Politik

Wieduwilts Woche Ein toter Mensch weckt Mitgefühl, ein toter Jude nur unter Umständen

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8. Oktober in Berlin: flatternde Davidsterne in der Nachmittagssonne.

8. Oktober in Berlin: flatternde Davidsterne in der Nachmittagssonne.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

An diesem Freitag will die Hamas in Deutschland Muslime aufhetzen, mittelfristig will sie Israel auslöschen. Und wir? Merken wir noch etwas?

Diabetiker können Gliedmaßen verlieren, wenn sie die fortschreitenden Entzündungen im Fuß nicht spüren. Indolenz nennt man diese Schmerzfreiheit. Sie ist erst einmal bequem, hat aber Folgen - die sieht man erst dann, wenn Körperteile absterben. Auch die Indolenz gegenüber Massenmord an Juden heißt: Zuschauen, wie ein Teil von uns stirbt.

Terroristen der Hamas sind in dieser Woche ihrem Endziel, dem Genozid an den Juden, ein gutes Stück nähergekommen. Doch zwischen Blutbad und globaler Pogromstimmung blitzten morbide Momente der Erleichterung. Beginnen wir vielleicht mit denen.

Auf den Straßen der Welt, ob Berlin, London oder Palma de Mallorca, wurde es über Nacht normal, Judenhass in den Himmel zu schreien: Yallah, wir schauen Massenmord im Stream! Erleichtert sind hier Palästinenser und ihre muslimischen Alliierten: Ein Tabu ist gebrochen, wir sind viele.

"Yes!", die Tochter ist tot

Erleichtert ist der irische, in Israel lebende Vater, der sich über den Tod seiner kleinen Tochter freut. Freut, weil seine Tochter so nicht in Gaza gefoltert werden kann. "Yes!!", habe er gedacht, sagt er weinend in die Kameras.

Den rechten Rand erleichtert, dass es nicht mehr um ihn und den Holocaust geht. Schaut doch, dort ist die Gefahr, bei den Muslimen, nicht in unseren alten Schulranzen! Sie sind erleichtert, wenn Frauen mit Kopftuch im Fernsehen hell über das Schlachtfest lachen, sie sind erleichtert, wenn Frauen mit Kopftuch Tipps geben, wie Kinder in der Schule mit Hamas sympathisieren. Alle ausweisen! Politisches Momentum nennt man das.

Auch Juden in Deutschland spüren so etwas wie morbide Erleichterung. Weil die Welt nun sieht, wie es ist, wenn Menschen von Vernichtungswillen umzingelt sind. Weil viele nicht wissen, was es heißt, wenn Hamas, Hisbollah und Iran Israel und jeden einzelnen Juden vernichten wollen. Das heißt nämlich: Dass sie Israel und jeden einzelnen Juden vernichten wollen.

"Möge ihr Andenken ein Segen sein"

Am Donnerstag waren viele Menschen kurz morbide erleichtert, weil CNN International berichtete, es gäbe keinen Nachweis für von Hamas geköpfte verbrannte Babies. Tausende blitzartig zu Faktencheckern mutierte Antisemiten hatten zuvor in sozialen Medien gefragt, warum es von diesen Gräueln denn, bitteschön, kein Bildmaterial gebe. Was für eine bizarre Hoffnung da durchschimmerte: Babymord, ja gut, aber immerhin nicht geköpft!

Die Israelis schauten sich das Ganze an und machten das, was sie immer tun. Sie zogen Konsequenzen. So wurde das Bild also doch öffentlich, das Foto einer verkohlten, kopflosen Babyleiche. Eine Zeitung stellte karg fest: "Die Jerusalem Post kann nun anhand von verifizierten Fotos der Leichen bestätigen, dass die Berichte über verbrannte und enthauptete Babys bei dem Angriff der Hamas auf Kfar Aza zutreffen." Das Blatt ergänzte zudem einen bemerkenswerten Satz, eine Formulierung des jüdischen Totengedenkens: "Möge ihr Andenken ein Segen sein."

