Politik

Interview mit Peer Steinbrück "Fairness. Absolute Fairness."

Es reiche nicht, "allein über die Interessenlagen von Rentnern und von Hartz-IV-Empfängern
zu reden", sagte Steinbrück auf dem SPD-Parteitag in Berlin.

Es reiche nicht, "allein über die Interessenlagen von Rentnern und von Hartz-IV-Empfängern zu reden", sagte Steinbrück auf dem SPD-Parteitag in Berlin.

(Foto: dpa)

Der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück sieht Fairness als das zentrale Thema, um die Leistungsträger der Gesellschaft anzusprechen. "Viele sind bereit, gegebenenfalls sogar Einbußen hinzunehmen, wenn sie den Eindruck haben, dass diese fair verteilt sind", sagt der SPD-Politiker im Interview mit n-tv.de.

n-tv.de: In Ihrem Buch schreiben Sie, in den Spitzengremien Ihrer Partei werde über Texte gestritten, "die außerhalb der SPD den Aufmerksamkeitswert von ablaufendem Badewasser haben". Ihre Rede auf dem jüngsten Parteitag war dagegen eher auf Ausgleich bedacht. Was, glauben Sie, braucht die SPD derzeit vor allem: Kritik oder Konsens?

Peer Steinbrück war in der Zeit der Großen Koalition Finanzminister und von 2002 bis 2005 Ministerpräsident in NRW.

Peer Steinbrück war in der Zeit der Großen Koalition Finanzminister und von 2002 bis 2005 Ministerpräsident in NRW.

(Foto: picture alliance / dpa)

Peer Steinbrück: Beides. Auf dem Parteitag habe ich versucht, eine Rede zu halten, die die SPD an manchen Stellen auch gefordert hat: sich zu öffnen, sich nicht alleine auf Rentner und Hartz-IV-Empfänger zu konzentrieren, sondern auch ein jüngeres Publikum anzusprechen, das heutzutage hochmobil ist, Existenzgründer, jene, die Peter Glotz mal die disponierenden und kreativen Arbeiter genannt hat. Die SPD muss eine Plattform für widerstreitende Meinungen sein, und natürlich braucht sie einen Prozess, an dessen Ende sie sich dem Wähler geordnet und einheitlich mit einer Meinung stellen kann. Aber sie darf nicht so binnenfixiert sein.

Sie haben starken Applaus bekommen, gerade an der Stelle, die Sie gerade erwähnt haben - für die Forderung, sich nicht länger auf Rentner und Hartz-IV-Bezieher zu konzentrieren. Hat Sie das gewundert?

Ich dachte, das wird als anstrengend empfunden, und war angenehm überrascht, dass es offenbar eine verbreitete Meinung bei den Delegierten ist. Mir ging es darum, dass es zwar eine notwendige Bedingung für die SPD ist, die Partei der sozialpolitischen Verantwortung zu sein, um Wahlen zu gewinnen. Aber da ist die SPD auch am unverdächtigsten. Zwei Dinge müssen hinzu kommen: wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz sowie ein Forum auch für Menschen, die parteipolitisch nicht gebunden, aber neugierig und aufgeschlossen sind, sich zu beteiligen an den Debatten über die großen gesellschaftspolitischen Fragen dieser Zeit.

SPD-Chef Gabriel hat auf dem Parteitag in einem engagierten Statement um Vertrauen geworben und dabei auch eingeräumt, dass es Zeiten gab, in denen die Parteispitze ein solches Vertrauen nicht unbedingt verdient hatte. Gibt es eine neue Art des Umgangs in der SPD?

Sigmar Gabriel will die SPD zur "Werkstattpartei" machen.

Sigmar Gabriel will die SPD zur "Werkstattpartei" machen.

(Foto: dapd)

Sigmar Gabriel war nach dem Dresdener Parteitag natürlich vor allem damit beschäftigt, die Verletzungen zu verbinden, die es über diese größte Wahlniederlage seit 1949 gegeben hat. Nach meinem Eindruck will er die SPD breit aufzustellen - und das bedeutet einerseits, für Fairness und Chancengerechtigkeit zu sorgen und andererseits auch dem bürgerlich-liberalen Lager Angebote zu machen, personeller und inhaltlicher Art. Das ist die einzige Möglichkeit, den Charakter einer Volkspartei zu behalten.

Wie optimistisch sind Sie da?

Ich sehe unter seinem Parteivorsitz gute Chancen. Er geht noch einen Schritt weiter, indem er zusammen mit der Generalsekretärin darüber nachdenkt, die Organisation der SPD zu reformieren. Er liegt in meinen Augen völlig richtig in der Vorstellung, dass Spitzenkandidaturen - wie jetzt in Schleswig-Holstein - durch eine Befragung der Mitglieder der SPD, vielleicht sogar unter Beteiligung interessierter Bürger, in Gang gesetzt werden sollten. Aus meiner Sicht ein ist das ein Vorteil gegenüber der Nominierung auf Delegiertenkonferenzen.

