Die Merkelsteuer kommt Erst geben, dann nehmen
11.12.2009, 14:41 UhrDie "schwäbische Hausfrau" ist vergessen: Trotz massiver Kritik von Wirtschaftsweisen und Bundesrechnungshof will Kanzlerin Merkel die geplanten Steuersenkungen durchdrücken. Wenn das Experiment schief geht, wird es teuer für die Bürger - dann droht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

"Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben": Angela Merkel im Dezember 2008 auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart.
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Die Wirtschaftsweisen, der Bundesrechnungshof, sogar die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche sind einer Meinung: Die Steuerpläne der Bundesregierung sind falsch. "Steuersenkungsversprechen ohne solide Gegenfinanzierung, wie sie sich im Koalitionsvertrag finden, sind unseriös", schrieben die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten. "Für weitere Steuersenkungen in größerem Umfang gibt es derzeit finanzwirtschaftlich keinen Spielraum", sagte Rechnungshof-Präsident Dieter Engels. Und die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hält die Staatsverschuldung für "ethisch nicht mehr vertretbar".
Doch die Bundeskanzlerin hat keinen Spielraum, sie ist ein Opfer ihrer Wahlversprechungen, die sie sich aus München hat diktieren lassen. Bis zum Sommer sprach Angela Merkel gern und häufig von einem "Dreiklang" aus Schuldentilgung, Investitionen in Innovation und steuerlicher Entlastung. Geblieben sind allein die Steuersenkungen.
Vergessen ist die solide wirtschaftende "schwäbische Hausfrau", die Merkel im Dezember 2008 beim CDU-Parteitag in Stuttgart als Kronzeugin aufrief: "Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben", sagte Merkel damals und sprach davon, dass man auch in Zeiten der Krise "Verantwortung vor dem Steuerzahler von heute und vor dem Steuerzahler in der Zukunft" haben müsse.
Milliarden für das Wachstum
Das ist lange her, der aktuelle Haushaltsentwurf für 2010 sieht eine Rekordneuverschuldung von 100 Milliarden Euro vor. Am 18. Dezember steht das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" im Bundesrat zur Abstimmung. Bis dahin muss Merkel entweder alle schwarz-gelb regierten Länder auf Linie bringen oder - sollte allein Schleswig-Holstein ausscheren - die Stimmen des Saarlands kaufen. An diesem Sonntag wollen Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) und den Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki im Kanzleramt in die Mangel nehmen. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) drohte bereits vorsorglich, sein Land werde nicht zustimmen, wenn es eine Sonderlösung für Schleswig-Holstein geben sollte. Wenn Niedersachsen bluten soll, dann bitteschön auch Schleswig-Holstein.

Angst um den Landeshaushalt: Peter Harry Carstensen und Wolfgang Kubicki stellen sich quer.
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Denn bluten müssen die Länder. Bis zu 8,5 Milliarden Euro kostet das Gesetz, mit dem die Bundesregierung das Wachstum zu beschleunigen hofft. Nur ein Viertel der darin enthaltenen Entlastungen seien sinnvoll, meint das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln. 2,3 Milliarden Euro müssen die Länder schultern, 1,6 Milliarden die Kommunen. Schleswig-Holstein rechnet mit Steuerausfällen in Höhe von 70 Millionen Euro für das Land und weiteren 60 Millionen Euro für die Kommunen.
Ausweg Mehrwertsteuer
Worauf werden Bundesregierung und renitente Länder sich einigen? Im Gespräch sind diverse Zugeständnisse des Bundes, etwa eine andere Verteilung der Mehrwertsteuer, mehr Bundesmittel für die Bildung oder für Hartz-IV-Empfänger. Das alles ginge jedoch zu Lasten des Bundeshaushalts und ist damit nicht sehr wahrscheinlich.
Wahrscheinlich ist etwas ganz anderes: Über kurz oder lang wird die Bundesregierung die Mehrwertsteuer erhöhen und die Masse der Konsumenten ihre Steuergeschenke bezahlen lassen. Bislang wird dies zwar von Union und FDP ausgeschlossen, doch hat die Idee in beiden Parteien ihre Freunde.

Mai 2006: FDP-Chef Guido Westerwelle zeigt ein SPD-Plakat aus dem Wahlkampf 2005. Die Union hatte darin eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte angekündigt, die SPD hatte dies abgelehnt. Am Ende erhöhte die Große Koalition die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent.
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Vor der Bundestagswahl hatte Wolfgang Kubicki öffentlich darüber nachgedacht, das Steuersystem weg "von der Einkommenssteuer hin zur Mehrwertsteuer" zu verlagern. Zuvor hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) vorgeschlagen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abzuschaffen. Der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard erwartet Steuererhöhungen spätestens ab 2014. Immerhin hält er eine Anhebung der Mehrwertsteuer "für das Wachstum am wenigsten schädlich".
Kubicki und Oettinger lösten im Wahlkampf wahre Dementi-Fluten aus. Doch was bleibt der Bundesregierung übrig? Das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" ist ja nur der Anfang, 2011 will Schwarz-Gelb Bürger und Unternehmen nochmals um rund 20 Milliarden Euro entlasten. Dann soll auch die ganz große Steuerreform mit Stufentarif kommen. Den hält die CSU für "ruinös". Viel Raum für Streit.
Merkel hat sich für ein Vabanque-Spiel entschieden. "Wir können scheitern, oder wir können es schaffen. Beides ist möglich", sagte sie am 10. November in ihrer Regierungserklärung über den "strikten Wachstumskurs" ihrer Regierung. Ein teures Experiment, vor dem Experten warnen. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält den ganzen Ansatz, durch Steuersenkungen Wachstum zu erzeugen, für "grundfalsch", die OECD bezweifelt, dass Steuersenkungen notwendig sind: Sie erzeugten weniger Wachstum als direkte Investitionen. Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus: "Wenn neue Schulden unumgänglich sind, müssen sie für die eingesetzt werden, die sie abbezahlen müssen: für unsere Kinder und Enkel", weiß Thüringens CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht.
Quelle: ntv.de