China zeigt sich empört Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo
08.10.2010, 13:35 Uhr
(Foto: REUTERS)
Die Entscheidung des Nobel-Komitees in Oslo hat politische Brisanz: Es zeichnet den inhaftierten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis aus. Peking kritisiert die Entscheidung als "unanständig". Liu sei ein Krimineller. Der norwegische Botschafter wird einbestellt. Die Polizei verhaftet in Peking rund 20 feiernde Aktivisten.
Trotz scharfer Warnungen aus Peking erhält der inhaftierte chinesische Dissident Liu Xiaobo in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Der 54-Jährige sei seit mehr als 20 Jahren ein starker Fürsprecher für den gewaltfreien Kampf für Freiheit und Menschenrechte, erklärte das norwegische Nobel-Komitee in Oslo.
China reagierte empört und bezeichnete die Auszeichnung für den verurteilen Autor als ungerechtfertigt. Die Beziehungen zu Norwegen seien belastet. Der norwegische Botschafter in Peking wurde für einen offiziellen Protest einbestellt. US-Präsident Barack Obama, die Bundesregierung und etliche weitere Politiker und Menschenrechtler begrüßten die Wahl und forderten, Liu aus der Haft zu entlassen. Auch der Dalai Lama zeigte sich erfreut.
Die chinesischen Behörden blockierten die Live-Satellitenübertragung des amerikanischen Nachrichtensenders CNN von der Preisverleihung. Bei spontanen Feiern nach der Verleihung sind in Peking rund 20 prodemokratische Aktivisten festgenommen worden. Wie die Bürgerrechtlerin Wang Lihong telefonisch aus dem Polizeigewahrsam berichtete, hätten sie zunächst Karaoke gesungen und dann in einem Restaurant nahe des Ditan-Parkes gefeiert. "Wir waren so glücklich." Plötzlich seien rund zehn Polizeifahrzeuge mit rund 50 Polizisten gekommen. "Sie forderten uns auf, zu "kooperieren"", sagte Wang Lihong. Die Aktivisten seien erst auf die Hepingli-Wache gebracht, dann auf andere Polizeistationen verteilt worden.
"Rechte für chinesische Bürger deutlich eingeschränkt"
In seiner Begründung lobte das Komitee die Fortschritte Chinas beim Kampf gegen Armut sowie eine größere politische Teilhabe in dem Land. Zugleich erklärte das Gremium aber: "Der neue Status Chinas muss mit größerer Verantwortung einhergehen." Das Nobel-Komitee habe immer daran geglaubt, dass es eine enge Verbindung zwischen Menschenrechten und Frieden gibt, sagte der Präsident des Komitees, Thorbjoern Jagland. Die Volksrepublik verstoße gegen mehrere internationale Abkommen, die sie selbst unterzeichnet habe. Das Komitee nannte unter anderem Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, die in der Verfassung des Landes garantiert seien. "In der Praxis sind diese Rechte für chinesische Bürger deutlich eingeschränkt."
Ähnlich äußerte sich auch Obama, der Friedensnobelpreisträger des vorigen Jahres. Die Ehrung für Liu zeige, dass die politischen Reformen mit den dramatischen Reformen in der Wirtschaft nicht Schritt gehalten hätten. Die grundlegenden Menschenrechte müssten eingehalten werden.
Auch Deutschland forderte erneut die Freilassung. Der Menschenrechtler solle den Preis selbst empfangen können, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Liu sei ein mutiger Mann, der Demokratie und Menschenrechte durchsetzen wolle. Er habe aber immer deutlich gemacht, dass dies ein langwieriger und mühseliger Prozess sei, der gewaltfrei bleiben müsse. "Wir - die Bundesregierung - wissen, dass China da seinen eigenen Weg finden muss", sagte Seibert. Bundespräsident Christian Wulff sagte Liu die Unterstützung Deutschlands zu. Außenminister Guido Westerwelle sprach von einer mutigen Entscheidung. Auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso gratulierte dem Dissidenten.