Stichwort personelles Angebot: An Ihnen scheiden sich in der SPD die Geister - wie sehen Sie Ihre Rolle in der SPD? Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der Mitte der Partei zuhause sind?

Ja, ohne Zweifel, warum soll ich nicht in der Mitte der SPD zuhause sein? Ich bin doch kein politischer Söldner, der handelbar ist für beliebige Positionen und Funktionen.

Wir wollten darauf anspielen, dass die SPD ein paar ihrer Positionen in den letzten Monaten nach links verschoben hat ...

Wie kommen Sie auf die Idee?

Die Rente mit 67, ...

Das ist eine Bewegung nach links? Ihr Journalisten seid wirklich Meister der Exegese! Oder weil wir über höhere Spitzensteuersätze reden, ist das links? Oder ist das eher eine Frage der Balance einer Gesellschaft, wenn man gleichzeitig versucht, mittlere Einkommen zu entlasten? Was ist rechts oder links bei solchen Fragen? Das sind doch nur Etiketten.

Sie kritisieren, dass vielen Politikern das Rückgrat fehlt, unbequeme Positionen durchzuhalten. Fällt Ihnen eine Handvoll Politiker ein, die nicht in diese Kategorie fallen?

Ja, die gibt es, jedenfalls feststellbar an dem Respekt und der Bewunderung, die Politiker wie Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt oder auch Joachim Gauck erfahren. Oder, ganz anderen Zuschnitts, eine Kunstfigur wie Horst Schlämmer von Hape Kerkeling. Diese Zuwendung von breiten Wählerschichten gibt zu erkennen, dass sie bei amtierenden Politikern etwas vermissen. Und dass ihnen zunehmend der Politikertypus fernsteht, der sehr selbstbezogen, sehr parteipolitisch, fast vernarrt und damit sehr eindimensional auftritt. Die Menschen schätzen offenbar Kategorien wie Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Kompetenz - ganz wichtig! -, aber auch Führungsbereitschaft, siehe Helmut Schmidt, hoch ein und finden dies zu wenig in der amtierenden politischen Klasse.

Fehlt dieser Typus auch in der SPD?

Diese Kritik kann ich nicht nur auf andere Parteien zuschneiden. Man wird sich auch an die eigene Nase fassen müssen.

Seit 2009 ist Steinbrück Bundestagsabgeordneter - weitere politische Ämter hat er nicht.

Seit 2009 ist Steinbrück Bundestagsabgeordneter - weitere politische Ämter hat er nicht.

(Foto: dpa)

Sie selbst werden in den Medien derzeit als potentieller Kanzlerkandidat gehandelt. Aber Sie haben gesagt, dass Sie kein Amt mehr übernehmen wollen.

Ich bewerbe mich um keine politischen Ämter. Ein Satz von mir, ich stünde bereit, wenn ich gerufen werde, ist missverstanden worden. Der bezog sich auf die Mitarbeit zu bestimmten Themen und Projekten, war aber nicht bezogen auf politische Ämter. Ich könnte mir vorstellen, zu Themen oder Problemen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zeitlich begrenzt zur Verfügung zu stehen. Aber so, dass das dann auch nach einer gewissen Zeit abgeschlossen wäre.

Wer wäre 2013 ein möglicher Kanzlerkandidat für die SPD?

Diese Frage muss die SPD garantiert nicht ein Jahr nach einer verlorenen Bundestagswahl und drei Jahre vor der nächsten regulären Bundestagswahl beantworten. Da würden auch die meisten Menschen sagen, die sind wohl verrückt geworden, die sollen sich jetzt erst mal vernünftig aufstellen, durch solide Arbeit Überzeugungskraft und Vertrauen entwickeln. Wer Kanzlerkandidat wird, ist auf den letzten 1000 Metern zu entscheiden.

Teilen Sie die Auffassung, dass die Gesellschaft in den letzten 20 Jahren ungerechter geworden ist? Wie kann sie wieder gerechter werden?

Gemessen an der Einkommens- und Vermögensentwicklung ist diese Gesellschaft auseinander gedriftet, ja. Auch gemessen am Zugang zu Bildungseinrichtungen. Das ganze Integrationsproblem hat in meinen Augen zudem keinen religiösen oder ethnischen Hintergrund, sondern ist eine Frage von Bildungsnähe und Bildungsferne. Bezogen auf die materielle Drift in dieser Gesellschaft glaube ich, dass es richtig ist, sich mit Steuern- und Abgabenpolitik zu beschäftigen. Dort setzt die SPD richtige Akzente, die sie bis zum nächsten Parteitag ausformulieren muss. Das ist auch der Grund, warum ich gesagt habe, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ist richtig, ihr müsst nur aufpassen, dass ihr gleichzeitig den Tarif für mittlere Einkommen dabei absenkt. Das sind die entscheidenden Lastträger, die diesen Sozialstaat mit ihren Solidaritätsbeiträgen finanzieren.

