Politik

Nur raus aus Nordkorea Flucht ins Misstrauen

Kim Joung-Wook hat eine Tortur hinter sich.

Kim Joung-Wook hat eine Tortur hinter sich.

(Foto: Marcel Grzanna)

Der Weg ist gefährlich und beschwerlich. Bei Entdeckung drohen Folter und Arbeitslager. Zwei nordkoreanische Flüchtlinge erzählen bei n-tv.de von Hunger, Tod und Elend. Ihre Ankunft im Süden nach monatelanger Tortur erleben die beiden aber völlig unterschiedlich.

Kim Joung-Wook sieht aus wie der Sänger einer Boygroup: dunkle Röhrenjeans, schwarze Halbstiefel, das dunkle Haar rostrot gefärbt und zum Scheitel gegelt. Den überdimensionalen Wollkragen seines Pullovers sieht man bei Modenschauen in Paris. Die Vergangenheit des jungen Mannes hat aber nichts mit Mode oder Gesang zu tun. Wenn sich Kim an früher erinnert, spricht er von Hunger, Zwangsarbeit, Prügel und Tod.

Vor acht Jahren gelang dem 22-Jährigen die Flucht aus Nordkorea. Der totalitäre Staat in Ostasien ist wirtschaftlich und politisch isoliert und schafft es kaum, seine 24 Millionen Einwohner ausreichend zu versorgen. In den 1990er Jahren starben Millionen Menschen den Hungertod. Bis heute gehört Hunger zum Alltag eines großen Teils der Nordkoreaner. Zwar starb im vergangenen Jahr Diktator Kim Jong-Il, doch die Hoffnung auf Veränderungen, seit Kims jüngster Sohn Kim Jung-Un das Land regiert, erfüllte sich bislang nicht.

Flüchtling Kim sitzt in der Bibliothek der Hankuk-Universität in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, wo er Sprachen studiert, und erzählt seine Geschichte. Gleich zweimal entkam er dem Elend des Nordens. 2001 floh er zum ersten Mal nach China, im Winter mit seiner Mutter, sechs Stunden durch die eiskalte Strömung des Grenzflusses Tumen, an ein Stück Holz geklammert, um sein Leben strampelnd. Da war er elf Jahre alt. Doch das fremde Land machte dem Kind Angst. Es wollte zurück. Seine Mutter ließ es gewähren und setzte ihre Flucht nach Südkorea alleine fort. Kim stellte sich den Behörden. Die Strafe im Norden: drei Monate Zwangsarbeit von morgens um fünf bis abends um zehn. Geschlafen wurde auf Stühlen. "Jeden Tag wurde ich geschlagen. Es gab nur dünne Suppe zu essen. Neben mir fielen Menschen tot um. Wenn einer starb, legten die Wächter einen Teppich drüber", sagt er. In dieser Zeit fasste Kim den Entschluss, erneut zu fliehen. Mehr als drei Jahre nach dem ersten Versuch, diesmal im Sommer, diesmal für immer.

Erneut in China, schlug er sich bis in die Hauptstadt Peking durch. Schlepper organisierten den zweiten Teil seiner Flucht gegen 3000 US-Dollar in bar, die seine Mutter für ihn zusammengespart hatte. Es ging vorbei an geschmierten Grenzposten nach Vietnam, von dort mit dem Boot nach Kambodscha zur südkoreanischen Botschaft. Im März 2006 saß Kim im Flieger nach Seoul. Doch von der Freiheit trennten ihn immer noch fünf Monate Misstrauen. Der südkoreanische Geheimdienst nimmt Flüchtlinge intensiv in die Mangel, um mögliche Spione zu entlarven. Kim musste Details aus seiner Kindheit zeichnen. "Die Bilder wurden verglichen mit Zeichnungen meiner Mutter. Sie stimmten nicht überein", erzählt er. Nach quälend langen Wochen wurde dem Jungen zugestanden, dass seine Erinnerungen aufgrund seiner Erfahrungen verzerrt sein könnten. Er bekam einen Pass. "Da habe ich zum ersten Mal inneren Frieden gespürt", sagt Kim. Doch um sich in einer freien Welt zurechtzufinden als Kind eines Regimes, das Denken und Handeln seiner Bürger diktiert, dazu genügte der Pass nicht. In einer Anstalt für Eingliederung sollte Kim mit anderen Neuankömmlingen aus dem Norden für Demokratie und Kapitalismus fit gemacht werden.

Zahnfleisch ist kaputt

Hanawon, das "Haus der Einheit", wie es genannt wird, liegt an einem Hang eine Autostunde südlich von Seoul. Es besteht aus sechs Gebäuden, rot geklinkert. Hohe Zäune, Kameras, bewaffnete Soldaten: So sieht die Freiheit des Südens für einen Nordkoreaner aus, wenn der Geheimnisdienst ihn ziehen lässt. Der Tagesablauf ist strikt geregelt. Ausgang gibt es nur in Begleitung. "Damals fühlte ich mich sehr unwohl. Heute denke ich, dass Hanawon wichtig für mich war. Ich habe gelernt, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe", sagt Kim. Hanawon schult die Menschen in praktischen Dingen des Alltags: Einkaufen, Internet, Bankgeschäfte. In Sprachkursen wird den Menschen ihr Akzent abgewöhnt und der Slang des Südens eingepaukt. Sie sollen nicht schon wegen eines unterschiedlichen Sprachgebrauchs gesellschaftlich benachteiligt werden.

