Politik

Berlins SPD-Klatsche in Grafiken Es war einmal eine sozialdemokratische Hauptstadt

Sie alle regierten und regieren für die SPD Berlin: Klaus Wowereit, Walter Momper, Franziska Giffey und Michael Müller

Sie alle regierten und regieren für die SPD Berlin: Klaus Wowereit, Walter Momper, Franziska Giffey und Michael Müller

(Foto: picture alliance/dpa)

Ein um drei Prozentpunkte niedrigeres Wahlergebnis klingt nicht nach einem Erdrutsch. Tatsächlich aber sind die Verluste der SPD in Berlin gewaltig. Die Wahlklatsche betrifft nicht nur das Abgeordnetenhaus, sondern auch die im Stadtstaat so mächtigen Bezirksregierungen.

Das Jahr 2001 gehört zu den wohl wichtigsten in der Geschichte der Berliner SPD. Mit dem Einzug von Klaus Wowereit ins Rote Rathaus stellten die Sozialdemokraten endlich wieder den Regierenden Bürgermeister, nachdem sie den Westen der Stadt von Anfang der 50er bis Anfang der 80er mit bundesweit bedeutsamen Parteigrößen wie Ernst Reuter und Willy Brandt regiert hatte. Auch schon vor der Machtergreifung der Nazis war Berlin eine Hochburg der SPD. Die fast drei Jahrzehnte, in denen mit kurzer Unterbrechung die CDU-Politiker Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen regierten, waren aus SPD-Sicht eher eine Anomalie.

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Mit "Wowi" zog 2001 wieder ein Roter ins Rote Rathaus, doch auch diese Ära könnte nach 21 Jahren enden: Die SPD ist nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl weit hinter die CDU zurückgefallen. Die nach Wowereit und dessen Nachfolger Michael Müller ins Amt gekommene Franziska Giffey könnte nach nur 13 Monaten das Amt der Regierenden Bürgermeisterin abgeben müssen. Falls sie aber an der Spitze eines rot-grün-roten Bündnisses weitermacht, muss sie mit einer kleinen SPD-Fraktion genauso arbeiten wie mit Bezirken, in denen die SPD die Mehrheit wahlweise an CDU oder Grüne verloren hat.

Mit ihrem Zweitstimmenergebnis von 18,4 Prozent hat die SPD drei Punkte weniger erzielt als noch am 26. September 2021. Damals hatte die frühere Bundesfamilienministerin und ehemalige Bürgermeisterin des Bezirks Neukölln den immer glückloser agierenden Müller abgelöst. Die trotz des Theaters um ihren Doktorabschluss populäre Giffey profitierte nicht nur von guten persönlichen Zustimmungswerten, sondern auch von der zur gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl im Aufwind befindlichen SPD. So hievte sie die Sozialdemokraten noch einmal über die 20-Prozent-Marke, nachdem sie in den Umfragen kein Jahr zuvor noch bei um die 15 Prozent gelegen hatten - die Hälfte dessen, was der beliebte Wowereit noch 2006 für sich und seine Partei eingefahren hatte.

Doch auch Giffeys persönliche Zugkraft ist 13 Monate später verpufft. Exemplarisch: Sie verlor ihr Direktmandat im Südneuköllner Stadtrand Rudow - an einen Christdemokraten, der bisher nicht im Abgeordnetenhaus saß. Ähnlich erging es SPD-Abgeordneten rund um Berlin: Die Außenbezirke hat die SPD an die CDU von Spitzenkandidat Kai Wegner verloren. Der hatte im Wahlkampf vor allem auf Sicherheit und weniger Gängelung des Pkw-Verkehrs gesetzt. Außerhalb des sogenannten Berliner S-Bahn-Rings kam das offenbar gut an.

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Die Folgen für die SPD sind episch: Sie verlor in allen Randwahlbezirken ihre Direktmandate an die CDU. Die Christdemokraten sprangen von 21 auf 48 Direktmandate, die SPD fiel von 25 Direktmandaten auf 4. Das ist das Niveau der nur im Ostteil einigermaßen starken Linkspartei. Nur noch 4 von 32 SPD-Abgeordneten sind direkt gewählt. Zehn Abgeordnete verloren ihr Mandat, sieben kamen neu hinzu. Die Neuen waren wie Giffey über einen guten Listenplatz abgesichert. Rausgeflogene wie der über Berlin hinaus bekannte Innenpolitiker Tom Schreiber hatten diese Absicherung nicht.

