Politik

Kinderarmut in Deutschland Ein Fall für Karlsruhe

Jedes dritte Kind in Berlin, Halle und Kiel lebt von staatlichen Zahlungen. Bundesweit sind es etwa 1,7 Millionen Kinder. Und es werden immer mehr. Beim Bundesverfassungsgericht stehen nun die Hartz- IV-Sätze für die Ärmsten der Armen auf dem Prüfstand.

Für etwa 1,7 Millionen Kinder stehen die Hartz-IV-Sätze auf dem Prüfstein.

Für etwa 1,7 Millionen Kinder stehen die Hartz-IV-Sätze auf dem Prüfstein.

(Foto: dpa)

Das Gericht prüft am Dienstag die Berechnungsgrundlage der Leistungen, die der Staat für rund 1,7 Millionen Kinder in Hartz IV ausgibt. Diese Pauschbeträge wurden zwar seit 2005 für die sechs- bis 13-Jährigen um 40 Euro auf 251 angehoben. Doch das reicht Sozialverbänden zufolge nicht aus. Sie berechnen einen Mehrbedarf von rund einer Milliarde Euro im Jahr.

Mit den insgesamt drei Anfragen, die das Hessische Landessozialgericht (LSG) und das Bundessozialgericht an Karlsruhe stellten, ist dort nun der Vorläufer einer Verfahrenswelle angekommen, die durch die Sozialgerichte der Republik schwappt. 20 bis 30 Fälle warten inzwischen in Karlsruhe auf eine Entscheidung, bundesweit dürften hunderte anhängig sein.

Grund ist die Hartz-IV-Gesetzgebung von 2005, mit der die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) unter anderem die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zusammenstrich und zum Arbeitslosengeld II zusammenlegte. Damals lag der Regelsatz für Kinder von Null bis 13 Jahren bei 207 Euro monatlich sowie ab 14 Jahren bei 276 Euro. Inzwischen bekommen die sieben- bis 13-Jährigen 251 Euro im Monat.

66 Cent monatlich für ein Fahrradkauf

Zu welchen Härten Hartz IV für Kinder führt, rechnete der Kinderschutzbund mit Blick auf die nun in Karlsruhe anhängigen Klagen vor. Demnach billigte Rot-Grün einem Kind nur 2,56 Euro am Tag für Essen und Trinken zu. Kinder in Sozialhilfe hätten dagegen schon vor 20 Jahren umgerechnet 2,90 Euro am Tag für Lebensmittel bekommen.

Dem Kinderschutzbund zufolge sind Hartz-IV-Kinder überdies von weiten Bereichen eines kindgerechten Lebens abgeschnitten, weil 3,83 im Monat für den Besuch einer Sport- oder Kulturveranstaltung ebenso wenig reichten wie 66 Cent monatlich für ein Fahrradkauf oder 1,04 Euro für Sportartikel. Dass Kinder wegen ihres Wachstums häufiger Kleider benötigten, werde in dem vom Erwachsenenbedarf starr abgeleiteten Regelsatz überhaupt nicht berücksichtigt.

Die Sozialgerichte halten dies für verfassungswidrig. Kinder seien keine kleinen Erwachsenen und der Staat deshalb verpflichtet, deren Bedarf eigenständig zu berechnen, argumentieren sie. Dies gelte auch für Bildungsausgaben schulpflichtiger Kinder. Die Gerichte sehen außerdem einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, weil Kinder, deren erwerbsunfähige Eltern Sozialhilfe bekommen, Anspruch auf Sonderleistungen wie etwa ein zusätzliches Paar Winterschuhe haben. Kinder in Hartz IV könnten dagegen in der Regel keinen Sonderbedarf gelten machen.

Von 332 Euro - 502 Euro

Der nun geltende Satz von 251 Euro für Kinder zwischen sieben und 13 Jahren liegt nach Ansicht des Kinderschutzbundes noch immer weit unter dem tatsächlichen Bedarf von 332 Euro. Der Paritätische Wohlfahrtsverband errechnet 340 Euro und der jüngste Existenzminimumbericht der Bundesregierung beziffert den kindgerechten Bedarf mit 502 Euro im Monat.

Das Bundesverfassungsgericht wird in einem ersten Schritt die Berechnungsmethode des Hartz-IV-Satzes für Erwachsene unter die Lupe nehmen, von dem sich die Leistung für Kinder ableitet. Nach Ansicht des LSG ist bereits der Erwachsenen-Bedarf zu niedrig angesetzt, da als Berechnungsgrundlage nur die unteren 20 Prozent der Haushalte dienten. Weil darin bereits viele Sozialhilfeempfänger enthalten sind sowie ältere Menschen, die aus Scham keine Sozialhilfe beantragten, sei der errechnete Betrag zu gering.

Sozialrechtsexperten wetten schon jetzt darauf, dass Karlsruhe höhere Regelsätze für Hartz-IV-Kinder fordern wird. Doch jeder zusätzliche Euro für arme Kinder schlägt gleich mehrfach zu Buche, weil laut Kinderschutzbund damit auch die Kinderfreibeträge insgesamt angehoben werden müssen. Besserverdiener mit Kindern wird das freuen.

Quelle: ntv.de, AFP

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