Debatte um türkischen EU-Beitritt Erdogan erhitzt die Gemüter
26.02.2011, 14:19 UhrKurz vor dem Besuch des türkischen Premiers Erdogan in Deutschland entbrennt die Debatte um den EU-Beitritt des Landes neu. Erdogan kritisiert Kanzlerin Merkels Vorschlag einer privilegierten Partnerschaft. CDU-Politiker Kauder fordert ein Ende der Gespräche, solange in der Türkei keine Religionsfreiheit herrsche. Altkanzler Schröder tritt für einen Beitritt ein.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat erneut die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu dem von seinem Land angestrebten EU-Beitritt kritisiert. "Die Erwartung der türkischen Bevölkerung ist, dass Deutschland wie schon unter früheren CDU-Regierungen innerhalb der EU eine Vorreiterrolle bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einnimmt", sagte Erdogan der "Rheinischen Post". Er bemängelte auch die deutsche Integrationspolitik.
Am Sonntag will Erdogan im Düsseldorfer ISS Dome vor tausenden türkischen und türkischstämmigen Bürgern auftreten. Die Polizei bereitet sich auf Proteste vor. Vor drei Jahren hatte der türkische Regierungschef mit einer Rede in Köln eine heftige Debatte ausgelöst. Seine Landsleute forderte er damals auf, sich nicht zu stark der deutschen Kultur anzupassen. Das Reizwort damals lautete "Assimilation". Zwar forderte Erdogan die in Deutschland lebenden Türken zur Integration auf, zugleich warnte er aber vor Aufgabe ihrer kulturellen Identität. Wörtlich sagte er: "Ich verstehe sehr gut, dass ihr gegen die Assimilierung seid. Man kann von euch nicht erwarten, euch zu assimilieren."
Am Montag eröffnet Erdogan dann in Hannover zusammen mit Merkel die Computermesse CeBIT, bei der die Türkei das Partnerland ist. Zuvor trifft er in der niedersächsischen Landeshauptstadt mit dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD zusammen.
Kauder gegen weitere Verhandlungen
Erdogan wandte sich erneut gegen den von der CDU/CSU propagierten Plan einer "Privilegierten Partnerschaft" von EU und Türkei. Die Beitrittsverhandlungen würden mit dem Ziel der vollwertigen Partnerschaft geführt. Von "Privilegierter Partnerschaft" werde von Zeit zu Zeit auch in Ländern außerhalb Deutschlands gesprochen, sagte Erdogan. "Aber ich verstehe das als eine Formulierung, die allein für den innenpolitischen Gebrauch gedacht ist." Nach seiner Ansicht werden die Beitrittsverhandlungen mit der EU "ausschließlich aus politischen Gründen verlangsamt".
Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, nannte Erdogans Kritik an der deutschen Integrationspolitik abwegig. "Niemand wird in Deutschland zu einer Assimilation, zu einer Aufgabe der Ursprungskultur, verpflichtet", erklärte Tören. Auch mangele es Deutschland nicht an einer Kooperation mit den türkischen Zivilorganisationen und Behörden.
Unionsfraktionschef Volker Kauder forderte dagegen einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Ich verlange von der EU, dass in den Gesprächen über eine Aufnahme der Türkei keine neuen Verhandlungskapitel eröffnet werden, solange die Türkei nicht die volle Religionsfreiheit gewährleistet", sagte Kauder der "Rheinischen Post". Die Türkei müsse sich hier nicht mehr nur an Worten, sondern an klaren Zeichen messen lassen, sagte der CDU-Politiker. "Dazu gehört für mich, dass die griechisch-orthodoxen Christen ihre Priester wieder in der Türkei ausbilden dürfen." Auch die Enteignung von Grundstücken des christlichen Klosters Mor Gabriel in der Türkei hält Kauder für einen "kritischen Punkt".
"Anwalt für die Mitgliedschaft der Türkei"
Altkanzler Schröder forderte Merkel zu Korrekturen in ihrer Türkei-Politik auf. "Das Gerede, der Türkei anstelle der EU-Mitgliedschaft eine substanzlose privilegierte Partnerschaft anzubieten, muss aufhören", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Gerade Deutschland müsse sich zum Anwalt für die Mitgliedschaft der Türkei machen, auch aus Eigeninteresse. Schließlich sei Deutschland der mit Abstand größte Wirtschaftspartner des Landes. Merkel richte ihre Außenpolitik zu wenig strategisch aus und zu sehr nach innenpolitischen Gesichtspunkten.
Erdogan kritisierte auch, bei der Integration der Türken in Deutschland würden von den deutschen Behörden die Ansichten, Erwartungen und Bedürfnisse der Türken als Zielgruppe nicht berücksichtigt. "Bis heute beachten die deutschen Behörden in Integrationsfragen auch nicht die Ansichten der zuständigen Behörden in der Türkei", fügte er hinzu. "Für eine erfolgreiche Integration halte ich es für erforderlich, dass die deutschen Behörden in Zukunft nicht weiter einseitig handeln, sondern die Kooperation mit den türkischen Migranten, den türkischen Zivilorganisationen und der türkischen Regierung anstreben."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP