"Wenn ihr einander töten wollt, dann tut das" Gaddafi schlägt blutig zurück
24.02.2011, 18:54 Uhr
Gaddafis Truppen in Al-Beida.
(Foto: dpa)
Der libysche Staatschef steht mit dem Rücken zur Wand - dennoch lässt sich Gaddafi von den Protesten gegen sein blutiges Regime nicht beeindrucken. Ihm ergebene Truppen greifen mehrere Städte an. Augenzeugen sprechen nach Angriffen auf Demonstranten von einem "Schlachthaus". Gaddafi selbst meldet sich derweil mit einer neuen bizarren Schimpfkanonade zu Wort.
Das Morden in Libyen nimmt kein Ende, doch die wachsende Empörung in der Welt lässt Muammar al-Gaddafi kalt. Der Machthaber hält sogar dagegen: Er machte das Terrornetzwerk Al-Kaida für die Proteste in seinem Land verantwortlich. Die Demonstranten seien "Soldaten, die (der Al-Kaida-Anführer Osama) bin Laden rekrutiert hat". Der Exodus der Ausländer aus Libyen hält derweil an. Regierungen in aller Welt organisieren mit Hochdruck die Evakuierung ihrer Staatsbürger. Die deutsche Marine schickte drei Schiffe. An den Märkten treiben die Unruhen die Preise für Öl, Gold und Silber weiter in die Höhe.
Gaddafi sagte an die Adresse der Einwohner der Stadt Al-Sawija: "Wenn ihr einander töten wollt, dann tut das." Von dort waren am Vormittag heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Gaddafi-Truppen gemeldet worden. Ein Augenzeuge sagte dem arabischen Nachrichtensender Al-Arabija, die Stadt gleiche einem "Schlachthaus" und fügte hinzu: "Es ist schwer, jetzt die vielen Toten und Verletzten in der Stadt zu zählen." Am Abend wurde über weitere Proteste auch aus anderen Städten berichtet, unter anderem in der Hafenstadt Bengasi.
Der libysche Staatschef, der vom staatlichen Fernsehen diesmal nicht gezeigt, sondern nur per Telefon zugeschaltet wurde, sprach dagegen von einer "Komödie", die sich in der Stadt abspiele. Außerdem wiederholte er seinen Vorwurf, die Aufständischen stünden unter Drogeneinfluss.
Obama: Diese Gewalt muss aufhören
Unterdessen wird die Kritik an Gaddafi in der Welt immer lauter - ohne dass sich die internationale Gemeinschaft allerdings auf Maßnahmen verständigen kann. Bundespräsident Christian Wulff verurteilte Gaddafi als "Psychopathen", der sein Volk mit Gewalt terrorisiere. "Das ist Staatsterrorismus. Das ist offenkundig das Handeln, das als psychopathisch bezeichnet werden kann", sagte Wulff nach einem Gespräch mit Italiens Staatspräsidenten Giorgio Napolitano in Berlin.
Zum ersten Mal seit Beginn der Unruhen äußerte sich US-Präsident Barack Obama öffentlich: "Diese Gewalt verletzt internationale Normen und jedes normale Maß an Anstand", sagte er am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. "Diese Gewalt muss aufhören." Einen Rücktritt Gaddafis forderte er aber nicht, auch das Wort Sanktion nahm er nicht in den Mund. Bundesaußenminister Guido Westerwelle drang dagegen bei einem Besuch in Kairo auf Sanktionen. Die EU bekräftigte ihre Sanktionsdrohungen.
"Die Lage hier ist schrecklich."
Ein Ägypter, der mit seiner Familie in der libyschen Stadt Misrata lebt, sagte in einem Telefoninterview, Teile der Stadt würden von Demonstranten kontrolliert. "Wir wissen nicht, wie wir nach Ägypten fliehen sollen, wir sind umzingelt", klagte er, "die Lage hier ist schrecklich".
Ein Augenzeuge in Tripolis sagte, in der Hauptstadt hätten einige wenige Banken und Geschäfte geöffnet. Die Behörden seien alle geschlossen. Der deutsche Geschäftsmann Andreas Weichelt sagte dem Radiosender MDR Info, auf der Straße lägen Leichen, an vielen Häuserfronten sehe man Einschusslöcher.
Der Gaddafi-Sohn Saif al-Islam widersprach Berichten über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten. Seit Beginn der Unruhen seien einige wenige Menschen gestorben, sagte er im libyschen Rundfunk . "Aber (...) von hunderten oder tausenden zu sprechen und von Luftangriffen, das ist ein Witz selbst vom militärischen Standpunkt aus", sagte er.
