Habeck: Zeichen von Ratlosigkeit FDP-Vorstoß zu Sozialkürzungen stößt auf Widerstand in Ampel
20.11.2023, 15:50 Uhr Artikel anhören
Steuererhöhungen und Änderungen bei der Schuldenbremse kommen für die FDP nicht infrage.
(Foto: IMAGO/Metodi Popow)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts reißt ein Loch in die Haushaltspläne der Ampel. Es fehlen 60 Milliarden Euro. Wo soll gespart werden? FDP-Fraktionschef Dürr schlägt Kürzungen bei den Sozialleistungen vor. SPD und Grüne sind dagegen. Der demokratische Zusammenhalt sei gefährdet.
In der Debatte um Konsequenzen aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr für Sozialkürzungen ausgesprochen - und ist dabei auf Widerspruch bei SPD und Grünen gestoßen. "Die Koalition ist aufgefordert, Lösungen zu finden, um die Staatsfinanzen weiter zu konsolidieren", sagte Dürr den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Dabei müssen wir auch darüber reden, wo der Sozialstaat seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann." Steuererhöhungen, fügte Dürr hinzu, seien "der falsche Weg, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln und den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen".
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Forderungen aus der FDP ein Zeichen von Ratlosigkeit: "Wo will man 60 Milliarden Euro Sozialleistungen kürzen? Das geht an der Dramatik der Situation dramatisch vorbei." Der Sozialverband VdK zeigte sich alarmiert: "Hände weg vom Sozialetat", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. "Lieber keine Schuldenbremse als ein Sozialstaat mit angezogener Handbremse. Dass die FDP sich jetzt dafür ausspricht, die Milliardenlücken in den Bundesfinanzen auch mit Kürzungen bei den Sozialausgaben zu stopfen, ist ungeheuerlich."
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Sönke Rix warf der FDP vor, mit solchen Forderungen an der Ampel-Koalition zu rütteln. "Wenn die FDP jetzt Kürzungen bei den Sozialleistungen ins Spiel bringt, spielt sie nicht nur mit dem Zusammenhalt in der Koalition, sondern gefährdet auch massiv den demokratischen Zusammenhalt in unserem Land", erklärte der Sozialdemokrat. Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, sagte der "Augsburger Allgemeinen": "Wer eilig Sozialkürzungen fordert, vergisst, worauf Deutschlands Stärke fußt: auf dem Ausgleich von wirtschaftlichem Erfolg, Klimaschutz und sozialem Zusammenhalt."
Empört reagiert auch Linken-Politiker Dietmar Bartsch auf den Vorstoß der FDP zu den Sozialkürzungen. "Wir haben viel zu viel Armut und sehr viel Reichtum im Land, mehr als je zuvor. Wer in einer solchen Situation lieber über Sozialkürzungen spricht, als über höhere Einnahmen aus den Taschen des Geldadels, handelt finanz- und wirtschaftspolitisch verantwortungslos und sozialpolitisch kalt", sagte der Noch-Fraktionschef den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Die Koalition sollte die von der FDP angefachte Debatte beenden, ansonsten wird die Ablehnung gegenüber der Ampel überkochen."
Sozialer Zusammenhalt in Gefahr
Auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warnte die Ampel-Koalition davor, auf das Urteil aus Karlsruhe mit Sozialkürzungen zu reagieren. "Kürzungen im sozialen Bereich kommen aus unserer Sicht nicht infrage, weil das gerade in Zeiten hoher Inflation den sozialen Zusammenhalt gefährden würde", sagte Dröge den Funke-Zeitungen. Eine Reform der Schuldenbremse dagegen wäre "ökonomisch grundsätzlich sinnvoll", fügte Dröge hinzu. "Es können darüber hinaus Spielräume im Haushalt geschaffen werden durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen."
Änderungen bei der Schuldenbremse stoßen allerdings auf Widerstand bei der FDP. Die Schlussfolgerung aus dem Karlsruher Urteil könne "nicht sein, dass man die Schuldenbremse umgeht oder versucht, die Schuldenbremse zu umgehen", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Sonntagabend im "Bericht aus Berlin" der ARD. "Wir müssen jetzt dieses Urteil zum Anlass nehmen, um die Schuldenbremse zu stärken." Djir-Sarai fügte hinzu: "Eine Schuldenpolitik in dieser Situation würde unsere eigene Handlungsfähigkeit in der Politik wegnehmen, und das wäre außerordentlich unklug."
Union fordert Nachtragshaushalt für 2023
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch entschieden, dass 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht rückwirkend in den Fonds verschoben werden dürfen. Die Mittel waren bislang für zahlreiche klimapolitische Projekte der Ampel vorgesehen. Dieses Geld fehlt jetzt.
Das Urteil ist allerdings so formuliert, dass auch andere sogenannte Sondervermögen wie der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) sowie Sondertöpfe der Länder betroffen sein dürften. Die Union verlangte einen Nachtragshaushalt auch für 2023. Dies sei unausweichlich, sagte Unions-Vizefraktionschef Mathias Middelberg. Auch der Haushalt 2024 dürfte so, wie er jetzt vorliegt, nicht beschlussreif sein. Am Dienstag sollen Sachverständige im Haushaltsausschuss des Bundestags zu den Konsequenzen des Urteils gehört werden. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies auf die laufende Prüfung der Regierung und äußerte sich daher nicht zu weiteren Konsequenzen.
Quelle: ntv.de, gut/AFP/rts