"Kein revolutionärer Akt" Gabriel biegt links ab
16.11.2009, 13:06 UhrDie Genossen rücken auf ihrem Parteitag in Dresden nach links. In einem Leitantrag fordern sie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Überprüfung der Rente mit 67. Der neue starke Mann an der Spitze der Partei, Gabriel, verteidigt den Linksschwenk. Die CDU sieht dagegen ein "Populismus-Duell mit der Linkspartei".

Gabriel soll die Genossen wieder nach links führen.
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Der SPD-Parteitag setzt seine Beratungen über den künftigen Kurs der Partei fort. Am letzten Tag des dreitägigen Kongresses will die SPD an die Verabschiedung des wegweisenden Godesberger Programmes vor genau 50 Jahren erinnern. Der neue Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wird eine Abschlussrede halten. Am Vortag hatte der Parteitag einen Leitantrag verabschiedet, in den die Forderung nach Wiedereinführung der Vermögensteuer auf Druck der Delegierten und gegen den Willen der Parteiführung aufgenommen wurde.
Vor Beginn der abschließenden Beratungen verteidigte Gabriel diese Forderung. Dies sei "kein revolutionärer Akt", sagte er. Dies Vermögenssteuer stehe schließlich im Grundgesetz als Steuer, die Ländern und Kommunen zustehe. Allerdings werde auch die Vermögensteuer nicht ausreichen, um Zukunftsaufgaben wie die Bildung ausreichend zu finanzieren. Die SPD werde deshalb ein eigenes Steuerkonzept entwickeln, an dem auch der frühere Finanzminister Peer Steinbrück mitarbeiten wolle. Nach Gabriels Vorstellungen sollen darin vor allem ökologische Anreize betont werden. Umweltschädliche Subventionen müssten abgebaut werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 1995 die Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt. 1997 wurde sie dann unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) abgeschafft. 1996, im letzten Jahr ihrer Erhebung, brachte sie 4,6 Milliarden Euro ein.
"Ein exzellentes Team"
Gabriel und die neue SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zeigten sich mit dem Ablauf des Parteitags sehr zufrieden. Nach der bitteren Wahlniederlage sei die Stimmung im Vorfeld sehr aufgewühlt gewesen, gestand Gabriel. Trotz der vielfach geäußerten Kritik hätten die Delegierten aber auch nach vorne gerichtet diskutiert. Die offene Diskussion auch über Fehler und Schwächen der Vergangenheit hätten alle "ein bisschen als befreiend erlebt", sagte Gabriel. Es gebe "ein großes Bedürfnis nach Versöhnung" in der Partei.
Für die SPD in der Opposition beginne jetzt aber erst die richtige Arbeit. Die neue Führung nannte er ein "exzellentes Team". Nach seinen Worten muss der nächste SPD-Kanzlerkandidat nicht automatisch der Parteichef sein. Eine solche bindende Regelung sehe die SPD-Satzung nicht vor.
Nahles kündigte an, dass die SPD künftig jedes Jahr einen Arbeitsparteitag einberufen wolle. Bislang finden diese Kongresse in zweijährigem Turnus statt.
CDU und FDP warnen
Union und FDP sehen die SPD nach ihrem Dresdner Parteitag auf einem Linkskurs. "Die SPD ist nicht mehr Volkspartei, sondern Klientelpartei. Sie flüchtet immer weiter in die linke Ecke", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der "Bild am Sonntag". Gröhe fügte hinzu: "Das Populismus-Duell mit der Linkspartei wird die SPD am Ende aber immer weiter in die Krise stürzen." Der neue Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte: "Die SPD wäre gut beraten, wenn sie sich zu den Schröderschen Reformen bekennen würde, anstatt den Linken nachzulaufen." Wer seine Geschichte so verleugne, verliere seine Identität.
Der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsunion, Hans Michelbach, hielt der SPD vor, sie habe "kein Konzept zur Überwindung der Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise". Die Partei könne den Menschen keine Perspektive bieten, sagte Michelbach. Die SPD beharre auf ihrem falschen Kurs gegen Leistungsbereitschaft, Wachstum und Wohlstand, hob er mit Blick auf die Beschlüsse des Dresdner SPD-Parteitags hervor. Die neue SPD-Spitze setze darauf, "die Menschen mit einer Neidkampagne gegeneinander auszuspielen, um selbst an die Macht zurückzukommen".
Der Meinung, dass eine Öffnung zur Linkspartei der SPD schade, sind einer Emnid-Umfrage zufolge 49Prozent der Deutschen. 34 Prozent glauben, dies nutze der SPD. Von den SPD-Anhängern halten 45 Prozent eine Annäherung für eher schädlich, 46 Prozent für eher nützlich. Das Meinungsforschungsinstitut befragte für die "Bild am Sonntag" am vergangenen Mittwoch und Donnerstag insgesamt 1003 Personen.
Delegierte überstimmen Parteiführung