In den vergangenen Tagen war in arabischen Medien immer wieder von Luftangriffen auf Kasernen und Munitionsdepots berichtet worden. Damit habe verhindert werden sollen, dass Waffen in die Hände von Aufständischen gelangen oder von übergelaufenen Soldaten mitgenommen würden. Allerdings war unter Berufung auf Augenzeugen auch berichtet worden, dass in Tripolis Kampfflugzeuge das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnet hätten.
Gerüchte um Gaddafis Flucht
Al-Saadi, ein anderer Gaddafi-Sohn, sagte der "Financial Times" einem Telefoninterview , 85 Prozent des Landes seien "sehr ruhig und sehr sicher". Sein Bruder Saif al-Islam arbeite derzeit an einer Verfassung für Libyen. Sein Vater werde künftig als Berater einer neuen Regierung fungieren, sagte Al-Saadi. "Mein Vater wird bleiben als großer Vater, der Ratschläge gibt."
Derweil kursierten in Rom Gerüchte, nach denen Gaddafi sein Privatflugzeug vorbereite, um sich von Libyen aus in ein befreundetes afrikanisches Land abzusetzen. Das sagte der Präsident der exilarabischen Organisation in Italien, Foad Aodi und sprach von "sehr, sehr glaubwürdigen" Quellen.
Ex-Minister: Gaddafi wird wie Hitler enden
Der zurückgetretene libysche Justizminister Mohamed Abdul al-Jeleil erwartet derweil einen baldigen Selbstmord Gaddafis. Al-Jeleil sagte der schwedischen Zeitung "Expressen": "Gaddafis Tage sind gezählt. Er wird es wie Hitler machen und sich das Leben nehmen." Weiter sagte der Anfang dieser Woche abgetretene Minister, Gaddafi habe persönlich 1988 den Befehl zum Lockerbie-Terroranschlag mit 270 Toten gegeben: "Ich habe zu hundert Prozent sichere Beweise dafür."
Gaddafi habe "alles in seiner Macht Stehende" getan, um den für den Anschlag zu lebenslanger Haft verurteilten Libyer Abdelbaset Ali Mohmed Al Megrahi aus dem Gefängnis freizubekommen. Megrahi war 2009 wegen einer Krebserkrankung aus der Haft in Schottland entlassen worden und durfte nach Libyen zurückkehren. Gaddafi hatte die Verantwortung seines Landes für den Anschlag eingeräumt, aber nie eine persönliche Beteiligung zugegeben.
Deutsche Schiffe auf dem Weg
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amts halten sich noch etwa 160 Deutsche in Libyen auf. Man prüfe weiter alle Möglichkeiten, sie mit Flugzeugen, Schiffen oder auf dem Landweg aus dem Land zu bringen. "Die Gefährdungslage ist nach wie vor hoch", sagte eine Sprecherin. Zur Rettung deutscher Staatsbürger sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums drei deutsche Marineschiffe auf dem Weg zur libyschen Küste.
Nach Informationen der EU-Kommission wurden bereits 5000 europäische Staatsbürger aus Libyen zurückgeholt; etwa genauso viele hielten sich dort noch auf, sagte ein Sprecher in Brüssel. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte an, dafür sorgen zu wollen, dass die Verantwortlichen vor ein internationales Gericht kommen.
Schweiz sperrt Konten
Die Schweiz sperrte unterdessen mit sofortiger Wirkung mögliche Vermögenswerte Gaddafis in der Eidgenossenschaft. Damit solle "jegliche Gefahr einer Veruntreuung von staatlichen libyschen Vermögenswerten" vermieden werden, teilte die Regierung mit. Betroffen sind demnach auch Vermögenswerte seiner Familie. Ob und wie viel Geld Gaddafi in der Schweiz angelegt hat, ist unklar. Dies werde in den kommenden Wochen bekanntgegeben, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen verschlechterten sich im Jahr 2008 dramatisch, als die Genfer Polizei einen Sohn des Machthabers festnahm, der unter Verdacht stand, zwei Mitarbeiter misshandelt zu haben. Das Verfahren wurde später eingestellt. Als Reaktion auf die Festnahme zog Libyen Millionen aus der Schweiz ab, stoppte Öllieferungen in das Land und hinderte zwei Schweizer Geschäftsleute an der Ausreise aus Libyen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts