Von Hessen nach Sibirien Erziehung im Geiste Kochs
17.01.2008, 10:46 UhrDie Behörden in Hessen greifen im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern zu drastischen Mitteln. Der Landkreis Gießen bestätigte, dass ein jugendlicher Gewalttäter aus Mittelhessen zur Resozialisierung nach Sibirien (Russland) geschickt worden ist. Dort müsse der 16-Jährige neun Monate lang unter extremen Bedingungen hart körperlich arbeiten und beispielsweise für sein Brennholz sorgen.
Der zuständige Jugend- und Sozialdezernent Stefan Becker (Freie Wähler) sagte, der Jugendliche sei in einem kleinen Dorf untergebracht. "Da gibt's kein Fernsehen. Da gibt's kein Internet, (...) keine Dinge, die ihn von der Spur abbringen können." Es gehe nicht um eine Bestrafung, sondern um eine "erlebnispädagogische Maßnahme". Etwa die Hälfte seiner Zeit in Sibirien sei bereits vorbei. Laut Becker hat der Junge kein fließendes Wasser zur Verfügung und musste sich eine behelfsmäßige Toilette selbst bauen.
Kritik an Auslandserlebnispädagogik
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) waren 2006 bundesweit etwa 600 Kinder und Jugendliche in "intensivpädagogischen Auslandsmaßnahmen" untergebracht. Jugendämter entschließen sich zu solchen Maßnahmen auf Basis des Sozialgesetzbuches (VII, 35).
Die Auslandsunterbringung, zumal außerhalb der EU, ist jedoch umstritten. Kritiker werfen den Jugendämtern eine "Entsorgungsmentalität" vor. Vor vier Jahren tötete eine 14-Jähriger in Griechenland seinen Betreuer. 2005 war ein 17-Jähriger mehrere Wochen in Kirgisien nicht aufzufinden.
In Kochs Geist
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat im Landtagswahlkampf mit Forderungen nach einem härteren Umgang mit jugendlichen Gewalttätern eine bundesweite Debatte ausgelöst. Die SPD lehnt die von der CDU geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts erneut strikt ab. Alle Redner der SPD widersprachen im Bundestag in dem hochemotional geführten Schlagabtausch klar dem Koalitionspartner.
In der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde bezeichneten SPD und Opposition das geltende Recht als ausreichend. Das Problem seien vielmehr Vollzugsdefizite. Abgeordnete von CDU und CSU verteidigten Koch und beharrten auf einer Verschärfung der Gesetze. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Hans-Peter Uhl, kündigte an, alle von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) abgelehnten Vorschläge wieder einzubringen. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte, es gebe Fälle, wo Erziehungsgespräche nichts nützten. Diese jugendlichen Straftäter müsse man "leider hinter Schloss und Riegel bringen".
Kochs Aussaat geht nicht auf
Nach einer aktuellen forsa-Umfrage zahlt sich Roland Kochs Vorstoß zur Verschärfung des Jugendstrafrechts bei den Wählern nicht aus. Wie forsa für n-tv ermittelte, ist rund die Hälfte aller Bundesbürger der Meinung, diese Haltung schade dem hessischen Ministerpräsidenten. Nur 36 Prozent sagen, dies bringe Koch Nutzen, während 10 Prozent denken, dass die Debatte ihm weder nutze noch schade. Nicht einmal die Hälfte der Unionsanhänger glaubt, Koch habe profitiert.
Quelle: ntv.de