Politik

Kronzeuge belastet ihn schwer Ex-Kanzler Kurz droht ein Albtraum-Szenario

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Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Kurz wird schwer belastet.

(Foto: dpa)

Ehrliche Reue - oder Rache am einstigen Weggefährten Kurz? In einer Art Lebensbeichte dient sich ein Intimus von Österreichs Ex-Kanzler der Justiz als Kronzeuge an. Damit bröckelt nicht nur Kurz' Verteidigungslinie, dem ein Korruptionsprozess droht. Weitere Reiche und Mächtige müssen zittern.

Als Sebastian Kurz noch nicht wusste, was auf ihn zukommt, betrat er lächelnd den Kaminsaal der Wiener Hofburg. Es war ein sonniger Septembermorgen, der Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsvorwürfen gegen seine ÖVP tagte, Kurz sollte als Auskunftsperson aussagen. Er hatte nichts zu befürchten. Die Sitzungen sind schon lange zu einem leeren Ritual verkommen: Die Opposition zetert, die ÖVP macht den Ihrigen die Mauer. Wie ein Zaungast verfolgte Kurz stundenlang das Hickhack und sagte nichts, was Licht in die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und die ÖVP gebracht hätte.

Am Rande sprach er ein paar Sätze in eigener Sache in die Kameras, er wolle die Gelegenheit nutzen, sagte er mit einem freundlichen Lächeln, ein "Update" zu geben über den Stand der Ermittlungen. Über zwei Dutzend Zeugen seien mittlerweile vernommen worden, alle hätten nur Entlastendes zutage gebracht. "Ich bin überzeugt, dass es zu einer Einstellung kommen wird, wie ich es Ihnen immer prophezeit habe."

Drei Wochen später dürfte Kurz' Optimismus verflogen sein. Er hatte einen Zeugen übersehen, der unter strengster Geheimhaltung ein umfassendes Geständnis vor Österreichs Korruptionsjägern abgelegt hat, wie erst gestern bekannt wurde: Thomas Schmid, der als Teil der selbsternannten "Prätorianer" den Aufstieg des einstigen "Wunderwuzzis" begleitet hat, nun aber zu Kurz' Brutus werden könnte - und nebenbei als Kronzeuge weitere Prominente aus Politik und Wirtschaft vor Gericht bringen könnte.

"Die Verdachtslage trifft im Wesentlichen zu"

Insgesamt habe Schmid seit Juni 15 ganztägige Vernehmungen hinter sich, teilte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft am Dienstag mit. Um kein Aufsehen zu erregen, trafen sich die Korruptionsjäger nicht in Wien mit Schmid, sondern in der Außenstelle in Graz.

Mittlerweile zitieren österreichische Medien eifrig aus den insgesamt 454 Seiten der Einvernahme, die bestätigt, was seit Monaten nur als Gerücht durch Wien waberte: Schmid möchte einen Kronzeugenstatus und damit eine mögliche Strafminderung - und belastet dafür Sebastian Kurz und andere Beschuldigte schwer.

Der zentrale Vorwurf gegen den Altkanzler lautet derzeit auf Bestechlichkeit und Untreue: Kurz soll 2016 als damaliger Außenminister seinen Weggefährten Schmid, zu der Zeit höchster Beamter im Finanzministerium, angestiftet haben, frisierte Umfragen in der Zeitung "Österreich" unterzubringen - quasi im Tausch gegen Inserate des Ministeriums. Stimmt dieser Vorwurf, hat Kurz' Team also Steuergeld verwendet, um sich genehme Berichterstattung zu erkaufen. Dazu sagte Schmid den Ermittlern laut dem Nachrichtenmagazin "Profil": "Die im Akt dargestellte Verdachtslage trifft im Wesentlichen zu."

Neuer Verdacht gegen Benko

Dieser Satz fällt noch an anderen Stellen des Protokolls - die Ermittlungen im sogenannten CASAG-Verfahrenskomplex erstrecken sich auf unzählige Nebenstränge, insgesamt führt die Staatsanwaltschaft 45 Beschuldigte, darunter neben Sebastian Kurz auch ehemalige Minister und sogar die ÖVP selbst. Um als Kronzeuge zu gelten, muss Schmid allerdings zusätzlich bisher unbekannte Sachverhalte aufzeigen, was er offenbar getan hat: So sagte er aus, dass der heutige Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ihn angewiesen habe, eine Steuerprüfung gegen das Alois-Mock-Institut abzudrehen, dem Sobotka selbst vorstand. Zitat Schmid: "Die Sache wurde in Sobotkas Sinne erledigt."

In einer Steuersache will Schmid vom Finanzministerium aus auch für René Benko interveniert haben. Der Immobilienmagnat und Chef von Karstadt Galeria Kaufhof soll Schmid im Gegenzug einen üppig bezahlten Posten in seinem Unternehmen angeboten haben. Die Staatsanwälte messen Schmids Aussage offensichtlich genügend Wahrheitsgehalt bei: Gestern durchsuchten Ermittler Büros von Benkos Signa Holding.

Für heftige Spekulationen sorgen auch sieben geschwärzte Seiten in den Einvernahme-Protokollen. Darin geht es wahrscheinlich um den Einstieg Benkos in die mächtigste Boulevard-Zeitung des Landes, die "Krone", und um eine nicht weiter ausgeführte "Unterstützung des Benko für Kurz". Die enge Verbindung zwischen dem Unternehmer und Kurz ist schon lange bekannt, Spenden oder andere finanzielle Zuwendungen sind bislang aber nicht publik geworden.

