Politik

Interview mit Hajo Funke "Es sieht nach lebenslänglich aus"

Slobodan Milosevic ist erstmals dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag vorgeführt worden. Eine Stellungnahme zu den ihm zur Last gelegten Verbrechen verweigerte er. n-tv.de sprach hierzu mit Prof. Hajo Funke von der Freien Universität Berlin. Er hat gemeinsam mit Alexander Rhotert ein Buch zum Thema verfasst.

Prof. Funke, Milosevic erkennt das UN-Tribunal nicht an. Er wird die Zusammenarbeit offenbar verweigern. Was bedeutet das für den anstehenden Prozess?

Hajo Funke: Milosevic täte im eigenen Interesse gut daran, die Vorwürfe des Gerichts ernstzunehmen und Einfluss zu nehmen - und zwar durch Anwälte, und nicht - wie er es angekündigt hat - durch Selbstverteidigung. Wenn er das nicht tut, wird das Verfahren sozusagen an ihm vorbeigehen. Das Gericht hätte es dann viel leichter, ihn zu verurteilen. Aber wie auch immer Milosevic sich verhalten wird, ich denke, es wird auf der Basis der vorliegenden Fakten zu einer Verurteilung kommen - vor allem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, möglicherweise auch wegen Völkermordes.

Aber es gibt doch vermutlich keine Schriftstücke, mit denen sich beweisen ließe, dass Milosevic diese und andere Verbrechen persönlich angeordnet hat.

Funke: Die muss es auch nicht geben. Es reicht, wenn er in einer Position war, in der er Kenntnis von diesen Dingen gehabt haben muss. Und als Präsident war er in einer solchen Position. Er hat es mindestens unterlassen, die Verbrechen zu verhindern.

Mit welchem Strafmaß ist zu rechnen?

Funke: Es sieht nach lebenslänglich aus.

Wie lange wird das Verfahren voraussichtlich dauern?

Funke: Zwei Jahre. Die Sache ist sehr komplex. Wahrscheinlich wird die jetzige Anklage noch erweitert auf Verbrechen in Bosnien und Kroatien. So jedenfalls hat es die Chefanklägerin Carla del Ponte angekündigt. Wie gesagt, wenn Milosevic an seiner Blockade festhält, wird es für das Gericht einfacher, und das Verfahren wäre vielleicht schneller beendet.

Was ist mit Milosevics Familie? War die auch an Verbrechen beteiligt? Müssen einzelne Mitglieder ebenfalls mit Anklagen rechnen?

Funke: Man hört, dass da der ein oder andere informell beteiligt gewesen ist. Aber das ist nicht entscheidend. Jetzt muss man sich auf Milosevic konzentrieren.

Milosevic steht vor Gericht. Aber wie sieht es mit seinen einstigen Helfern, den Serbenführern Radovan Karadciz und Ratko Mladic aus? Müssen sie auch mit einer Auslieferung an das Tribunal rechnen?

Funke: Durch die Inhaftierung Milosevics hat sich die Situation für Karadciz und Mladic eindeutig verschlechert. SFOR und KFOR können es sich nicht mehr leisten, sie laufen zu lassen. Das ist ja offenbar in der Vergangenheit passiert. Wenn der serbische Präsident Djindjic es geschafft hat, Milosevic auszuliefern, dann gibt es kein Argument mehr, die beiden anderen Hauptverantwortlichen nicht intensiv zu suchen und ebenfalls auszuliefern.

Seine Auslieferung aus Jugoslawien hat bei Milosevics Anhängern Wut und Empörung ausgelöst. Wie würden diese Menschen reagieren, wenn es zu einer Verurteilung ihres einstigen Führers kommt?

Funke: Sicher hat Milosevic noch Anhänger im Land, aber ihre Zahl wird immer geringer. Entscheidend ist: Das System Milosevic ist gebrochen - durch den Umsturz im Oktober 2000. Immer mehr Greueltaten werden bekannt, und so erkennen immer mehr Menschen in Serbien: Wir sind einem Verbrecher gefolgt! Die Mehrheit ist dort inzwischen gegen Milosevic. Es mag noch zu vereinzelten Verbrechen bzw. Attentaten kommen durch eine neue rechtsgerichtete Konstellation. Aber die große Zeit des Extremismus ist vorbei.

Der Prozess gegen Milosevic ist der erste seiner Art. Welche Auswirkungen hat das auf die Zukunft?

Funke: Das ist ein ungeheurer Rechtsfortschritt. Der Prozess gegen Milosevic knüpft an die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg an, insbesondere hinsichtlich der Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Völkermord. Das UN-Tribunal hat sich in den vergangenen Jahren große Anerkennung und damit Legitimität verschafft. Es arbeitet sehr seriös und fair. Natürlich laufen immer noch eine Reihe von Staatsmännern oder einstigen Staatsmännern herum, die vor ein Gericht gehören, Pinochet zum Beispiel. Aber das Völkerrecht entwickelt sich Schritt für Schritt. Das kommt noch. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man diejenigen, derer man habhaft werden kann, auch ergreift und ihnen den Prozess macht. Das ist nicht zuletzt für die Opfer von großer Bedeutung.

Prof. Funke, wir danken Ihnen für das Gespräch.

(Das Interview mit Prof. Hajo Funke führte Thomas Willimowski.)

Quelle: ntv.de

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