Politik

Die Grünen bleiben hart "Eine Frage der Glaubwürdigkeit"

Die Grünen pochen auf eine Finanztransaktionssteuer. Sie soll Börsenspekulationen eindämmen.

Die Grünen pochen auf eine Finanztransaktionssteuer. Sie soll Börsenspekulationen eindämmen.

(Foto: REUTERS)

Kurz vor dem Spitzentreffen der Bundesregierung mit der Opposition zum Fiskalpakt erscheint eine Einigung wie schon seit Wochen in weiter Ferne. Der finanzpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, spricht mit n-tv.de über zerstörtes Vertrauen, gefährliche Pokerpartien und die doppelbödige Strategie der FDP.

n-tv.de: Ihre Parteivorsitzende Claudia Roth fand nach den jüngsten Gesprächen mit der Regierung über den Fiskalpakt drastische Worte für den Verhandlungsstil von Schwarz-Gelb. "Man könnte auch populär sagen, dass sie versuchen, einen zu verarschen",  sagte sie. Wie würden Sie das Vorgehen der Koalition beschreiben?

Gerhard Schick: Wirklich unglaublich. Dass Herr Pofalla kurz nachdem die Regierung in den Verhandlungen eine Zusage zu einer Finanztransaktionssteuer gemacht hat, sagt, dass die Union das gar nicht so ernst gemeint hat, das geht natürlich gar nicht.

Gerhard Schick

Gerhard Schick

Wie wirkt sich das auf die nächste, entscheidende Verhandlungsrunde an diesem Mittwoch aus?

Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir fordern jetzt sehr klare Zusagen. Eine unverbindliche Erklärung reicht uns nicht aus. Und deswegen sagen wir, es braucht nicht nur einen Kabinettsbeschluss, sondern es braucht eine klare Initiative der Bundesregierung auf europäischer Ebene, die das Projekt Finanztransaktionssteuer wirklich voranbringt.

Die FDP macht nicht gerade den Eindruck, dass sie tatsächlich bereit ist, so eine Initiative mitzutragen …

Zuletzt ist ziemlich deutlich geworden, dass die FDP versucht, Bedingungen zu diktieren, die es de facto unmöglich machen, dass eine Finanztransaktionssteuer kommt.

Wie meinen Sie das?

Ganz am Anfang war die FDP-Position ja, dass es gar keine Finanztransaktionssteuer geben sollte. Dann forderte sie, dass die Steuer global Gültigkeit haben muss. Dann nur, wenn sie EU-weit kommt und London dabei ist. Jetzt will die FDP Bedingungen formulieren, die nicht eingehalten werden können.

Finanztransaktionssteuer

Es gibt etliche Varianten von Finanztransaktionssteuern (FTT). In Europa wird derzeit vor allem eine Version diskutiert, die die EU-Kommission im Herbst 2011 vorgeschlagen hat.

Was verbirgt sich hinter dem Konzept der EU-Kommission?
Die EU-Kommission schlägt eine Steuer vor, die auf Finanzgeschäfte mit Wertpapieren, Anleihen, Anteilen und Derivaten erhoben wird.

Wozu dient die Steuer?
Die Finanztransaktionssteuer soll in erster Linie spekulative Handelsgeschäfte eindämmen. Banken und andere Finanzdienstleister führen heutzutage Hunderte Transaktionen in kürzester Zeit durch - oft automatisiert. Diese Form des Handels heißt "Hochfrequenz-Handel" und kann in kürzester Zeit zu schweren Verzerrungen des Marktes führen. Die FTT erhöht die Kosten dieser Geschäfte, weil durch sie jede einzelne Transaktion besteuert wird. Die Hoffnung ist, dass Finanzdienstleister ihren Hochfrequenz-Handel darum einschränken. Zudem soll sie dafür sorgen, dass sich Banken auf diesem Weg an den Kosten der Krise beteiligen.

Welche Länder sollen die Steuer einführen?
Die Kommission strebt an, die Steuer in allen 27 EU-Staaten einzuführen, angesichts des globalisierten Finanzmarktes idealerweise gar auf der ganzen Welt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Investoren der Steuer ausweichen, indem sie Handelsplätze ohne FTT nutzen.

