Politik

Keine Spur vom Dikator Gaddafis Festung ist gefallen

(Foto: REUTERS)

Die Aufständischen in Tripolis nehmen die schwer befestigte Residenz Gaddafis ein und stürzen die Symbole seiner Macht. Die Rebellen und die internationale Gemeinschaft sehen das Regime am Ende, die Planung für die Zeit nach dem Diktator läuft auf Hochtouren. Doch wo ist Gaddafi?

Die goldene Statue steht noch, aber die Macht, für die sie stand, ist verschwunden.

Die goldene Statue steht noch, aber die Macht, für die sie stand, ist verschwunden.

(Foto: AP)

Die Rebellen in der libyischen Hauptstadt Tripolis haben die Residenz von Muammar al-Gaddafi komplett eingenommen - doch weder der Diktator noch einer seiner Söhne sind auffindbar. Der Militärsprecher der Rebellen, Oberst Ahmed Omar Bani, zeigte sich ratlos: "Keiner weiß, wo sie sind". Fathi Terbel, einflussreiches Mitglied des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, äußerte sich überzeugt, dass Gaddafi die Hauptstadt Tripolis mittlerweile verlassen habe. Seine Festnahme sei aber "nur noch eine Frage der Zeit".

Der Militärkommandeur der Rebellen in Tripolis , Abdelhakim Belhadsch, sagte unterdessen, die Aufständischen hätten die "Schlacht gewonnen". Die Gaddafi-Leute seien "wie die Ratten geflohen", schilderte er im Fernsehsender Al-Dschasira.

Gaddafi-Getreue geben auf

Die Aufständischen waren am Nachmittag in den Gaddafi-Stützpunkt eingedrungen. In der Residenz verschanzte Kämpfer Gaddafis gaben den Widerstand nach blutigen Kämpfen auf und flüchteten, wie die Rebellen mitteilten. Einige Kämpfer hätten sich ergeben. Auf Live-Bildern von Al-Dschasira war die von Einschusslöchern übersäte Front von Gaddafis Haus zusehen. Nach Angabe der Rebellen fielen 12 Aufständische in den Gefechten um die Residenz.

Um die Residenz tobte eine erbitterte Schlacht.

Um die Residenz tobte eine erbitterte Schlacht.

(Foto: REUTERS)

Die Rebellen hissten nach der erfolgreichen Eroberung ihre Flagge über der Anlage. Al-Dschasira zeigte Bilder von jubelnden Truppen, die versuchten jene goldene Statue stürzen, vor der Gaddafi 1986 seine Getreuen zur Niederschlagung eines Aufstands aufrief. Einige Rebellen kickten eine vergoldete Gaddafi-Maske hin und her. Al-Dschasira zeigte Bilder eines Kämpfers, der ein vergoldetes Kalaschnikow-Sturmgewehr erbeutet hatte. Rebellen öffneten die Waffenkammern in dem Komplex und plünderten diese. Auf CNN und Al-Dschasira waren Aufständische zu sehen, die Waffen und Munition aus der Anlage trugen.

Die Aufständischen haben nach eigener Darstellung in blutigen Kämpfen auch die strategische wichtige Küstenstadt Bin Dschawad eingenommen. Rebellenkämpfer seien nun bis auf 30 Kilometer auf Sirte, die Heimatstadt Gaddafis, vorgerückt, berichteten die Aufständischen. Bei den Kämpfen um Bin Dschawad habe es 700 Tote gegeben. Von unabhängiger Seite konnten diese Opferzahlen nicht bestätigt werden.

Den internationalen Flughafen in Tripolis konnten die Aufständischen nach kurzem Gefecht unter ihre Kontrolle bringen. Nach einem Bericht der britischen BBC waren auch Kämpfe in der Nähe des Journalisten-Hotels Rixos aufgeflammt. Reporter berichteten von heftigen Schusswechseln und schweren Explosionen.

In den Krankenhäusern in Tripolis und Umgebung spitzte sich die Versorgungslage nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zu. "Einigen Krankenhäusern sind lebensrettende Medikamente und medizinisches Material ausgegangen", teilte Nothilfekoordinator Jonathan Whittal mit. "Es gibt Probleme mit der Stromversorgung und zu wenig Treibstoff für Krankenwagen und wichtige medizinische Geräte." Insgesamt sollen nach Angaben der Rebellen in den Kämpfen um Tripolis rund 2000 Menschen ums Leben gekommen sein.

Neue Verfassung geplant

Schon bald soll es freie Wahlen geben.

Schon bald soll es freie Wahlen geben.

(Foto: AP)

Der Nationale Übergangsrat der Gaddafi-Gegner treibt unterdessen die Vorbereitungen für eine Machtübernahme voran. "Es wird dann sogleich eine provisorische Regierung eingesetzt", erklärte der auf der Seite der Rebellen stehende libysche Botschafter in Rom, Hafed Gaddur, der Zeitung "Il Messaggero". "Innerhalb eines Monats werden dann Wahlen für eine Nationalversammlung organisiert, aus der eine Verfassungskommission hervorgehen wird", erläuterte Gaddur. Über deren Arbeit solle per Referendum entschieden werden.

"Sobald die Verfassung angenommen ist, wird es freie und demokratische Wahlen geben", fügte er an. Das Volk werde einem Gang Gaddafis ins Exil nicht zustimmen, "ihm muss der Prozess gemacht werden für die Verbrechen, die er gegen sein Volk begangen hat".