Norwegischer Botschafter einbestellt
Das chinesische Außenministerium erklärte, die Auszeichnung für Liu laufe den Zielen des Nobelpreises zuwider. Die Beziehungen zu Norwegen würden damit gestört. "Liu Xiaobo ist von der Justiz der Verletzung des chinesischen Gesetzes für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe verurteilt worden", hieß es. Dem norwegischen Botschafter wurde in Peking ein offizieller Protest übermittelt. Die norwegische Seite habe auf die Unabhängigkeit den Nobelpreis-Komitees und den Wunsch nach guten Beziehungen zu China verwiesen, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Oslo. Ministerpräsident Jens Stoltenberg war unter den ersten Gratulanten für Liu. Zugleich betonte er Norwegens "enge und umfangreiche Kooperation mit China".
Auf die Unabhängigkeit des Komitees hatte der norwegische Außenminister Jonas Gahr Störe schon vor dem chinesischen Protest verwiesen. "Es gibt keinen Grund für Maßnahmen gegen Norwegen als Land", sagte er dem Sender NRK. Sollte dies China dennoch tun, würde es seinen Ruf schädigen. Norwegen verhandelt derzeit mit China über ein Handelsabkommen und will als wichtiger Energieproduzent die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet ausbauen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf China vor, sich in die Vergabe des Nobelpreises eingemischt zu haben. "Man hat hier im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht verloren", sagte der deutsche China-Experte von Amnesty, Dirk Pleiter.
UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay bezeichnete Liu als "wichtigen Verteidiger der Menschenrechte". Amnesty International erklärte, er stehe "stellvertretend für all diejenigen, die sich in China für die Menschenrechte einsetzen". Der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel gratulierte Liu ebenfalls. Havel selbst hatte den Bürgerrechtler für den Preis vorgeschlagen. Er bezeichnete Liu als "Prototyp eines engagierten Bürgers, dem ein solcher Preis gebührt". Havel lobte das Nobel-Komitee, das es ungeachtet der Warnungen aus Peking abgelehnt habe, ökonomische Interessen über die Menschenrechte zu stellen. Der frühere polnische Staatspräsident Lech Walesa, der 1983 als Anführer der Gewerkschaft Solidarnosc mit dem Preis ausgezeichnet worden war, bezeichnete die Nachricht als "Kampfansage an China".
Preisträger erfährt es erst am Samstag
Lius Frau Xia erfuhr von der Ehrung ihres Mannes am Telefon. Sie habe es kaum glauben können, als sein Name bekanntgegeben worden sei, sagte sie. Am Samstag könne sie in die Provinz Liaoning reisen, um ihrem Mann von dem Preis zu berichten, sagte Liu Xia. In einer Erklärung der Menschenrechtsorganisation Freedom Now forderte sie seine Freilassung. China sollte sich seiner neuen Verantwortung stellen und auf seine Ehrung stolz sein, wurde sie zitiert. Chinas Staatssicherheit versuchte allerdings, jeden Kontakt mit Liu Xia zu verhindern. Polizeikräfte verwehrten Journalisten den Zugang zu dem Wohnungskomplex in Peking. Jagland, sagte, auch den Juroren sei kein Kontakt zum Preisträger oder seiner Frau möglich gewesen: "Wir haben die chinesischen Behörden gebeten, den Bescheid über den Preis weiterzugeben."
Liu wurde im vergangenen Jahr inhaftiert und zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wird zur Last gelegt, Hauptverfasser der Charta 08 zu sein - einem Manifest chinesischer Intellektueller und Bürgerrechtler, in dem Redefreiheit und freie Wahlen gefordert werden. Der frühere Literaturprofessor wurde als einer der Anführer des Hungerstreiks während der Studentenproteste auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking 1989 bekannt. In den 90er Jahren wurde er für 20 Monate inhaftiert und verbrachte drei Jahre im Arbeitslager und mehrere Monate unter Hausarrest.
Das Nobel-Komitee erzürnte die chinesische Regierung auch 1989, als es das geistliche Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, kurz nach dem Massaker in Peking mit dem Friedensnobelpreis auszeichnete. Der Dalai Lama gratulierte Liu und verlangte seine Freilassung. Mit der Verleihung des Preises an Liu würdige die internationale Gemeinschaft die immer lauter werdenden Stimmen in der chinesischen Bevölkerung, die sich für grundlegende politische und rechtsstaatliche Reformen im Land einsetzten, hieß es weiter. Der Friedensnobelpreis wird am 10. Dezember, dem Todestag seines Stifters Alfred Nobel, in Oslo verliehen. Der Preis ist mit umgerechnet rund einer Million Euro dotiert.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts