Kreml lüftet Gas-Geheimnis Experten zweifeln
31.10.2002, 11:45 UhrIn Moskauer Krankenhäusern wurden am Donnerstagmorgen immer noch 184 befreite Opfer des Geiseldramas wegen Nachwirkungen des eingesetzten Gases behandelt. Dazu zählten sechs Patienten in ernstem Zustand und sechs Kinder, teilte die Gesundheitsbehörde der russischen Hauptstadt nach Angaben der Agentur Interfax mit. 468 Ex-Geiseln seien entlassen worden.
Die russische Regierung hatte nach viertägigem Schweigen offiziell mitgeteilt, der Sturmangriff der Polizei auf die tschetschenischen Terroristen sei mit Derivaten des Narkosegases Fentanyl vorbereitet worden. Experten bezweifeln jedoch trotz der offiziellen Stellungnahme, dass dies die ganze Wahrheit ist.
Einige Fachleute vermuteten wegen des langen Schweigens, dass es sich bei dem eingesetzten Gas um einen chemischen Kampfstoff der Armee handeln könnte, dessen Einsatz durch Verträge international verboten ist. Der russische Gesundheitsminister Juri Schewtschenko hatte dies zwar ausdrücklich verneint, allerdings räumte er auch ein, dass Fentanyl allein nicht töte, sondern nur betäube.
Schewtschenko erklärte, die Todesfälle hätten sich ereignet, weil das Gas auf Leute eingewirkt habe, die unter einem Mangel an Sauerstoff, Flüssigkeit und Nahrung gelitten und unter enormen psychischem Druck gestanden hätten. Münchener Toxikologen konnten bei den deutschen Geiseln allerdings das Narkosegas Halothan nachweisen. Sie vermuteten deshalb eine bewusste Überdosierung von Halothan bei dem Einsatz.
Dieser Ansicht widersprach Prof. Hugo van Aken vom Universitätsklinikum Münster gegenüber n-tv.de jedoch. Halothan sei als günstiges Narkosemittel in Russland weit verbreitet. So könnten Spuren davon noch in den zur Behandlung der Patienten eingesetzten Atemgeräten gewesen sein und damit in deren Blutbahn gelangt sein. Der Einsatz beim Geiseldrama sei auch deswegen unwahrscheinlich, da 3.000 bis 5.000 Liter innerhalb von Sekunden verdampfen müssten, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen.
Dem Gas und der mangelhaften Nachbehandlung waren 117 von 119 getöteten Geiseln zum Opfer gefallen. In Moskau sollen heute weitere Opfer des Anschlags beerdigt werden.
Gut 100 Kilogramm Sprengstoff
Die tschetschenischen Geiselnehmer hatten nach Angaben des russischen Geheimdienstes gut hundert Kilogramm Sprengstoff bei sich. In zwei Behältern im Zentrum des Theatersaals und auf dem Balkon des Musical-Theaters haben sich jeweils 25 Kilogramm TNT befunden. Außerdem sind die Kidnapper im Besitz von 25 Sprengstoffgürteln mit jeweils zwei Kilogramm Sprengstoff und einem Kilogramm Stahlsplittern gewesen. Die Ermittler fanden zudem 16 Granaten vom Typ F-1 und 89 selbst hergestellte Granaten.
Quelle: ntv.de