Die Juso-Chefin Franziska Drohsel brachte die Vermögenssteuer zurück auf die Agenda.
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Am Samstag hatten die 500 Delegierte für einen Leitantrag mit zum Teil deutlichen Korrekturen an SPD-Positionen gesorgt. Sie sprachen sich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aus, was die Parteiführung zunächst abgelehnt hatte. Auch zur umstrittenen Rente mit 67 und einigen Arbeitsmarktgesetzen ging der Parteitag auf Distanz und forderte eine Überprüfung. Umstritten war auch der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Eine Mehrheit votierte aber dagegen, sich auf ein konkretes Datum für einen Abzug festzulegen. Auch weitere Anträge von der Basis, die eine schärfere Korrektur des bisherigen Kurses verlangten, wurden abgewiesen.
Bei der Vermögenssteuer hatte die Parteispitze zunächst vor einer Festlegung gewarnt. Um eine absehbare Abstimmungsniederlage zu vermeiden, schwenkte sie dann aber kurzfristig um und schloss sich einem Vorstoß der Jusos an. Jetzt heißt es im verabschiedeten Antrag: "Unser Steuerkonzept wird Vermögende stärker in die Verantwortung für das Gemeinwohl nehmen, unter anderem durch die Einführung der Vermögenssteuer, und Normalverdiener sowie Familien steuerlich besserstellen."
Solidarisierung mit Studenten

Gabriel wurde sechs Minuten lang gefeiert.
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Angesichts der bundesweiten Proteste von Studenten solidarisierte sich die SPD mit deren Forderung nach einem besseren Bildungssystem. "Die SPD nimmt die Forderungen und Kritik der Studierenden ernst und begrüßt das Engagement", heißt es in einer Resolution. Im Einzelnen fordert die SPD "mehr Chancengleichheit in der Bildung" etwa durch die Abschaffung von Studiengebühren. Auch seien mehr Bildungsinvestitionen nötig und deshalb die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb "unseriös". Darüber hinaus setzt sich die SPD in der Resolution für mehr Wahlfreiheit im Studium, für "entschlackte Studienordnungen" und für Verbesserungen beim BAföG ein.
In einer einstimmig angenommenen Entschließung kündigte die SPD eine Kampagne gegen die von der neuen Bundesregierung geplanten Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke an. In Zusammenarbeit mit den Umweltverbänden wolle man sich diesem Vorhaben entgegenstellen. Der am Vortag mit 94,2 Zustimmung gewählte neue SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel bezeichnete SPD und Umweltverbände als "natürliche Verbündete".
Fehler aufgelistet
In dem Leitantrag, der mit nur einer Nein-Stimme und vier Enthaltungen angenommen wurde, listet die SPD eine Fülle von Ursachen für ihre schwerste Wahlniederlage in der Nachkriegszeit auf. Eine zentrale Rolle hätten dabei die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen, die Rente mit 67, häufige Wechsel an der Führungsspitze sowie öffentlich ausgetragene Flügelkämpfe in der Partei gespielt. Bei der Bundestagswahl am 27. September hatte die SPD nur noch 23 Prozent erhalten.

Allein auf weiter Flur: Der ehemalige Parteichef Müntefering, der sich einst für die Rente mit 67 stark gemacht hatte.
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SPD-Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier kündigte in seiner Grundsatzrede einen harten Oppositionskurs an, ging aber weder auf die umstrittenen Sozialreformen noch auf das Afghanistan-Thema ein. Vor der Bundestagswahl hatte er als Außenminister ein Ausstiegskonzept für die deutschen Streitkräfte skizziert.
Quelle: ntv.de, cba/ghö/dpa/AFP/rts