"Debakel des Humanismus" Erinnerung an Kriegsbeginn
30.08.2009, 14:59 Uhr
Der polnische Botschafter Marek Prawda und seine Frau (l-r), sowie Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau Eva Luise Köhler.
(Foto: dpa)
Mit einem gemeinsamen Gottesdienst in Berlin haben Deutsche und Polen an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor knapp 70 Jahren erinnert. Die Messe setze die Tradition der Versöhnung zwischen den beiden Ländern fort, sagte Bundespräsident Horst Köhler vor dem Besuch der Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Der Warschauer Erzbischof Kazimierz Nycz sagte in seinem Schlusswort: "Krieg ist das Debakel des authentischen Humanismus und die Katastrophe der gesamten Menschheit." Die europäischen Nachbarländer seien dazu aufgerufen, immer neu nach Wegen der Freundschaft zu suchen und den Frieden zu sichern.
Der Vorsitzende der deutsch-polnischen Kontaktgruppe der Bischofskonferenzen, Wiktor Skworc, warnte in seiner Predigt vor einem zu rückwärtsgewandten Blick. "Wir wollen nicht den Fehler begehen, die Geschichte neu zu verurteilen, die Opfer neu aufzuzählen und das Leid so zu messen." Das Hauptaugenmerk müsse auf der weltweiten Friedensarbeit in Gegenwart und Zukunft liegen. Nach dem Ende des Weltkriegs 1945 habe es sowohl in Deutschland als auch in Polen zu wenig Willen zur Vergebung gegeben. Dies habe sich geändert.
Sein deutscher Kollege in der Kontaktgruppe, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, nannte die gemeinsame Gedenkmesse mit so vielen hohen Vertretern aus Politik und Kirche "ein Novum" in der 1965 begonnenen Aussöhnung zwischen den deutschen und polnischen Katholiken. "Die einander gereichten und ergriffenen Hände sollen ineinander bleiben." Nationalistische und von Neid bestimmte Politik sei aber weiterhin eine Gefahr für den Frieden.
Schwan bedauert fehlende Ökumene
Zu der Messe waren auch die Botschafter aus Polen, Marek Prawda, und den USA, Phil Murphy, gekommen. Die Koordinatorin der Bundesregierung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, Gesine Schwan, sagte nach der Messe: "Es gibt in Deutschland nicht so sehr viel Aufmerksamkeit für den 1. September." Auch deshalb sei die gemeinsame Messe sehr wichtig gewesen. Schwan bedauerte, dass die evangelische Kirche zeitgleich zu einem Gedenkgottesdienst an den Kriegsbeginn am 1. September 1939 eingeladen hatte. "Man hätte das auch gemeinsam als ökumenischen Gottesdienst machen können."

Wehrmachtssoldaten reißen am 1. September 1939 einen Schlagbaum an der deutsch-polnischen Grenze ein. Am selben Tag stießen Heeresverbände der Wehrmacht in zwei Angriffskeilen mit insgesamt 1,5 Millionen Soldaten und unterstützt von der Luftwaffe Richtung Warschau vor.
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Bei dem evangelischen Gottesdienst in der St.-Marien-Kirche würdigte der Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, das Projekt von Historikern des Nachbarlandes, die Namen aller polnischen Opfer "des deutschen Verwüstungsfeldzuges" von 1939 bis 1945 zusammenzutragen. "Namenloser kann man nicht gedenken", sagte Huber. "Jeder und jedem wünscht man Namen und Erinnerung." Aber es werde noch lange dauern, "bis jene fünf bis sechs Millionen Opfer allein in Polen dem Vergessen entrissen sind, dem sie durch das kollektive Gedächtnis Europas ausgeliefert wurden".
Huber erinnerte an die zahlreichen Initiativen zur Begegnung, Verständigung und Versöhnung zwischen den Kirchen beider Ländern nach dem Weltkrieg. Die Erfahrungen Europas nach 1945 ermutigten dazu, "in den Konflikten unserer Zeit den zivilen und friedlichen Lösungswegen einen klaren Vorrang zuzuerkennen".
Quelle: ntv.de, dpa