Die Frauen waren zum Teil sehr schwer verletzt. Da habe ich gesagt, wenn du einen Freispruch haben willst, such dir einen anderen Anwalt. Ein faires Verfahren will ich mit dir durchsetzen und das haben wir dann auch gemacht. Da muss jeder Anwalt sehen, inwieweit er seinem Gewissen verantwortlich ist und wie weit er sich auf so einen Mandanten einlassen kann. Wenn es keine Übereinstimmung mit dem Mandanten über das Prozessziel gibt, hätte ich große Schwierigkeiten, einen solchen Mandanten zu verteidigen.
Das gesamte juristische Personal zieht große mediale Aufmerksamkeit auf sich. Vom Verteidigerteam gibt es Fotos, die ein wenig an US-Anwaltsserien erinnern. Wie bewerten sie diese Bilder?
Da hat es in den letzten zehn Jahren eine deutliche Veränderung in der Gestaltung von Gerichtsprozessen gegeben. Wenn man an den Kachelmann-Prozess zurückdenkt, was es da an medialer Begleitung gegeben hat, das ist noch relativ neu. Dafür gibt es inzwischen das Schlagwort "Litigation-PR", also prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit von allen Seiten. Es gibt Medienanwälte, die nur zur Begleitung von Prozessen von Herrn Ackermann beispielsweise eingesetzt waren. In diesem Zusammenhang würde ich diese Bilder sehen. Ich glaube, dass jeder, der heute in einem solchen Verfahren eingesetzt ist, darauf vorbereitet ist oder zumindest sein müsste, dass es eine große mediale Aufmerksamkeit gibt.
Richterin Wenche Elizabeth Arntzen hat immer wieder versucht, Breiviks Rede abzukürzen. Ist das legitim?
Es ist gerade bei einem Verfahren mit einer so großen Medienaufmerksamkeit wichtig, dass man einerseits dem Angeklagten und den anderen Prozessbeteiligten Gelegenheit gibt, ihre Positionen darzustellen. In dem Moment, wo es aber zu einer Bühne wird, muss das Gericht einschreiten. Das machen die ganz gut in Norwegen. Sie beschneiden dem Angeklagten nicht seine Verteidigungsrechte, und auch wenn ein Angeklagter wirres Zeug erzählt, ist das sein Recht. Aber wenn es sich wiederholt, wenn es penetrant wird, ohne die Position klarer darzustellen, dann ist es auch Aufgabe des Gerichts, für einen zügigen Verfahrensablauf zu sorgen.
Wie wichtig ist es, dass die Richter gegenüber einem Angeklagten wie Breivik souverän agieren?
Das ist ganz wichtig. Als Richterin oder Richter muss man Chef im Saal sein. Man kann natürlich den Prozess bis zu einem gewissen Grad auch immer wieder laufenlassen. Aber wenn es in entscheidende Phasen kommt, also beispielsweise zum Schauspiel zu werden droht, dann muss man ganz schnell die Zügel wieder anziehen. Man muss nicht immer nur mit der ganz kurzen Leine arbeiten, aber man muss jederzeit total aufmerksam sein, um sofort eingreifen zu können.
Warum ist das so bedeutsam?
Nur dann hat man eine Chance, dass das Urteil am Ende akzeptiert wird. Das ist in so einem Verfahren besonders wichtig. Was das Gericht entscheidet, muss unbedingt vom Angeklagten und von der Öffentlichkeit akzeptiert oder zumindest toleriert werden. Nur so wird sich ein Frieden in der Gesellschaft herstellen lassen.
Staatsanwältin Inga Bejer Engh versucht offenbar, Breivik aus dem Konzept zu bringen. Wozu könnte das dienen?
Sie meint offenbar, dass das dazu führt, Breivik in einem schlechteren Licht dastehen zu lassen. Wenn er seine Beiträge so abarbeiten und vortragen kann, wie er das vorbereitet hat, könnte ihm das ja auch Pluspunkte bringen. Ich sehe das nicht so. Aber im Kern geht es sicher darum, Vorbereitetes durch Spontanes zu ersetzen.
Wie wichtig ist die Entscheidung des Gerichts, ob Breivik geisteskrank ist oder nicht?
Ich gehe mal davon aus, dass das norwegische Strafrecht weitgehend identisch mit dem deutschen ist. Wenn ich schuldunfähig bin, dann kann ich dafür nicht im Sinne des Strafrechts bestraft werden. Ich kann dann weggeschlossen werden, aber das ist dann eben ein Wegschließen wegen der Geisteskrankheit und nicht wegen der Tat. Deshalb macht es in der Wahrnehmung einen ganz erheblichen Unterschied, ob jemand für eine solche Tat verurteilt, also bestraft wird, oder eben nicht und unbestraft weggeschlossen wird.
Könnte diese Entscheidung das Gericht unter Druck setzen?
Das ist sicher schwierig, die Richterinnen und Richter sind ja keine Mediziner. Sie stützen sich auf die Gutachten. Sie lesen die Ausführungen der Gutachter und befragen sie. Dabei kommen sie zu der Überzeugung, ob ein Gutachten trägt oder nicht. Wenn sie Breivik für geisteskrank halten, ist es eine automatische Folge, dass er nicht verurteilt werden kann. Dass man sich in einer solchen Frage nicht immer von Emotionen frei machen kann, ist klar. Aber ich gehe davon aus, dass sie genügend professionell sind, um "ohne Ansehen der Person nur nach Recht und Gesetz" zu entscheiden.
Ist es dafür hilfreich, dass die Öffentlichkeit so viel vom Prozess mitbekommt?
Ob das in dieser Breite sein muss, darüber kann man vielleicht diskutieren. Aber es ist meines Erachtens wichtig, dass die Öffentlichkeit in die Lage versetzt wird, zu verstehen, wie ein Prozess funktioniert und wie ist das Gericht am Ende zu seiner Entscheidung gekommen ist.
Mit Martin Wenning-Morgenthaler sprach Solveig Bach.
Quelle: ntv.de