NATO weiter im Einsatz

Für die NATO spielt Gaddafi offiziell keine Rolle mehr. Das Gaddafi-Regime sei am Ende, erklärte NATO-Militärsprecher Roland Lavoie. "Seine Präsenz hat ohnehin nur noch symbolischen Wert für seine Anhänger." Die Lage in Tripolis stufte der Oberst als "sehr komplex" ein, da Häuserkampf eigene Regeln habe und sehr schwierig sei.

Dennoch bleibe Libyen für die NATO weiterhin "eine 24/7-Operation" - also mit Einsätzen rund um die Uhr. Ein Eingreifen von Kampfjets der NATOzur Unterstützung der Aufständischen gebe es nicht. "Wir stehen auch nicht in direktem Kontakt mit den Rebellen, um irgendwelche Angriffe zu koordinieren." Dies bedeute aber nicht, dass es keine NATO-Luftschläge gegen den Gaddafi-Stützpunkt gegeben habe, so der Sprecher. "Wir bombardieren, wenn von einem Ziel eine Gefahr für die Zivilbevölkerung ausgeht."

Libyen-Kontaktgruppe plant bereits

Westerwelle versprach 100 Millionen Euro Soforthilfe.

Westerwelle versprach 100 Millionen Euro Soforthilfe.

(Foto: dapd)

Trotz der immer noch nicht entschiedenen Lage laufen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau bereits auf Hochtouren. Der Übergangsrat der bisherigen libyschen Rebellen soll innerhalb der nächsten Tage aus Deutschland das erste Geld aus einem Regierungsdarlehen über insgesamt 100 Millionen Euro erhalten. Dies kündigte Außenminister Guido Westerwelle an. Zur Begründung sagte der FDP-Politiker: "Das Land darf jetzt nicht in der Zeit nach Gaddafi in Chaos versinken, sondern muss zurückfinden zu geordneten Verhältnissen."

Im Grundsatz hatte die Bundesregierung das Darlehen bereits im vergangenen Monat zugesagt. Das entsprechende Abkommen wurde in Bengasi unterzeichnet. Mit dem Geld soll die Arbeit der Übergangsregierung unterstützt werden, bis das im Ausland beschlagnahmte Milliardenvermögen des Gaddafi-Regimes freigegeben ist. Allein in Deutschland wurden mehr als 7,2 Milliarden Euro eingefroren.

Westerwelle sprach sich zugleich für eine neue Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrats aus, damit die Milliarden dem libyschen Volk zugutekommen können. Die Entschließung solle "so schnell wie möglich" verabschiedet werden. Das US-Außenministerium kündigte die Freigabe eingefrorener libyscher Staatgelder an. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, noch in dieser Woche zwischen einer und anderthalb Milliarden Dollar aus Libyen in den USA freizugeben", sagte eine Sprecherin in Washington. Das Geld solle für "humanitäre Zwecke" zur Verfügung gestellt werden.

Davotoglu sprach von einem "historischen Tag" für Libyen.

Davotoglu sprach von einem "historischen Tag" für Libyen.

(Foto: REUTERS)

Für kommenden Donnerstag kündigte die Libyen-Kontaktgruppe ein Treffen in Istanbul an, um über die schwierige Lage in dem nordafrikanischen Land zu beraten. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu will zuvor zu Gesprächen mit dem Nationalen Übergangsrat der Rebellen nach Bengasi fliegen. Er hatte am Montag von einem "historischen Tag für Libyen" gesprochen. "Das neue Libyen sollte ein demokratischer, freier und geeinter Staat sein, wie es die Bürger fordern", sagte er.

US-Politiker wollen Lockerbie-Attentäter

Der Nationalen Übergangsrat sieht sich derweil mit Forderungen aus den USA konfrontiert, die ihm den Status erster internationale Beziehungen einbringen könnten: US-Politiker fordern die Auslieferung des wegen des Lockerbie-Anschlags verurteilten Libyers Abdelbaset el Megrahi. Der Drahtzieher des Anschlags auf die Pan-Am-Passagiermaschine über dem schottischen Lockerbie 1988 müsse festgenommen und ausgeliefert werden, damit es "endlich Gerechtigkeit" geben könne, erklärte der republikanische Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney. Eine Auslieferung wäre auch ein Signal an die Welt, dass das neue Libyen an Gerechtigkeit glaube und die Absicht habe, sich an internationales Recht zu halten, sagte der Senator des US-Bundesstaats New Jersey, Robert Menendez, dem Magazin "Foreign Policy".

Weitere Senatoren schlossen sich den Forderungen an. Die Freilassung Megrahis aus schottischer Haft 2009 sei ein "völliges Fehlurteil" gewesen, hieß es. Zwischenzeitlich sei Megrahi bei bester Gesundheit auf Pro-Gaddafi-Demonstrationen gesichtet worden. Dies sei ein "Schlag ins Gesicht" für die Familien der Lockerbie-Opfer. Megrahi war im August 2009 aus humanitären Gründen von der schottischen Regionalregierung begnadigt worden, weil er aufgrund einer Krebserkrankung im Endstadium angeblich nur noch drei Monate zu leben hatte. Eine Auslieferung an die USA hatte Gaddafi stets verweigert.

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Quelle: ntv.de, cba/ppo/dpa/AFP/rts

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