Wie lässt sich verhindern, dass Investoren die Steuer umgehen?
Durch das sogenannte Ansässigkeitsprinzip. Die Steuer würde danach immer dann fällig, wenn eine Person oder ein Finanzinstitut aus einem EU-Land an einem Geschäft beteiligt ist.

Wie hoch ist die Steuer?
Die EU-Kommission schlägt einen Satz von 0,1 Prozent für den Handel mit Anleihen und Anteilen und von 0,01 Prozent für den Handel mit Derivatprodukten vor.

Wer bekommt die Steuereinnahmen?
Die Erträge aus der FTT sollen in die Haushalte der EU und seiner Mitgliedsländer einfließen.

Wie viel Geld kommt dabei zusammen?
Die EU-Kommission schätzt die Erträge in Europa auf rund 57 Milliarden Euro im Jahr.

Was passiert mit dem Geld?
Grundsätzlich sind Steuereinnahmen nicht zweckgebunden. Die EU-Kommission wünscht sich aber, dass zumindest ein Teil des Geldes für Wachstum- und Beschäftigungsprogramme und den Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt wird.

Was passiert, wenn sich Regierung und Opposition  bei der Börsensteuer und damit beim Fiskalpakt am Mittwoch nicht einigen?

Die Umsetzung des Fiskalpaktes hat bis Ende des Jahres Zeit. Das ist auf europäischer Ebene so festgelegt. Deswegen gibt es beim Fiskalpakt keinen Zeitdruck.

Wäre es nicht ein verheerendes Signal für die Märkte, wenn die Bundesregierung ihren Zeitplan - sie will den Fiskalpakt noch vor der Sommerpause ratifizieren - nicht einhalten kann?

Das darf man nicht überschätzen. Die Finanzmarktakteure wissen genau, dass der Fiskalpakt für die Lösung der jetzigen Probleme keine unmittelbare Wirkung hat. Drängend sind andere Maßnahmen.

Aber es geht dabei ja nicht nur um den Fiskalpakt. Schwarz-Gelb pocht darauf, über den Rettungsschirm ESM zusammen mit dem Fiskalpakt abzustimmen. Getreu dem Motto: Mehr Geld für Krisenstaaten gibt es nur, wenn die schwachen Euroländer sich dem Kurs der Haushaltskonsolidierung verpflichten. Kurzum: Scheitert die Einigung beim Fiskalpakt, scheitert zunächst auch die Ratifizierung des ESM.

Sie sehen ja, wie dramatisch die Lage ist. Ein Staat nach dem anderen kippt. Nach Griechenland, Irland und Portugal braucht mit Spanien jetzt schon der vierte Staat Unterstützung. Und es ist zu befürchten, dass mit Zypern und Italien die nächsten Staaten bald drankommen. Dieser Dominoeffekt muss gestoppt werden. Doch das gelingt mit der bisherigen Strategie ja offensichtlich nicht. Es ist aber richtig, dass man den ESM bald verabschieden sollte. Wir haben schon vor Wochen signalisiert, dass wir bereit sind, hier zu einer zügigen Ratifizierung zu kommen. Denn an dieser Stelle ist es wichtig, dass das Instrumentarium bereit steht, um eingreifen zu können, falls sich die Lage weiter zuspitzt.

Pokert die Bundesregierung mit ihrem Beharren auf eine gemeinsame Abstimmung über Fiskalpakt und ESM zu hoch?

Die Bundesregierung hat das völlig falsch eingeschätzt. Sie ging am Anfang davon aus, der Fiskalpakt könnte mit einer einfachen Mehrheit durch den Bundestag gehen. Dann erst hat sie, auf unseren Hinweis hin, festgestellt, dass man dafür eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat braucht. Und dann hat die Kanzlerin gemeint, das würde einfach so durchlaufen.

Müssten die Grünen jetzt nicht als verantwortungsbewusste Partei sagen: Wir wählen das geringere Übel und räumen einige unserer Positionen, um ESM und Fiskalpakt auf den Weg zu bringen, um die Euro-Zone zu retten?