Kurz weist Vorwürfe auf Facebook zurück

Kurz selbst gibt sich in seiner ersten Stellungnahme entspannt. Alles Lüge - so könnte man sein Facebook-Posting vom Mittwochmorgen zusammenfassen, in dem er die Aussagen Schmids zurückweist: "Es sollte schon hinterfragt werden, welche Glaubwürdigkeit Aussagen haben, die in Wahrheit kein echtes Schuldeingeständnis sind, sondern das Ziel haben, für das eigene Fehlverhalten nicht bestraft zu werden, indem man andere beschuldigt." Er freue sich darauf, seine Unschuld zu beweisen - vor Gericht.

Tatsächlich stand Schmid bei den Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nicht unter Wahrheitspflicht, sollte sich jedoch herausstellen, dass er gelogen hat, dürfte das jede Chance auf den Kronzeugenstatus zerstören. Zumal die Justiz einen Trumpf in der Hinterhand hält: Schmids Handy, das vom Nachrichtenmagazin "Profil" 2021 zum "Mensch des Jahres" gekürt wurde. Eigentlich im Zuge der Ibiza-Affäre als Beweismittel in einem viel kleineren Korruptionsverfahren eingesammelt, machten die Ermittler unter den angeblich 300.000 Nachrichten auf Schmids Smartphone dutzende Zufallsfunde, die das politische Wien seitdem regelmäßig erschüttern und jetzt im spektakulärsten Korruptionsprozess der Geschichte der Republik kulminieren könnten.

Warum Schmid nun so allumfassend auspackt, begründete er selbst mit der Einsicht, dass "wir Dinge getan haben, die nicht in Ordnung waren" - und der Intervention seiner Mutter: "Ein ganz wesentlicher Punkt, der mich zum Umdenken bewogen hat, war, dass meine Mutter zu mir gesagt hat, wir haben dich so nicht erzogen, wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu."

Kein Kontakt mehr zu Kurz

Was hat das alles mit der Ibiza-Affäre zu tun?

Sebastian Kurz war nicht auf Ibiza. Doch das, was Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Sommer 2017 in einer Finca einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte erzählte, diente den Korruptionsjägern als Türöffner für einen riesigen Ermittlungskomplex, dessen Stränge auch zum Ex-Kanzler führen. Zentrales Beweismittel ist das Handy von Kurz' Intimus Thomas Schmid, auf dem sich zahlreiche kompromittierende Nachrichten ("Kriegst eh alles, was Du willst!") finden. Wenn sich Kurz also bald einem Korruptionsprozess stellen muss, ist das quasi eine Langzeitfolge der Ibiza-Affäre.

Die bislang bekannten Passagen aus der Einvernahme deuten aber auch auf ein anderes Motiv hin: Rache. Die Chats aus Schmids Handy führten im Oktober 2021 zu einer Razzia im Bundeskanzleramt, laut Schmid habe Kurz ihn danach unter den Bus schmeißen wollen: "Er hat mir gesagt, ich müsse jetzt eine schriftliche Stellungnahme abgeben, wonach er nichts von all diesen verfahrensgegenständlichen Vorwürfen wisse und ich die ganze Schuld auf mich nehmen solle." Er wolle aber nicht das Bauernopfer sein.

Schmid war damals schon zum Chef der milliardenschweren Staatsholding ÖBAG aufgestiegen, unter merkwürdigen Umständen, die ebenfalls die Justiz beschäftigen. Nach der Hausdurchsuchung sei er "auf Tauchstation" gegangen, allerdings habe ihn Kurz immer wieder angerufen und ein Treffen verlangt. Bei diesem Gespräch habe Kurz Schmid gedrängt, ihm alle Chats und Backups auszuhändigen. "Er meinte, er müsse sich jetzt selber um diese Chats kümmern, weil sonst die ÖVP und Österreich den Bach runtergehen." Er habe abgelehnt und danach das Telefon nicht mehr abgehoben. "Dieses Treffen war der letzte persönliche Kontakt. Ich habe danach nicht mehr mit ihm gesprochen."

Neue Belastung für die Koalition

Während das letzte Wort in der Affäre wahrscheinlich erst in einigen Jahren vor Gericht gesprochen wird, richtet sich die Aufmerksamkeit nun auch auf das politische Tagesgeschäft. Kurz' Nach-Nachfolger Karl Nehammer feierte gestern seinen 50. Geburtstag - Oppositionspolitiker der SPÖ wünschten ihm dazu via Twitter genüsslich einen "schönen Tag".

Kanzler Nehammer hat sich nie völlig von der Ära Kurz gelöst, in der er selbst als ÖVP-Generalsekretär und Innenminister diente - das könnte ihm jetzt auf die Füße fallen. ÖVP-Grande Sobotka wird von Schmid schwer beschuldigt, ebenso der Klubobmann (Fraktionschef) August Wöginger. Weitere Personalrochaden dürften das krisengeplagte schwarz-grüne Bündnis an den Rand des Aus drängen. "Selbstverständlich ist die Koalition belastet", räumte die Grüne Vize-Parteichefin Nina Tomaselli heute ein. Neuwahlen scheinen in Wien mal wieder ein realistisches Szenario - es wären die dritten in fünf Jahren.

Quelle: ntv.de

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