Nordkoreaner, die einem Ausländer in Hanawon begegnen, verbeugen sich und schauen zur Seite. Alle Bewohner tragen Trainingsanzüge und Sportschuhe. Mehrere Hundert sind es im Monat. Der Hauszahnarzt von Hanawon hat gut zu tun. Viele Flüchtlinge haben Probleme mit dem Zahnfleisch, eine Folge von Mangel- oder Unterernährung. Es gibt spezielle Betreuung für Kleinkinder. Während man die Eltern südkoreanische Realität lehrt, dürfen die Kinder nach Lust und Laune spielen und toben. Sie sollen glücklich sein, damit Mutter oder Vater zusätzliche seelische Belastung erspart bleibt.

"Die Flüchtlinge sind psychisch labil, wenn sie in Hanawon ankommen. Sie alle haben eine Tortur hinter sich. Der richtige Umgang mit ihnen ist eine große Herausforderung", sagt Seung Hun Jung, der Direktor der Einrichtung, die dem Ministerium für Wiedervereinigung unterstellt ist. Seit 1999 gibt es das Haus der Einheit, genauso lange die Kritik daran. Direktor Seung verteidigt die Institution. Sie ermögliche den Flüchtlingen eine erfolgreiche Eingliederung in ein fremdes System, erklärt er. Der Staat zahlt ihnen rund 10.000 Euro für ein neues Leben. Für den Rest muss jeder selbst sorgen. Die Regierung will in Kürze einen weiteren Standort eröffnen, um jederzeit auf eine größere Flüchtlingswelle vorbereitet zu sein. Seit der Hungerkatastrophe ist die Zahl der Flüchtlinge auf mehrere Zehntausend rapide gestiegen.

"Nutzlose Dinge beigebracht"

Das Leben beginnt ganz von vorn. So erging es auch Hwang Mi-Ra.

Das Leben beginnt ganz von vorn. So erging es auch Hwang Mi-Ra.

(Foto: Marcel Grzanna)

"Hanawon ist furchtbar. Sie haben mich eingesperrt und mir nutzlose Dinge beigebracht", sagt Hwang Mi-ra. Die kleine, energische Frau Ende 20 sitzt auf dem Bett ihrer Wohnung in einem Vorort von Seoul. Ihr rötlich gefärbtes Haar hängt ihr fast bis zur Hüfte. Ihr wahres Gesicht verbirgt sie hinter einer dicken Schicht Make-up. "Sie hätten uns lieber erklären sollen, wie man einen Job bekommt", sagt sie. Dabei gehört sie zu denen, die ihr Schicksal mutig selbst in die Hand genommen haben. Sie gründete eine Heiratsagentur, die nordkoreanische Frauen vermittelt. Es reicht zum Überleben. Viele andere Frauen sind hilflos und überfordert mit der Last ihrer Herkunft und landen im Rotlichtmilieu. "Die örtliche Polizei hat mich damals angerufen und gebeten, ich möchte bitte nicht als Prostituierte arbeiten", erinnert sich Hwang. Sie fragte den Beamten, ob er eine Idee habe, wer ihr einen Job geben könnte. Er hatte keine.

Doch die 28-Jährige bereut nichts. Aus dem Norden herauszukommen war ihr Ziel, seit sie denken kann. Sie konnte den Hunger nicht ertragen, sagt sie. Auch sie nahm zwei Anläufe nach China. 2003 schwamm sie durch die Strömungen des Tumen. Elf Stunden war sie im Wasser. Ihr Luftkissen hatte nach kurzer Zeit ein winziges Loch. Um nicht zu ertrinken, biss sie stundenlang den Stoff mit den Schneidezähnen zusammen. Kurz vor dem Ufer der Schock, als eine Hand nach ihr greift.

Leiche im Wasser

"Sie haben mich", dachte die junge Frau. Sie irrte. Tatsächlich war sie mit einer Leiche zusammengestoßen, die im Wasser trieb. Ein Landsmann, dessen Fluchtversuch tödlich endete. Hwang klopfte an eine Tür und bat um Hilfe. Stattdessen rief der Mann die Polizei, die sie an nordkoreanische Soldaten auslieferte. Auch Hwang landete im Arbeitslager. Sechs Monate, glaubt sie, hätte sie nicht überlebt. Also wagte sie die Flucht.

An einem Wintertag musste ihre Kolonne örtlichen Bauern bei der Arbeit helfen. Auf einem Hof nutzte sie die Unachtsamkeit ihrer Wächter. Auf einer Wäscheleine entdeckte sie Hemd und Hose, wie Bauern sie tragen. Sie riss sich die Sträflingskleidung vom Leib und schlüpfte in den gefrorenen Stoff. Sie rannte in die Berge und versteckte sich mehrere Tage. Der Grenzfluss war zugefroren. Sie hüllte ihren Körper in weiße Laken, die sie gestohlen hatte. So war sie auf dem Eis praktisch unsichtbar und robbte stundenlang im Schneckentempo ans chinesische Ufer. Diesmal klopfte sie an die richtige Tür. Eine Frau gewährte ihr Unterschlupf. Über Südostasien floh auch sie Monate später nach Südkorea. Ihre Familie hat seit dem Tag ihrer Flucht nichts mehr von ihr gehört. Hwang sagt: "Wenn ich daran denke, muss ich weinen. Wenn sie bestraft worden sind, dann wissen sie immerhin, dass ich lebe."

Quelle: ntv.de

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