Nach Bethlehem-Rückzug Eskalation in Nahost
20.08.2002, 10:24 UhrEine Welle tödlicher Gewalt hat am Dienstag den Abzug der israelischen Armee aus der palästinensischen Stadt Bethlehem überschattet und die jüngsten Friedensbemühungen in Nahost wieder in Frage gestellt. Nur Stunden nach dem Rückzug der Truppen aus der biblischen Stadt starben bei blutigen Zwischenfällen im Westjordanland und im Gazastreifen mindestens vier Palästinenser und ein israelischer Soldat. Mehrere Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt.
Israelische Soldaten töteten am Abend in Ramallah den Bruder des von Israel gesuchten Chefs der radikalen "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP). Bei Razzien im Westjordanland nahm die Armee mindestens 13 Palästinenser fest. Palästinensische Extremisten hatten bereits am Montag das zwischen Israel und der Autonomiebehörde geschlossene Abkommen über den israelischen Truppenrückzug aus Bethlehem und Teilen des Gazastreifens abgelehnt und neue Anschläge angekündigt.
In Ramallah, dem Amtssitz von Palästinenserpräsident Jassir Arafat, tötete am Abend eine israelische Kommandoeinheit Mohammed Saadat, den Bruder des PFLP-Vorsitzenden Ahmed Saadat. Nach palästinensischen Angaben wurde er auf dem Weg zu seinem Haus von den Soldaten aufgehalten. Daraufhin habe er eine Pistole gezogen, auf die Soldaten geschossen und drei von ihnen teils schwer verletzt. Dabei wurde Saadat tödlich getroffen. Die palästinensische Autonomiebehörde verurteilte den Mord scharf.
Anschließend verhängte die Armee eine Ausgangssperre über Ramallah. Im Zentrum der Stadt schossen Soldaten Tränengas auf aufgebrachte Palästinenser. PFLP-Führer Saadat wird von Israel für die Ermordung des israelischen Tourismusministers Rechawam Seewi im Oktober 2001 verantwortlich gemacht. Er befindet sich zur Zeit in Jericho unter internationaler Aufsicht in Haft.
Bereits am Morgen war die Armee mit starken Verbänden in das Flüchtlingslager von Tulkarem im Westjordanland eingedrungen, wo sich Soldaten längere Gefechte mit militanten Palästinensern lieferte. Dabei wurde nach israelischen Angaben zwei Palästinenser getötet, unter ihnen ein ranghohes Mitglied der Fatah-Bewegung Arafats, das an der Vorbereitung von Terroranschlägen beteiligt gewesen sein soll.
In Bethlehem nahmen unterdessen palästinensische Polizisten die ersten Patrouillen auf. Die israelische Armee war in der Nacht aus der Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung abgezogen. Nach palästinensischen Angaben übernahmen etwa 200 palästinensische Sicherheitskräfte die Kontrolle. Nach den israelischen Angriffen der vergangenen Monate gibt es in Bethlehem keine intakte Polizeistation mehr. Auch in Teilen des Gazastreifens bereiten sich die Sicherheitskräfte darauf vor, die Kontrolle von der Armee zu übernehmen.
Israel und die Palästinenser hatten sich in der Nacht zum Montag auf einen Truppenabzug aus Bethlehem und Teilen des Gazastreifens geeinigt. Der Rückzug ist an die Bedingung geknüpft, dass die palästinensische Polizei in den Gebieten Ruhe und Ordnung durchsetzt. Zudem soll die palästinensische Autonomiebehörde Angriffe auf israelische Ziele verhindern.
Quelle: ntv.de