Politik

Fallen, schießen, töten "Für mich ist das ein Krieg"

Bundeswehroberst Kirsch fordert, die Kanzlerin müsse den Afghanistan-Einsatz zur Chefsache machen.

Bundeswehroberst Kirsch fordert, die Kanzlerin müsse den Afghanistan-Einsatz zur Chefsache machen.

(Foto: dpa)

Bundeswehrverbandschef Ulrich Kirsch hat sich vor Bundeswehroberst Georg Klein gestellt, der in Afghanistan den Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster angeordnet hatte. Der Verband werde Klein "Rechtsschutz in vollem Ausmaß gewähren", sagte Kirsch in Berlin. Die Staatsanwaltschaft in Leipzig prüft aktuell, ob gegen Klein ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet wird, da bei dem Angriff auch Zivilisten getötet wurden.

"Aus meiner Erfahrung geht ein solcher Befehl nicht ohne Rückversicherung", sagte Kirsch auf die Frage, ob Klein die Befehlskette missachtet habe. Für weitere Bewertungen müsse aber der Bericht der NATO abgewartet werden.

Kirsch warf Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan mangelnde Rückendeckung für den Oberst vor. "Wir haben erfahren, dass hier Vertrauen verloren geht", sagte Kirsch mit Verweis auf Gespräche des Verbandes mit Soldaten. "Wir erwarten ein spürbares Signal, eine Aussage zu dem, was passiert ist und eine Einschätzung." Dieses Signal müsse von Schneiderhan kommen.

Die Kanzlerin steht in der Pflicht

Zugleich forderte Kirsch, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zur Chefsache machen. "Die Verantwortung gehört ins Kanzleramt. Damit würde die deutsche Afghanistan-Politik auch außenpolitisch an Gewicht gewinnen. Derzeit fühlten sich viele Soldaten von der Politik und der militärischen Führung im Stich gelassen, kritisierte Kirsch. Bisher koordiniert das Auswärtige Amt das Engagement der vier Ministerien für Verteidigung, Äußeres, Inneres und Entwicklungshilfe am Hindukusch.

Nach den Worten Kirschs steht aber die ganze Bundesregierung mit fast allen Ressorts in der Verantwortung. Franz Josef Jung (CDU) könne als Verteidigungsminister nicht die ressortübergreifende Verantwortung haben. "Die hat die Kanzlerin".

"In Kudus ist Krieg"

Laut einem umstrittenen ISAF-Zwischenbericht waren die beiden Tanklaster beim Zeitpunkt des Angriffs manövrierunfähig und nicht wie von der Bundeswehr behauptet "rollende Bomben".

Laut einem umstrittenen ISAF-Zwischenbericht waren die beiden Tanklaster beim Zeitpunkt des Angriffs manövrierunfähig und nicht wie von der Bundeswehr behauptet "rollende Bomben".

(Foto: AP)

Merkel habe in ihrer ersten Regierungserklärung zum Afghanistan-Einsatz am Dienstag die Lage gut beschrieben, indem sie vom "Brennglas" gesprochen habe, durch das der Luftangriff auf zwei Tanklaster in der vorigen Woche mit Dutzenden Toten in der Provinz Kundus gesehen werden müsse.

"Ein solches Ereignis war offensichtlich erforderlich, damit alle wachgerüttelt werden, wie ernst die Lage ist", sagte Oberst Kirsch. Und: "Es muss ja immer etwas passieren, bevor etwas passiert." Er betonte: "Im Raum Kundus ist Krieg." Merkel solle nun "nicht nur artikulieren, sondern auch handeln." Der Luftangriff in Nordafghanistan mit Dutzenden Toten belastet zunehmend das Verhältnis zwischen Deutschland und seinen Verbündeten.

Bundesgericht in Potsdam gefordert

Oberst Georg Klein kehrt noch im September nach Deutschland zurück.

Oberst Georg Klein kehrt noch im September nach Deutschland zurück.

(Foto: AP)

Mit Blick auf mögliche Ermittlungen gegen Oberst Klein forderte Kirsch die Einrichtung eines eigenen Bundesgerichts am Sitz des Einsatzführungskommandos in Potsdam, das für Soldaten im Auslandseinsatz und auf hoher See zuständig sein solle. Durch die gesammelte Expertise einer solchen Kammer könnten Ermittlungsverfahren effizienter und schneller werden.

Weil bisher jeweils das Gericht am Wohn- oder Dienstort und damit in der Regel immer wieder ein neuer Staatsanwalt zuständig sei, gehe viel Zeit verloren. "Es kostet viel Zeit und Mühe, dem Staatsanwalt erst zu erklären, dass man zum Beispiel mit dem Maschinengewehr keinen Einzelschuss abfeuern kann, sondern bautechnisch nur Feuerstöße möglich sind", kritisierte Kirsch.

Zu Hause wartet der Staatsanwalt

Außerdem kritisierte der Chef des Bundeswehrverbands den Rechtsstatus der deutschen Soldaten. Die Soldaten müssten fürchten, dass zu Hause stets der Staatsanwalt warte, da der Einsatz im Ausland nicht anders verfolgt werde als im Inland. Die Soldaten anderer Staaten unterlägen am Hindukusch den Regeln des Kriegsvölkerrechts und seien damit besser vor Strafermittlungen geschützt. Auch Jung, Union, SPD und FDP fordern die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für die Auslandseinsätze.

Die Bundesregierung lehnt es bisher allerdings ab, im Norden Afghanistans von einem Krieg zu sprechen. Der Sprecher von Verteidigungsminister Franz Josef Jung, Thomas Raabe, sprach von einem "robusten Kampfeinsatz". Kirsch dagegen beklagte eine verzerrte Wahrnehmung des Einsatzes: "Unsere Soldaten fallen, unsere Soldaten schießen und unsere Soldaten töten - für mich ist das ein Krieg."

Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa/rts

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