n-tv.de Interview "Es bleibt eine gewisse Doppelmoral"
18.03.2002, 10:51 UhrProstituierte in Deutschland können sozialversichern und ihr Entgelt gerichtlich einklagen. Das heißt, dass Prostitution und ihre Förderung nicht mehr strafbar, also die Sittenwidrigkeit des "ältesten Gewerbes der Welt" nicht mehr gegeben ist. Das Gesetz trat am 1. Januar 2002 in Kraft. Aber was bringt es überhaupt in der Praxis? Darüber sprach n-tv.de mit Friederike Strack von der Berliner Prostituiertenorganisation "Hydra".
n-tv.de: Erfüllt das neue Gesetz die Hoffnungen der Prostituierten? Was halten Sie von dem Gesetz?
Strack: Ich bewerte das Gesetz sehr positiv - auch wenn es vielleicht klarer hätte formuliert werden können. Auf jeden Fall muss man erst abwarten, wie sich das Ganze in der Praxis umsetzen lassen wird - denn da gibt es noch viele Unsicherheiten. Etwa ist noch nicht so klar, wie ein Arbeitsvertrag jetzt genau aussehen soll. Es ist außerdem nicht klar, ob ein Fall von Scheinselbstständigkeit vorliegt, wenn eine Frau immer im gleichen Bordell arbeitet. Das muss man alles abwarten. Positiv ist aber jedenfalls auch, dass es für Prostituierte nun keine Probleme mehr gibt, in Krankenversicherungen einzutreten.
n-tv.de: Was bringt denn die Bestimmung, dass Prostituierte ihren Lohn jetzt gerichtlich einklagen können, in der Praxis?
Strack: In der Praxis ist das nicht so relevant, weil es sowieso Vorauskasse gibt. Wichtig ist aber der symbolische Wert dessen, dass die Prostitution jetzt nicht mehr sittenwidrig und als entgeltliche Arbeit anerkannt ist - auch wegen der Kreditwürdigkeit. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg.
n-tv.de: Gehen Ihnen die Bestimmungen ansonsten weit genug? Was würden Sie sich noch wünschen?
Strack: Wir wünschen uns, dass das Werbeverbot noch wegfällt. Schließlich ist es ja auch ein bisschen absurd: In jeder Zeitung kann man die Kleinanzeigen lesen, nur darf das Wort Prostitution nicht dabeistehen. Da haben wir Hoffnungen, dass sich da vielleicht noch etwas tut. Ein anderer Punkt ist die Sperrgebietsverordnung, die für die Frauen nur Nachteile schafft, indem definiert wird, wo man in der Prostitution arbeiten darf und wo nicht. Oft sind diese so genannten Toleranzzonen ja außerhalb der Stadt, in Industriegebieten, wo es dunkel ist und es keine Infrastruktur gibt. Oder die entsprechenden innerstädtischen Gebiete sind, wenn es sie denn gibt, sehr begrenzt, was dann wiederum ganz schnell zu Wuchermieten führen kann. Es ist deshalb zu überlegen, ob es überhaupt noch Sperrbezirke geben muss.
n-tv.de: Was könnte noch geleistet werden?
Strack: Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass auch für die Migrantinnen noch mehr getan wird. Wichtig ist, dass auch Frauen aus anderen Ländern ihre Rechte bekommen und sich nicht in die Illegalität begeben müssen, um hier arbeiten zu können. Dadurch macht man sich immer nur abhängig von anderen Leuten.
n-tv.de: Wie bewerten Sie eigentlich die Haltung der Bevölkerung? Glauben Sie, dass die Prostitution jetzt vielleicht als ganz normaler, gewöhnlicher Beruf angesehen wird, und hilft das Gesetz hier etwas?
Strack: Auf jeden Fall ist es ein Fortschritt. Ich glaube zwar nicht, dass jetzt alle sagen, die Prostitution sei ein ganz gewöhnlicher Beruf. Doch entscheidend ist auch die symbolische Aussagekraft: Man steht jetzt nicht mehr so in der Ecke. Das hatten ja auch Umfragen schon gezeigt: Da hatten sich rund 70 Prozent der Bevölkerung dafür ausgesprochen, die Diskriminierung von Prostituierten abzuschaffen. Trotzdem bleibt da natürlich noch eine gewisse Doppelmoral. Aber wenn jetzt schon der Gesetzgeber etwas in diese Richtung macht, wird sich dadurch vielleicht auch die Haltung der Bevölkerung noch weiter verändern. Das hoffe ich jedenfalls.
Quelle: ntv.de