Rebellen-Vorwurf gegen Kreml "Friedliches Ende vereitelt"
29.10.2002, 10:54 UhrNach Angaben der tschetschenischen Untergrundregierung haben die russischen Behörden mit der Erstürmung des Moskauer Musical-Theaters eine friedliche Lösung der Geiselnahme verhindern wollen.
Der Kreml habe die gewaltsame Beendigung der Geiselnahme angeordnet, obwohl die Geiselnehmer über Mobiltelefon in der Nacht zuvor erklärt hätten, dass sie alle Geiseln am nächsten Morgen freilassen wollten. Das sagte der stellvertretende Ministerpräsident der international nicht anerkannten Regierung Tschetscheniens, Achmed Sakajew, am Dienstag beim zweiten Tag des tschetschenischen "Weltkongresses" in Kopenhagen.
Die Behörden hätten die Erstürmung angeordnet, damit "die Tschetschenen nicht zu Helden werden konnten". Auch nach Angaben russischer Offiziere fiel die Entscheidung zum Zugriff unabhängig von der Lage im Musical-Theater.
Russland hatte mit heftiger Kritik an Dänemark auf den tschetschenischen Kongress reagiert. Präsident Wladimir Putin hatte seine Teilnahme an einem EU-Russland-Gipfel in Kopenhagen aus Protest abgesagt. Die dänische EU-Präsidentschaft verlegte den Gipfel darafhin nach Brüssel.
In einem Brief an Putin forderte der Kongress die sofortige und unmittelbare Aufnahme von Verhandlungen für eine friedliche Beendigung des Konflikts. Die britische Schauspielerin Vanessa Redgrave - die eine Menschenrechtsinitiative für Tschetschenien gegründet hat - sagte, die von der russischen Seite in Tschetschenien begangenen Verbrechen seien "tief verwurzelt in der Tradition des sowjetischen Gulag".
Mehr Druck auf Russland gefordert
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Hans-Ulrich Klose (SPD), sieht kaum Möglichkeiten für eine politische Lösung im Tschetschenien-Konflikt. Klose sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, dies würde das Akzeptieren von gleichberechtigten Verhandlungspartnern und die Vorstellung einer politischen Neuordnung voraussetzen. Beides sei zur Zeit kaum erkennbar.
Klose forderte die Europäische Union auf, Russland zum Umdenken zu bewegen. Solange für Moskau die Devise gelte, dass alle Tschetschenen potenzielle Rebellen und Terroristen seien, gebe es keine Lösung des Konflikts.
Auch die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Christa Nickels (Grüne) kritisierte die russische Politik in der abtrünnigen Kaukasus-Republik scharf. "Die Situation ist menschenrechtlich wirklich eine Katastrophe", sagte sie im ZDF. Ihrer Ansicht nach muss von Seiten der EU mehr Druck auf die russische Führung ausgeübt werden.
Quelle: ntv.de