Ich glaube, es wäre unverantwortlich, Regeln zu verabschieden, bei denen klar ist, dass sie nicht einzuhalten sind und die Schuldenlast weiter steigt. Das würde zur nächsten Krise führen. Unsere Verantwortung besteht darin, die Voraussetzung zu schaffen, dass der Schuldenabbau in Europa wirklich gelingen kann. Und deshalb schlagen wir Maßnahmen vor, die genau das sicherstellen.

Was an dem Kurs der Bundesregierung ist denn so falsch?

Was an den Märkten derzeit eine Rolle spielt, ist: Kommt Spanien an Geld? Kommt Italien an Geld? Wie steht es mit dem Zustand der zypriotischen Banken? Der griechischen Banken? Das sind die unmittelbar drängenden Fragen, bei denen die Bundesregierung bisher die wirklichen Lösungen blockiert hat. Die Krise hat sich deutlich zugespitzt in den letzten Wochen, weil die stabilisierenden Instrumente nicht vorangebracht worden sind. Dagegen hat die Bundesregierung sehr viel Energie in den Fiskalpakt gesteckt, der aber zur unmittelbaren Lösung zur jetzigen Krise keinen Beitrag leistet.

Noch ist die Luft nicht ganz raus aus der EU - davon ist zumindest Schick überzeugt.

Noch ist die Luft nicht ganz raus aus der EU - davon ist zumindest Schick überzeugt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Völlig tatenlos ist die Regierung bei stabilisierenden Maßnahmen aber nicht …

Die Stabilisierung leisten im Moment nicht die Regierungen, sondern vor allem die Europäische Zentralbank. Und indem sie das tut, findet genau die Vergemeinschaftung der Schulden statt, die die Bundesregierung angeblich verhindern will. Außerdem wird es auf diesem Weg deutlich teurer als nötig.

Wo hakt es denn beim Fiskalpakt?

Beim Fiskalpakt ist zum einen die Frage: Ist ein Vertrag ohne parlamentarische Kontrolle akzeptabel für die europäische Demokratie? Da haben wir massive Bedenken. Und zum anderen, und darum geht es ja in den Verhandlungen jetzt: Ist es verantwortlich, Regeln festzulegen, die manche Teilnehmer der Währungsunion überhaupt gar nicht erfüllen können?

Sie sprechen vom harten Sparkurs?

Ja, denn er führt ja, wie jeder sehen kann, nicht zum Abbau von Schulden, sondern zu immer mehr Schulden. Im Moment bricht die Wirtschaft weg. Manche Teile der Euro-Zone sind in einer heftigen Rezession. Und in dieser Situation fehlt es nicht an Regeln, sondern an der Fähigkeit, die Schulden zurückzahlen zu können. Das ist der Kern unseres Rufs nach Investitionen in den Krisenländern. Niemand hat etwas davon, wenn die Wirtschaft da so einbricht, dass auch gesunde Strukturen, gesunde Unternehmen in den Strudel der Krise hineinkommen. Außerdem muß neben Ausgabenkürzungen auch die Einnahmesituation der Staaten verbessert werden, damit die Schulden abgebaut werden können. Deshalb fordern wir eine Finanztransaktionssteuer. Schließlich braucht es einen Schuldentilgungspakt, damit die Schuldenlast nicht durch ständig steigende Zinsen immer größer wird. Doch das lehnt die Bundesregierung ab und gefährdet dadurch das Ziel, dass wir doch alle haben: einen Abbau der zu hohen Staatsschulden.

Das klingt nicht gerade so, als wäre ein Kompromiss mit der Bundesregierung zum Greifen nahe. Beharren alle Grünen so vehement auf diesen Punkten wie Sie?

Wir sind uns sehr einig, was die entscheidenden Veränderungen angeht, die im Krisenmanagement der Bundesregierung vorgenommen werden müssen. Das konkrete Verhandlungsergebnis werden wir dann gemeinsam bewerten. 

Mit Gerhard Schick sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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