Israel kennt die Grausamkeit der Gleichgültigen. Jede Nachrichtenambivalenz und sei es die Art, wie ein Baby ermordet wurde, stärkt die gleichgültigen Zaungäste des Mordens in ihrer Haltung. Das ist der Grund: Deshalb kann das Andenken an ein verkohltes, geköpftes Baby, wie die "Jerusalem Post" schreibt, "ein Segen" sein. Gleichgültigkeit ist die größte Existenzbedrohung neben palästinensischen Mördern. Auf allen Kanälen hämmert die israelische Regierung daher der Öffentlichkeit ein: Hamas ist ISIS, Hamas ist ISIS, Hamas ist ISIS - sogar schlimmer.

Hamas ist sexy, ISIS nicht

Diese Kommunikation fußt auf einer schwierigen Erkenntnis: Hamas ist sexy, der "Islamische Staat" nicht. Ein toter Mensch weckt Mitgefühl, ein toter Jude nur unter Umständen. Den Kopfabschneidern von ISIS applaudierten nur Islamisten - für die Kopfabschneider der Hamas verteilt man Baklava auf der Neuköllner Sonnenallee. Wie schlimm können diese Leute also schon sein, denken die Gleichgültigen.

Deutschland ist besonders anfällig, in diese Gleichgültigkeit zu sacken. Manche Linken haben so viel Angst vor der Wiederkehr des deutschen Faschismus, dass sie unterschiedslos Widerstand feiern, auch wenn es gegen Juden geht. Sie sehen in Hamas Freiheitskämpfer. Dauertwitternde Politikerinnen und Politiker ringen sich über Tage nicht durch, Solidarität mit Israel zu bekunden. In Universitäten werden vor allem propalästinensische Gruppierungen sichtbar. Der Goldjunge der antikapitalistischen Linken, Yanis Varoufakis, verweigerte ausdrücklich, die Hamas zu verdammen.

Im Gewand des Dekolonialismus halten sie das blutige Zurückdrehen der Weltgeschichte für ein heroisches Ziel. Auch das erzeugt vermeintliche Ambivalenz, im Schatten derer die Gleichgültigkeit floriert.

Gleich gültig heißt gleichgültig

Während in Israel also noch Juden sterben, zücken gleichgültige Oberlehrer schon das Völkerrechtslineal, um die Reaktion der Armee in Gaza zu vermessen. Denn: Beide haben Schuld! Beide Positionen sind gleich gültig! Da schreiben Journalisten "Vergeltung" statt "Verteidigung" und "Kämpfer" statt "Terroristen".

Manche Art der Gleichgültigkeit ist ganz dezent. Ein hoher deutscher Beamter der Sozialdemokraten im Kanzleramt bejubelt im laufenden Massaker die Leistung des Fußballvereins St. Pauli. Es war, lesen wir zwischen Zeugnissen über massakrierte Juden, offenbar ein "geniales Spiel". Andere Überforderte zucken die Achseln, weil "die da unten sich wieder die Köpfe einschlagen".

Nur mit dieser Gleichgültigkeit ist überhaupt erklärbar, dass Terroristen der Hamas sich bisher auf deutschem Boden betätigen durften, trotz ständiger Warnungen aus Israel. Nur so ist erklärbar, dass die wesentlichen muslimischen Verbände sich nicht zu klarer Verdammung palästinensischen Terrors durchringen - weil es niemand ernsthaft verlangt.

Auf die Gleichgültigen kommt es an

Wenn heute Abend also Terrorsympathisanten in deutschen Moscheen zum Angriff auf jüdische Einrichtungen und jüdische Menschen hetzen, kommt es auf die Gleichgültigen an. Nicht auf die Israel-Freunde, die sich eh nach explodierendem Antisemitismus gewohnheitsgemäß am Brandenburger Tor versammeln und mit gepressten Lippen auf flatternde Davidsterne in der Nachmittagssonne starren.

Die Indolenz lässt uns übersehen, dass der Fuß fault. Indolenz führt zu Massenmord. Bundeskanzler Olaf Scholz hat das erkannt. Wir müssten die Sicherheit von Juden in Deutschland gemeinsam leisten, sagte er im Bundestag. Es klang unpassioniert wie stets, man wünscht sich so sehr die wuchtige Rede des Joe Biden. Aber Scholz hatte mit jedem Wort recht.

Wir brauchen mehr Schmerzen in Deutschland. Denn wenn es jetzt nicht endlich weh tut, dann sollten wir das "Nie" aus "Nie wieder" streichen - und durch "gelegentlich" ersetzen.

Quelle: ntv.de

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