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In der Innenstadt vollzog sich aus SPD-Sicht dasselbe Drama in grün - wortwörtlich. Die Innenstadtwahlbezirke gingen mehrheitlich an die Partei von Umwelt- und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, deren persönliche Zustimmungswerte unter denen ihrer Partei lagen. Die Grünen rückten nach Zweitstimmen auf 105 Stimmen Rückstand an die SPD heran. Von ihren nunmehr ebenfalls 32 Abgeordneten sind 20 direkt gewählt. Ein kleiner Verlust an 4 Direktmandaten, aber insgesamt ein Zuwachs von zwei Abgeordneten. Die 18,4 Prozent der Grünen waren zwar 0,5 Punkte weniger als 2021. Wegen des Scheiterns der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde wächst die Grünen-Fraktion dennoch.

Berlin ist nach der Wahlwiederholung innen grün und außen schwarz, von wenigen SPD- und AfD-Kreisen abgesehen. Die "Berliner Morgenpost" berechnete, dass die Grünen innerhalb des S-Bahn-Rings mit 30,6 Prozent mehr als doppelt so viele Stimmen wie in den Kiezen außerhalb (14 Prozent) geholt hätten. Umgekehrt fand die CDU außerhalb des Rings 32,3 Prozent gegenüber 17,6 Prozent fast doppelt so viel Zuspruch.

Doch wie erklärt sich dieser massive Stimmenverlust? Zunächst einmal bestätigt er einen langfristigen Abwärtstrend der SPD in der Hauptstadt. Die Nominierung von Giffey zur Spitzenkandidatin 2021 und der plötzliche Aufschwung der SPD vor der Bundestagswahl waren gleichermaßen gegen den Trend. Hernach kehrte in Berlin wieder Normalität ein: Die SPD fiel und fiel in den vergangenen Monaten. Giffey klagte am Wahlabend: "Die Politik der letzten 20 Jahre wird jetzt ein Stück weit mir angelastet." Dabei habe sie ja nur 13 Monate im Amt gehabt und vieles angeschoben, das aber noch nicht zur Entfaltung gekommen sei.

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Richtig ist: Allen Umfragen zufolge waren rund zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner unzufrieden mit der Arbeit des Senats. Diese Unzufriedenheit machte sich vor allem an der Partei fest, die seit 21 Jahren im Roten Rathaus sitzt und Jahre davor als kleiner Koalitionspartner mitregierte. Ebenfalls richtig: Laut Infratest dimap waren die wichtigsten Themen für die Wählerinnen Sicherheit und Ordnung, Wohnen und Bildung. Alle drei Ressorts fallen in die Zuständigkeit der SPD. Den Bildungssenat besetzt sie gar seit 27 Jahren. Giffey bekam den Frust über ihre Partei zu spüren.

Dabei hatte die SPD vor allem ein Mobilisierungsproblem. Von den mehr als 111.000 verlorenen Stimmen entfallen laut Infratest dimap 78.000 auf das Lager der Nichtwähler. Erst danach folgen 60.000 Stimmen, die zur CDU wanderten. Die Grünen konnten dem großen Koalitionspartner immerhin 17.000 Stimmen abluchsen, während 29.000 vormalige Grünen-Wähler mutmaßlich in Erwartung eines knappen Rennens zwischen Giffey und Wegner diesmal sozialdemokratisch wählten.

Berlin-WahlStimmenmehrheit in den Bezirken 2021 und 2023

Trotz dieses immensen Einbruchs an Zustimmung will Giffey weiterregieren, wenn ihre Partei sie lässt und Grüne und Linkspartei das bisherige Bündnis fortsetzen wollen. Das Regieren wird damit aber nicht leichter. Nicht nur weil die Grünen im Abgeordnetenhaus über gleich viele Sitze wie die SPD verfügen und mehr Mitsprache einfordern. Auch im komplizierten Gefüge zwischen Stadtstaat und Bezirken würde es für Rot-Grün-Rot nicht einfacher.

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Die zwölf Kommunalparlamente, die sogenannten Bezirksversammlungen (BVV), bestimmen über Wohngebiete mit sechsstelligen Einwohnerzahlen mit. Von vormals neun BVV, in denen eine der drei Regierungsparteien im Senat die Mehrheit hatte, sind nach der Wahlwiederholung drei übrig. Dort dominieren die Grünen. Der SPD sind drei Bezirke verlustig gegangen. Zwar sind die Bezirksbürgermeister nicht verpflichtet, in den BVV neu abstimmen zu lassen. Ohne eigene Mehrheit aber wird das Regieren zumindest nicht leichter.

Und vor allem wird es nun für Giffeys Senat noch komplizierter, die große Verwaltungsreform durchzubringen, die das komplexe Berliner Machtgefüge entflechten sollte. Die Reform hätte ein Befreiungsschlag für Giffeys so schlecht angesehene SPD werden können. Doch dann kam die Wahlwiederholung - ein historisches Novum, das auf die zahlreichen Wahlpannen 2021 zurückgeht. Welche Partei damals in der Verantwortung stand, wissen Leser dieses Artikels aber bereits.

Quelle: ntv.de

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