Sie sprechen von der Zielgruppe, die die FDP "die Leistungsträger der Gesellschaft" nennt und die die SPD jetzt offenbar auch wieder für sich entdeckt ...

Was heißt "wieder"?

Wenn Sie die Partei ermahnen müssen, stärker auf diese zu achten, scheinen sie doch vernachlässigt worden zu sein.

Ich gebe zu, dass wir uns vielleicht zu häufig mit der Frage beschäftigt haben, ob man aus der Addition von Minderheitsinteressen Mehrheiten gewinnen kann. Davon halte ich nicht viel. Insbesondere vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, von denen die Finanzierungsgrundlagen des Sozialstaats in den Schraubstock genommen werden. Wir müssen uns in der Tat intensiver mit jenen beschäftigen, die das Kulturgut Sozialstaat tragen und finanzieren.

Wie spricht man diese Zielgruppe an? Über das Thema Steuern, das Thema Bildung, oder welches Thema bewegt die Leistungsträger?

Fairness. Absolute Fairness. Viele sind bereit, gegebenenfalls sogar Einbußen hinzunehmen, wenn sie den Eindruck haben, dass diese fair verteilt sind. Das ist der Hauptvorwurf an diese Bundesregierung: Schon mit dem ersten Gesetz vor Weihnachten 2009, mit der Klientel-Bedienung bei den Hoteliers, oder jetzt mit den jüngsten Entscheidungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung, hat sie Balance und Fairness verletzt.

"Fairness" ist der neue Schlüsselbegriff der SPD.

"Fairness" ist der neue Schlüsselbegriff der SPD.

(Foto: dpa)

Was ist der Unterschied zwischen Fairness und Gerechtigkeit?

Fairness ist eine modernere, der Umgangssprache näher liegende Bezeichnung. Aber ich bin kein Semantiker. Beides läuft auf dasselbe hinaus.

Was folgt aus dem Fairness-Begriff für die aktuelle Debatte über die Hartz-IV-Regelsätze?

Jedenfalls nicht zwingend nur eine Konzentration darauf, wie stark die Regelsätze erhöht werden sollen. Die zentrale Frage lautet, wie Langzeitarbeitslose wieder an den Arbeitsmarkt heran geführt werden können, wie ihren Kindern über eine soziale Infrastruktur der kostenlose Zugang zu Bildung organisiert werden kann. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, individuelle Transferzahlungen immer weiter zu erhöhen. Es gibt Wichtigeres: kostenlose Kindertagesstätten, Schulspeisungen, Lernmittelfreiheit, Sprachkurse, Ganztagsgrundschulen, ja sogar Elternkurse.

Damit sind Sie nicht sehr weit entfernt von der Linie von Sozialministerin von der Leyen.

Das muss ich ja auch nicht.

Es gab in Ihrer Partei eine gewisse Empörung über die 5-Euro-Erhöhung.

Wie hoch die Regelsatzänderung sein muss, wird entlang des Verfassungsgerichtsurteils zu bemessen sein. Dazu muss Frau von der Leyen ihre Berechnungen offenlegen. Die SPD muss gegebenenfalls belegen, wie sie höhere Forderungen rechtfertigt.

Aber es ist ein heikles Thema für die SPD, sie ist eingeklemmt zwischen Union und Linkspartei:- die SPD zeigt sich empört über die neuen Regelsätze, fordert aber keine deutliche Erhöhung. Waren die Statements aus der SPD nicht ein bisschen unglaubwürdig?

Ich finde, dass die jüngsten Stellungnahmen insbesondere von Generalsekretärin Andrea Nahles völlig richtig sind. Die SPD wird das Vorgehen der Bundesregierung zu prüfen haben; sie wäre schlecht beraten, sich zu früh festzulegen, möglicherweise ein Junktim oder ein Ultimatum zu formulieren. Ich bin absolut einverstanden damit, was Sigmar Gabriel sagt: Die SPD wird das Thema weiter spannen müssen. Wenn wir über die Kinder von Hartz-IV-Empfängern sprechen, dann haben wir auch über den absurden und unsäglich dummen Vorschlag der Union von einer Herdprämie zu reden. Die Regelsatzdiskussion für Hartz IV-Empfänger steht schließlich auch in einem Zusammenhang mit der Frage nach Mindestlöhnen.

Wird es im Bundesrat am Ende eine Zustimmung geben? Was ist Ihre Prognose?

Das weiß ich nicht, das hängt davon ab, wie jetzt der weitere Beratungs- und Abstimmungsprozess läuft. Was legt die Bundesregierung offen zur Begründung ihrer Entscheidung.

Ihnen wurde zu Zeiten der Großen Koalition unterstellt, ein gutes Verhältnis zur Bundeskanzlerin zu haben. Haben Sie noch Kontakt zu Frau Merkel?

Nein.

Mit Peer Steinbrück sprachen Till Schwarze und Hubertus Volmer

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Quelle: ntv.de

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