Politik

"Eine sehr besondere Sitzung" Erst die Milliarden, dann die Papierkneipe

Der Haushaltsausschuss bei der Arbeit.

Der Haushaltsausschuss bei der Arbeit.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Grünen-Finanzexperte Sven Kindler nennt die Finanzpolitik der Großen Koalition borniert. Dennoch lobt er das gute kollegiale Verhältnis im Haushaltsausschuss. Bei der Bereinigungssitzung gibt es sogar Bier.

n-tv.de: An diesem Donnerstag kommen Sie und die anderen Mitglieder des Haushaltsausschusses zur Bereinigungssitzung zusammen, um über die letzten offenen Fragen des Bundesetats 2015 zu verhandeln. Um wie viel Geld geht es da?

Sven Kindler ist haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

Sven Kindler ist haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

(Foto: Daniel George, cc-by-3.0)

Sven-Christian Kindler: Wir beraten und entscheiden jetzt über rund 300 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr im Bundeshaushalt ausgegeben werden sollen. Der größte Posten ist, wie jedes Jahr, der Etat des Ministeriums für Arbeit und Soziales, aber auch die Etats des Verteidigungsministeriums und des Verkehrsministeriums sind sehr groß.

Der weitaus größte Teil des Bundeshaushalts ist längst fest verplant. Wie viele Milliarden können Sie bei der Bereinigungssitzung überhaupt noch verschieben?

Natürlich gibt es Spielraum, aber den muss man sich erkämpfen. Das erfordert Mut, dafür muss man den Haushalt entrümpeln und umschichten. Das macht die Große Koalition leider nicht - Wolfgang Schäuble verweigert die Arbeit am Haushalt.

Wie würden Sie umschichten?

Man muss das Betreuungsgeld in Höhe von einer Milliarde abschaffen und stattdessen in die Qualität und den Ausbau von Kitas investieren, man könnte Milliarden bei Rüstungsdesastern einsparen. Man müsste unsinnige Autobahnprojekte streichen und dafür in den Erhalt von Bundesstraßen und Brücken investieren. Der Staat gibt jedes Jahr 50 Milliarden an umweltschädlichen Subventionen aus - bei der Flugindustrie, bei der Förderung von Uran, Kohle, Öl oder beim Agrardiesel. Hier muss man schnell und konsequent mindestens 10 Milliarden abbauen. Auch die Einnahmeseite muss endlich gesteigert werden. Wir wollen die ungerechte Abgeltungsteuer abschaffen und Kapitaleinkommen wie Löhne und Gehälter progressiv besteuern.

Aber wie viel Gestaltungs- oder Verhinderungsmacht hat ein Oppositionsvertreter im Haushaltsausschuss?

Wir wollen vor allem klar machen, dass dieser Haushalt nicht alternativlos ist, sondern dass eine gerechte und solide Haushaltspolitik mit großen Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz, Breitbandausbau, gute Bildung und Betreuung möglich ist. Bisher war die Große Koalition sehr borniert und hat keinen Willen dafür gezeigt.

Gibt es Themen, wo Sie mit den Koalitionsvertretern an einem Strang ziehen?

Manchmal. Wir machen eine kritische, aber konstruktive Oppositionsarbeit und freuen uns, wenn die Koalitionsfraktionen Themen von uns aufgreifen. Nicht bei den großen Fragen, aber bei kleineren Themen, wie beispielsweise der Suchtprävention, einzelnen Kulturprogrammen, Sperrungen von Personalstellen bei dem neuen Bundesamt für kerntechnische Entsorgung, sind wir dieses Jahr gemeinsam vorgegangen. Zusammenarbeit gibt es auch durchaus bei störrischen Ministerien, die Informationen nicht herausrücken wollen. Dort agieren wir als Mitglieder im Haushaltsausschuss öfters gemeinsam.

Bei den Bereinigungssitzungen soll es Alkohol geben ...

Moment: Wir fangen mittags an und tagen sehr konzentriert und verantwortungsvoll bis tief in die Nacht. Zwischendurch machen wir natürlich Pausen und essen etwas im Sekretariat des Haushaltsausschusses. Da gibt es auch die sogenannte Papierkneipe, ...

... die so heißt, weil dort die Sitzungsmappen für die Ausschussmitglieder zusammengestellt und außerdem Bier und Wein ausgeschenkt werden.

Wir haben im Haushaltsausschuss trotz politischer Differenzen ein gutes kollegiales Verhältnis - man duzt sich durch alle Fraktionen. Wenn man dann nach der getanen Arbeit in der Papierkneipe ein Bier oder eine Apfelschorle zusammen trinkt, finde ich das okay.

Die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis hat mal in einem Interview gesagt, sie habe als Bundestagsabgeordnete eigentlich keinen Alkohol getrunken. Im Haushaltsausschuss hat sie sich das allerdings bald abgewöhnt. Am Anfang habe sie in der Papierkneipe nach Wasser gefragt, aber die Antwort bekommen: "Nee, so was haben wir hier nicht!"

Heute gibt es natürlich auch Apfelschorle und Wasser.

Kommt es vor, dass Abgeordnete im Verlauf des Abends, nun ja, kompromissbereiter werden?

Das habe ich noch nicht erlebt. Wir arbeiten bei den Bereinigungssitzungen sehr konzentriert, das findet alles auf höchstem Niveau statt und läuft sehr gewissenhaft ab.

Zu den Bereinigungssitzungen kommen auch Minister.

Wenn der Haushaltsausschuss den Ministerien so viel Geld gibt, dann erwarten wir auch, dass die Minister vor Ort sind, wir ihnen kritische Fragen stellen und mit ihnen debattieren können. Das ist eine sehr besondere Sitzung, da müssen alle kommen.

Kommen auch alle?

Die Minister wissen genau, dass Sanktionen drohen, wenn sie nicht kommen. Bei den Beratungen zum Haushalt 2014 sind sie alle zwei Mal im Haushaltsausschuss erschienen. Ich gehe davon aus, dass auch dieses Mal alle kommen.

Bekommen die Minister auch ein Glas angeboten?

Die Minister müssen erst mal warten, bis sie an der Reihe sind. Das kann schon mal ein paar Stunden dauern. Aber wenn sie lange genug durchhalten, dann dürfen sie auch nach getaner Arbeit etwas trinken.

Mit Sven-Christian Kindler sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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