Nach dem Nein Europa macht weiter
16.06.2008, 20:18 UhrEine Hängepartie wie vor drei Jahren nach dem Scheitern der geplanten EU-Verfassung am Nein der Franzosen und Niederländer soll es dieses Mal nicht geben. Die aktuelle Krise nach der Ablehnung des Vertrags von Lissabon durch die Wähler in Irland soll möglichst noch in diesem Jahr überwunden werden.
Bei einem Treffen in Luxemburg beschlossen die Außenminister der EU, trotz des irischen Neins mit der Ratifizierung des Vertrags weiterzumachen. Der maßgeblich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 ausgehandelte Vertrag von Lissabon ersetzt die gescheiterte EU-Verfassung. Irland ist das einzige Land, in dem die Bevölkerung über den Vertrag entscheidet. In allen anderen EU-Staaten liegt das Votum in den Parlamenten.
Das dänische Modell
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verwies in Luxemburg darauf, dass beispielsweise nach einem gescheiterten Referendum in Dänemark 1992 eine zweite Volksabstimmung zum Erfolg geführt habe: "Das dänische Modell von 1992 könnte Modell sein" für eine Lösung der jetzigen Krise, sagte Steinmeier nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen.
Die Dänen hatten 1992 mehrheitlich gegen den EU-Vertrag von Maastricht gestimmt. Ihnen wurden daraufhin diverse Ausnahmeregelungen zu dem Vertrag angeboten. In einem zweiten Referendum stimmten die Dänen 1993 dann für den Maastricht-Vertrag.
Steinmeier betonte, die Entscheidung über das weitere Vorgehen liege zunächst bei der irischen Regierung. Sie könnten am besten beurteilen, "ob eine solche Option irgendwann wieder in Betracht kommt".
Die Irland-Krise wird auch den am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel beherrschen. Laut Steinmeier wird es allerdings nicht möglich sein, schon dort einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden.
"Kein Erdbeben"
"Es handelt sich nicht um ein Erdbeben", sagte der französische Außenminister Bernard Kouchner. Das irische Nein gehe alle Mitgliedstaaten an, nicht ausschließlich Irland. "Wir sind alle Iren."
Kouchner wollte sich nicht darauf festlegen, ob noch unter dem EU-Vorsitz seines Landes ein Ausweg aus der Krise gefunden werden könne. Es sei "unmöglich, diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt zu beantworten", sagte er nach dem Luxemburger Treffen. Frankreich übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli. Sie dauert bis zum 31. Dezember.
Merkel gegen zwei Geschwindigkeiten
"Wir brauchen diesen Lissaboner Vertrag, um arbeitsfähig zu sein und die Europäische Union erweitern zu können", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk in Danzig (Gdansk). Beide Spitzenpolitiker sprachen sich gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten aus. Dieses Konzept werde bei "keinem ernsthaften Politiker Europas" auf Akzeptanz stoßen, sagte Tusk. Bei diesem Konzept gehen einzelne Länder in der Zusammenarbeit weiter als andere. Steinmeier sagte dazu in Luxemburg: "Ich bin überzeugt, dass auf dieser Basis keine Lösung zu erzielen ist."
Die Außenamtschefs waren sichtlich bemüht, Irland nicht in Ecke zu stellen und das demokratische Votum der Iren zu respektieren. Die Iren hatten den Vertrag am vergangenen Donnerstag mehrheitlich abgelehnt. Der irische Außenminister Michel Martin sagte: "Keiner hat mit dem Finger der Tadels auf uns gezeigt." Er sprach aber - wie mehrere Minister auch - von schwierigen Herausforderungen, vor denen die EU stehe.
Tschechien bricht aus
Ungeachtet aller Solidaritätsadressen wurden erste Unterschiede in der EU deutlich. Der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek vermied in Prag erneut ein Bekenntnis zur Ratifizierung des EU-Vertrags. "Es ist klar, dass der Lissabon-Vertrag nicht vom 1. Januar 2009 an (wie ursprünglich erwartet) in Kraft tritt." Tschechien gilt als möglicher Wackelkandidat bei der endgültigen Annahme des Vertrags. Derzeit wird das Abkommen durch das tschechische Verfassungsgericht geprüft.
Luxemburgs Amtschef Jean Asselborn schlug eine Erklärung der EU vor, mit der Sorgen der Iren vor EU-Entscheidungen über die Neutralität, Finanz- und Abtreibungspolitik des Landes entkräftet und ein erneutes Referendum gerechtfertigt werden könnten. Der Lissabon-Vertrag soll die Union mit fast 500 Millionen Bürgern demokratischer, transparenter und leistungsfähiger machen, beispielsweise in der Außenpolitik.
Quelle: ntv.de